Spendenbanner
Fußball-Kolumne

Einst Underdog – jetzt Champions League? Der Reifeprozess des SC Freiburg zum Renommierclub

Stehtribüne im Europa-Park-Stadion
© Wolfgang Huber – Fans des SC Freiburg auf der Stehtribüne
Nach Jahren besuche ich als überzeugter Fußballfan wieder ein Bundesligaspiel – diesmal als Journalist im Pressebereich – und erlebe im jungen Europa-Park Stadion ein Spiel mit großer sportlicher und emotionaler Bedeutung: Der SC Freiburg empfängt Meister Leverkusen im Kampf um die Champions-League-Plätze. Doch der Besuch offenbart mehr als nur Fußball. Die Kolumne zeichnet ein vielschichtiges Bild eines Clubs, der sportlich, wirtschaftlich und strukturell gereift und dennoch authentisch geblieben ist.

Von Wolfgang Huber

Es war nicht nur gefühlt eine halbe Ewigkeit her, dass ich zum letzten Mal in einem Stadion der Fußball-Bundesliga war. Es war der 18. Oktober 2008 bei der Partie Hertha BSC gegen meinen VfB Stuttgart. Unnötig zu erwähnen, dass Hertha in der 87. Minuten das Siegtor zum 2:1 gelang. Durch Gojko Kačar. Gegen Jens Lehmann! Es wurde also Zeit, den Bock umzustoßen.

Akklimatisierung im Pressebereich

Mit der Akkreditierung und meinem Berater Sven im Gepäck schaue ich mich zunächst zwecks Akklimatisierung im Pressebereich des Europa-Park Stadions um, der Heimstätte des SC Freiburg. Auf der Pressetribüne angekommen, ist es dann wieder da: Das Kribbeln, diese freudige Erwartung auf Spannung, Intensität und Tore, die jeder vor dem Anpfiff verspürt, dessen Herz irgendwie für die beliebteste Sportart schlägt.

Es ist aber nicht nur der Rasen – dieser grüne Teppich – und die Tribünen, die sich vor einem ausbreiten und das Live-Gefühl im Allgemeinen, dass einen packt. Dieses Spiel ist etwas besonderes. Es geht gegen den amtierenden Deutschen Meister Bayer 04 Leverkusen und der SC Freiburg war und ist im Begriff, sich erstmals in seiner Vereinshistorie für die Champions League zu qualifizieren. Ein Sieg gegen die Werkself wäre da schon hilfreich. Entsprechend angespannt ist die Atmosphäre im noch recht neuen Schmuckkästchen der Breisgauer.

Auswärtsfans halten dagegen

Bereits eine Stunde vor Spielbeginn sorgen die Fangesänge der SC-Ultras für eine akustische Wohlfühlatmosphäre im Stadion. Die Fans aus Leverkusen tun etwas, was alle Auswärtsfans seit Erfindung des Fußballs tun: sie versuchen, dagegen zu halten. Die Anhänger im vollbesetzten Gästebereich scheinen immer noch beseelt vom Double der vergangenen Saison und tanzen und singen, als gäbe es kein Morgen. Das kann auch eine Klatsche in Freiburg nicht stoppen, denke ich mir. Dies in der Annahme, dass es die Rheinländer angesichts der Aussichtslosigkeit einer Titelverteidigung etwas lockerer angehen dürften. Wie man sich täuschen kann.

Filigrane Ballbehandlung

Für Sven und mich geht es auch darum, einen der derzeit besten Spieler auf dem Planeten bei seiner filigranen Ballbehandlung zu beobachten. Ein Künstler, der mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit den Taktstock schwingt wie weiland ein Bernd Schuster oder Uwe Bein: Florian Wirtz! Und natürlich geht es auch darum, die Freiburger siegen zu sehen. Schließlich will man künftig was für sein Geld bekommen, das man in DAZN und Sky investiert, wenn in der kommenden Saison hoffentlich der SC Freiburg gegen Real Madrid oder Manchester City antritt. Zumal, da der VfB Stuttgart nicht mehr dabei ist.

Fabelsaison 1994/95

Alleine die Aussicht gegen die europäische Elite antreten zu dürfen, muss man sich mal vergegenwärtigen. Nur einmal gelang dem sympathischen Club aus dem äußersten Südwesten das Kunststück, sich durch einen 3. Platz in der Abschlusstabelle der Bundesliga für den UEFA-Cup zu qualifizieren. Die älteren erinnern sich: „Wir holen den Uh-UEFA-Cup und wir werden Deutscher Meister“ hallte es jahrelang durch die deutschen Arenen. Das war in der Fabel-Saison 1994/95. Der Rückstand zum Meister Dortmund betrug nur drei Punkte. Bayern München war mit Rang Sechs drei Plätze schlechter als die Breisgau-Brasilianer. Danach folgte viele Jahre ein Auf und Ab zwischen 1. und 2. Liga mit unzähligen Auf- und vor allem Abstiegskämpfen.

Bogenlampe zu Boden begleitet

Apropos Breisgau-Brasilianer: Bei Trainer Julian Schuster, der sich als wahres Energiebündel entpuppt – sofern man ihn zum ersten Mal live sieht – erkennt man sofort das Temperament, das sich auf seine Spieler überträgt. Und wenn man dann sieht, wie ein Johan Manzambi im Mittelkreis eine 20 Meter hohe Bogenlampe mit einer eleganten Bewegung sanft zu Boden begleitet – fühlt man das brasilianische Element. Das hat sich irgendwie in die DNA des Clubs eingebrannt. Dass der 19-jährige Schweizer anschließend nach einer intuitiven Kehrwende das Spielgerät unbedrängt ins gegenüberliegende Seitenaus bugsiert: Geschenkt. Was zählt, ist die Gewissheit, dass in der Öko-Hauptstadt noch gezaubert wird.

Nähere Betrachtung

Schon seit jeher ist es die Strategie des Clubs, junge, hungrige Talente aus dem Raum Südbaden, der Schweiz und dem nahen Elsass in die eigene Jugend zu holen und dort zu gestandenen Fußball-Profis auszubilden. Um sie nach ein paar Jahren gewinnbringend zu verkaufen. Ein klassischer Ausbildungsverein, der es ohne teure Stars niemals in die Königsklasse schaffen würde. Dachte man. Doch was seit ein paar Jahren in Freiburg los ist, muss man sich näher betrachten. Nicht zuletzt durch das neue Stadion haben sich die Möglichkeiten des SC in Sachen Vermarktung und Zuschauereinnahmen deutlich verbessert.

Nach 44 Minuten erzielt dann Maximilian Eggestein aus locker 23 Metern mit einem förmlichen Strahl aus dem Stand das 1:0. Nun scheinen alle Dämme zu brechen. Die Stimmung kocht und die Ultras rasten komplett aus. Bis dahin gab es nur wenige Höhepunkte in einer dennoch intensiven Partie. Auf der anderen Seite sah man einen Florian Wirtz, der die Kugel nicht passt oder tritt, sondern so liebevoll zu ihrem Ziel streichelt, dass einem das Herz aufgeht.

Rasanter Umsatzanstieg

Das Gleiche dürfte auch den Anhängern der Freiburger passieren, wenn sie sich die Entwicklung ihres Clubs abseits des Rasens betrachten. Waren es in der letzten Zweitligasaison 2015/16 noch unter 50 Millionen Euro Umsatz, stieg diese Summe zwei Jahre später bereist auf historische 100,3 Millionen.

Weitere fünf Jahre später wurden dann schon 175,3 Millionen Euro erwirtschaftet, ehe in der vergangenen Spielzeit ein neuer Rekord aufgestellt und die 200er Millionengrenze geknackt wurde. Zwar begünstigt durch ein paar lukrative Transfers, wie mich Kommunikationschef Arne Stratmann unmittelbar vor dem Spiel wissen lässt. Aber die Entwicklung scheint ja noch nicht am Ende zu sein. Im Falle einer Champions League-Teilnahme winken alleine für die Vorrunde an die 30 Millionen Euro an Einnahmen.

Dem SC Freiburg winkt Europa!

Die häufiger werdenden sportlichen Erfolge wie die Finalteilnahme im DFB-Pokal oder die Halbfinalteilnahme in der Europa League machen den Geldsegen erklärbar. Unterdessen fällt unten kurz nach dem Pausentee das 2:0 durch ein Eigentor der Leverkusener. Kaum einer denkt jetzt noch daran, dass gegen den amtierenden Meister noch etwas schief gehen könnte. „Die haben die Meisterschaft ohnehin schon längst abgeschrieben. Bei denen geht es doch um nichts mehr“, ist mein erster gedanklicher Reflex. Dem SC winkt Europa!

Enormer Mitgliederzuwachs

Ein guter Zeitpunkt, sich einmal die Mitgliederentwicklung anzuschauen. 2008 zählte der SC Freiburg 8.000 Fans. Auch zehn Jahre danach, 2018, waren es mit 17.000 zwar schon deutlich mehr. Doch der Absatz der Mitgliedsanträge explodierte erst in den Folgejahren regelrecht. Aktuell, so Arne Stratmann, sind es 75.000 Vereinsmitglieder. Apropos Verein. Laut der Clubwebsite ist Freiburg der einzige Bundesligist, der noch als eingetragener Verein geführt wird. Auf eine Ausgliederung der Profiabteilung, wie bei allen anderen Clubs im Oberhaus, wird getrost verzichtet.

Man ahnte Böses

Während dessen versucht Bayer überraschend engagiert, das Ergebnis zu korrigieren. Der Druck steigt von Minute zu Minute. Als dann besagter Florian Wirtz am Strafraum entlang tänzelt, wie sonst nur ein Chris Führich („Cha Cha Cha“), den Ball am Fuß klebend, ahnt man schon Böses. Das er kurz darauf mit einem sanften, aber platzierten Schuss an den Innenpfosten das 2:1 markiert, weiß man: Dabei wird es nicht bleiben. Es ist eine Art Erwachen in der Realität. Jeder weiß noch zu genau, wieso die Alonso-Truppe im Mai die Schale in den Himmel recken durfte. Wegen des unbändigen Willens, bis zum Schluss an den Sieg zu glauben.

Den Glauben an etwas Größeres haben auch die mittlerweile mehr als 450 Sponsoren und Partner, die sich beim Sportclub engagieren, und eines der größten inoffiziellen Business-Plattformen in ganz Südbaden bilden. Sie spülen eine Menge Geld in die Vereinskasse. Siehe oben. Auch die Einnahmen im Hospitality-Bereich sind mit dem Stadionneubau deutlich gewachsen. Dieser bietet Platz für zweitausend Personen. Es gibt 20 Logen mit 200 Plätzen.

Mehr als ein Drittel Stehplätze

Das Stadion insgesamt hat ein Fassungsvermögen von 34.700 Zuschauern. Davor, im Dreisamstadion waren es 24.000 Plätze. Als ich dort gegen Ende des vergangenen Jahrtausends ein paar Spiele für Radio OHR besuchte – unter anderem eine 1:2-Niederlage gegen einen so exotischen Verein wie 1860 München – passten sogar nur 20.500 Fans rein (Der Trainer hieß Volker Finke, der mich in der Pressekonferenz barsch abkanzelte).

In der neuen Arena sind gut ein Drittel der Plätze Stehplätze. Auch das ist ein gutes Stück gelebter Fußballtradition. Die rund 10.000 Fans, die nun zusätzlich aufgenommen werden können, bringen bei jedem der 17 Bundesligaheimspiele entsprechend höhere Zuschauereinnahmen. Auch die TV-Erlöse sind mit den guten Platzierungen der jüngeren Vergangenheit deutlich gewachsen.

Nicht ganz ohne Kommerz

Anders ausgedrückt: ganz ohne Kommerz geht es auch an der Dreisam nicht. Wer nicht jedes Jahr im Abstiegskampf rumtaumeln will, braucht eine solide finanzielle Basis. Ein Teil davon wird zunächst einmal gebildet mit dem Geld des Hauptsponsors Jobrad, dessen Engagement ein umfassendes Paket aus Werbe-, Hospitality- und Kommunikationsleistungen umfasst. Jobrad zahlt mit seinem Konzept, Fahrräder an Arbeitgeber als gesundes und umweltfreundliches Benefit für deren Mitarbeiter zu vertreiben, wie eigens dafür gemacht aufs Vereinsimage ein.

Auch der Exklusiv-Partner WeberHaus gehört in diese Kategorie. WeberHaus galt schon in den 70er Jahren – kaum zehn Jahre nach seiner Gründung – als Öko-Vorreiter. Die Fertighäuser der Linxer wurden schon früh in energiesparender Bauweise gebaut. Und zwar aus dem nachwachsenden und damit ökologischen Rohstoff Holz. Dank dieser Strategie hat WeberHaus noch heute die Nase im Wettbewerb vorn. Nachhaltigkeit ist aktueller denn je.

Beliebtester Verein Deutschlands

Überhaupt scheint alles in Freiburg wie aus einem Guss zu funktionieren. Das Stadion, die Mannschaft, die Fans, die Entwicklung hin zum gehobenen Establishment der Deutschen Bundesliga und natürlich die Sponsoren und Partner. Es ist ein einzige große Familie. Die Strahlkraft der einstigen Außenseitertruppe reicht mittlerweile bis an die Nordsee und an die Oder.

So ist der SC Freiburg der beliebteste Fußballverein in ganz Deutschland. Ermittelt von den Usern der Website transfermarkt.de anhand einer Zustimmungsquote von 66 Prozent. Weit vor dem Ländle-Rivalen VfB Stuttgart auf Platz 9 mit 54 Prozent und ganz weit vor dem Branchenprimus FC Bayern, der in diesem authentischen Ranking lediglich auf Platz 15 rangiert (Quote: 40 Prozent).

Perfekte Organisation

Alles in Freiburg scheint perfekt organisiert. Davon konnten sich Sven und meine Wenigkeit, die wir wie erwähnt beide zum ersten mal im Europa-Park-Stadion waren, persönlich überzeugen. Das fängt schon mit der Anreise an, dem gewöhnungsbedürftigen Parkplatzsystem, den Ordner, der Organisation für die Journalisten im Pressebereich und auf der Pressetribüne und nicht zuletzt bei der Mannschaft auf dem Platz. Wie sonst hätte sie es sonst auf Tabellenplatz Vier geschafft. Nicht organisiert werden kann die Stimmung, die einen von Beginn an mitreißt.

Auch wenn kurz vor Spielschluss das Unvermeidliche seinen Lauf nimmt, verfestigt sich der Eindruck eines skandalfreien, sympathischen, aufstrebenden, gesunden und erfolgreichen Bundesligaclubs. Als Jonathan Tah eine Flanke von der linken Seite per Kopf zum 2:2-Ausgleich ins lange Eck befördert, wundert sich niemand wirklich darüber. Man kennt es ja nicht anders von der Elf, die zu diesem Zeitpunkt noch der Titelverteidiger war. Das Spiel ist eben erst zu Ende, wenn der Unparteiische pfeift.

Türsteherin gibt Tipps für Rauchentwöhnung

In der kleinen Unterhaltung mit der Dame, die hinten vor dem Eingang zum Pressebereich im Untergeschoss die Tür bewacht und entriegelt, wenn ein Pressevertreter rein oder raus will, bekomme ich abschließend noch Taktik-Tipps für die Rauchentwöhnung. Sehr nett von ihr, auch wenn ich in dieser Hinsicht keinerlei Ambitionen hege. Beim SC Freiburg kümmert sich eben jeder um alles. Bis ins kleinste Detail.

Logische Folge der Entwicklung dieses in sich ruhenden Gebildes wäre die Qualifikation für die Königsklasse. Wenn nur nicht noch das 2:2 passiert wäre. Aber am Wochenende beim Abstiegskandidaten Holstein Kiel könnte die Schuster-Truppe das Wunder schon eintüten, das eigentlich gar kein so großes Wunder mehr wäre. Ich kenne niemanden, der es dem SC Freiburg nicht gönnen würde.

Das könnte dich auch interessieren:

Stadionumbau beim Racing: Teile des A340 für die Fassade am Meinau-Stadion

„German Giant“ Gabriel Clemens in Rust: „Zu 99,9 Prozent sind es positive Dinge“

Michael Schneider (ASV Urloffen): „Man sagt, gute Ringer können so ziemlich alles“

Weitere Beiträge