Kunst & Kultur

Kulturkolumne #9: „KI ist altbekannte EDV, welcher nun fälschlicherweise ‚Intelligenz‘ angedichtet wurde“

Jürgen Stark Kolumnist
© FLM design + creative/Ortenau Journal – Jürgen Stark greift in Kulturkolumne #9 das Thema KI-generierte Musik auf.
Aus alten Hamburger Tagen verbindet Kolumnist Jürgen Stark und Produzent Dieter Debusmann eine kreative Freundschaft – nun wird diese Connection für neue Musikprojekte wiederbelebt. Doch beginnend mit dieser produktiven Zusammenarbeit äußern beide deutliche Kritik an der Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Musik. Während Stark kulturkritisch einordnet, erklärt Debusmann, warum KI keine Inspiration schafft, sondern fremdes geistiges Eigentum verwertet und die Zukunft echter Musikkultur bedroht.
Von Jürgen Stark

Nachdem uns nun schon seit Monaten der Hype um die sogenannte “Künstliche Intelligenz entgegen geblubbert wird, platzen erste Kragen. Besonders dort, wo noch echte Intelligenz existiert und “betreutes Denken“ schon aus Prinzip abgelehnt wird. So jetzt etwa vom deutschen Entertainer Helge Schneider, der hierzu generell noch eine “gewisse Unverschämtheit“ gegenüber älteren Menschen (via “Playboy“) diagnostisch mit dieser Thematik verbindet: “Du musst dich mit diesem Scheiß, mit diesem Internet beschäftigen, und jetzt kommt noch dieser Ki-Kram dazu. Wenn ich ins Handy schaue. Lese ich überall nur KI“ – schön blöd, shit happens.

Extremste Technik-Erfahrungen

Berechtigtes Genervtsein, dabei sollte der blinde Glaube an einen stets segensreichen technischen Fortschritt doch nach den vergangenen 100 Jahren extremster Technik-Erfahrungen längst einen Dämpfer erhalten haben, oder etwa immer noch nicht…?! Für den Verleger Michael Foshag (Morstadt Verlag, Kehl) ist das alles reiner Etikettenschwindel, denn in Wahrheit sei es doch „Nichts anderes als die altbekannte Elektronische Datenverarbeitung, welcher nun fälschlicherweise „Intelligenz“ angedichtet werden würde.“

Riesige Datenmengen

Stimmt! Denn laut einschlägiger Lexika bezeichnet „EDV“ lediglich die Mechanik einer elektronischen Erfassung, Bearbeitung, sowie Transport und Wiedergabe von Daten, dieses erfolgt durch den Ablauf von durch Software beschriebenen Prozessen auf Hardwaresystemen – Ladys and Gentlemen, sorry, aber wesentlich mehr macht „KI“ oder „AI“ eben auch nicht, nur haben sich Leistungsstärke und Steuerungselemente enorm verbessert, bzw. fand eine qualifizierte Ausdiffenzierung beim Umgang mit teils riesigem Datenmengen statt: der Kochtopf wurde größer, von allen Stoffen und Zutaten lässt sich mehr hineinkippen und je nach Wunsch dann aus der Datenbrühe herausfiltern.

Diebische Beliebigkeit

Doch insbesondere im Sektor der Musikproduktion nimmt das Murren und Knurren über den angeblichen „Segen“ dieser dynamischen Software-Entwicklung erheblich zu. Kein Wunder, denn seit dem Ende der analogen Musikaufzeichnung und final-authentischen Studio-Bearbeitung wurde das Urheberrecht diebischer Beliebigkeit geopfert und der Diebstahl künstlerischer Ideen, welche auf individueller Klasse und solidem virtuosen Können basieren, zur leichten Übung – Hochkonjunktur für Blender, Nichtskönner und sonstige „Poseure“, also Menschen, die über wenig individuelle Klasse verfügen, sich aber gerne mit den Ideen anderer schmücken.

Viele „KI-Ersatzmusikanten“

Beispiel Kochtopf: Würden Sie gerne ein halbes Jahr lang (oder sogar lebenslänglich!) täglich aufgewärmtes „Chili con Carne“ mit „extra scharf“ essen…?! Willkommen auf YouTube, dort verderben derzeit viele „KI“-Ersatzmusikanten den synthetischen Brei. Momentan werden ganze Genres Opfer der KI-Kopisten, egal ob Blues, Funk oder Reggae. Für die elektronischen Datenstaubsauger kein Problem, die jeweiligen Spezifika wie methodischer Songaufbau, typischer Takt und Rhythmus sowie jeweils prägende Instrumentalistik und stilprägende Sounds werden stilecht „gecovert“ und lupenrein imitiert.

Verblüffend perfekt

Das Netz quillt über vor „funky Vibes“ via „escape Funk“ oder „rockabilly Dance Mix“, „Duststorm Blues“ oder „blind Voodoo Blues“ – verblüffend perfekter Sound-Abklatsch kommt dabei tonnenweise anonymisiert heraus. Eben nicht mehr von echten Menschen, sondern von Digital-Maschinen gemacht.

Täuschen echte Everly-Songs

Als seinerzeit der Software-Zirkus begann, schrieb mir ein befreundeter Journalist, er sei immer schon „ein großer Fan der Everly Brothers gewesen“, dank KI-Programmierung habe er sich jetzt sogar sein eigenes, „neues“- Album mit täuschend echt klingenden Everly-Songs gebastelt, „nur passende Refrains dafür bekommt KI nicht hin“. Es ist nicht das einzige, was KI-Musikrobotik nicht oder weniger gut kann. Doch bevor man der komplexen Thematik kulturkritisch begegnet, lohnt es, sich darüber mit einem ausgewiesenen Top-Fachmann zu unterhalten und ihn um qualifizierte Aussagen zum Thema zu bitten.

Multi-Talent Dieter Debusmann

Das Ortenau Journal bat keinen geringeren als den in Hamburg lebenden Dieter Debusmann hierzu befragt. Der international erfahrene Debusmann ist Komponist, Texter, Musiker, Produzent, Dipl.-Ing. für analoge und digitale Signalverarbeitung, Hardware- und Softwareentwickler von Audio- und Video-Kodier-Verfahren; der höchst qualifizierte Debusmann ist außerdem erfolgreicher Maschinenbau-Unternehmer und war in den 1980er Jahren persönlich an der Entwicklung der ersten Bildtelefone (!) für die Firmen Bosch, Siemens und die vormals noch Deutsche Post beteiligt, also an der Entwicklung der archaischen Vorläufer der heutigen Mobiltelefontechnik (= Handys).

„Allgegenwärtige KI-Besoffenheit“

Für diesen Profi lautet die stimmige Übersetzung von „KI“ klipp und klar: „Keine Intelligenz in der Musik!“ und er begründet dieses so: „Um eine solche Anwendung zu programmieren, ist zwar Intelligenz erforderlich, das Resultat ist jedoch keine künstliche Intelligenz, sondern eine Software-basierte Maschine, die nur so tut als ob.“ Dieses sei eben für alle Anwender sehr praktisch, da es eintönige Analyse-Tätigkeiten auf Maschinen verlagert und dadurch helfen würde „Fehler zu finden, deren Suche sonst Jahre dauern würde, aber nicht um künstlerische Werke zu schaffen, zu denen wirkliches Können gehört.“ Er folgert: „KI ist kein Mensch mit Können oder ein künstlerisch begabter Mensch, KI ist eine seelenlose Maschine.“- das klingt völlig anders, als es die allgegenwärtige KI-Besoffenheit vermuten lässt.

Bekannte Strukturen und Muster

Denn für den langjährigen Software-Entwickler Debusmann werden hierbei lediglich bekannte Strukturen und Muster in hoher Geschwindigkeit zu neuen zusammengefügt, „eine wirklich neue Schöpfung oder gar Kunst entsteht daraus aber nicht, denn dies beruht nicht auf echter Inspiration, sondern in den meisten Fällen auf dem Diebstahl geistigen Eigentums jeglicher Art. So werden Wissen, Daten, Erkenntnisse, künstlerische Werke, ohne Betrachtung der Urheberschaft und deren Rechte entnommen, um die Maschine zu „trainieren“.

Dieter Debusmann Studio

Dieter Debusmann kritisiert die „allgegenwärtige KI-Besoffenheit“. Foto: Dieter Debusmann

Übernahme fremden Eigentums

Dieses sei jedoch kein Training, sondern die „ungebremste und ungehemmte Übernahme fremden geistigen und kreativen Eigentums.“ KI sei demnach nicht viel mehr als ein gut gefütterter Hochleistungsrechner, der das Futter aber nicht selbst anbaut, sondern systematisch woanders entnehmen würde. So „lernt“ die Maschine auf Kosten anderer, die heutige Computer-Technologie macht daraus eine Anwendung, die laut Debusmann Ängste hervorruft, weil „der Diebstahl in atemberaubender Geschwindigkeit mit vermeintlich perfektem Ergebnis“ stattfinden würde, „das jedoch, ohne den der Inhalt des Diebesgutes, nie so perfekt geworden wäre.“

Ernüchterte Branche

Dieses Würde dann „zu Pitch-Perfect- und Play-Perfect-Werken am Fließband“ führen, was den bereits erwähnten Scharlatanen nunmehr ein kostenloses Geschäftsmodell mit maximalen Gewinnaussichten böte. Debusmann fasst zusammen, was in der ernüchterten Branche inzwischen als reales Negativ-Szenario gehandelt wird: „Potentieller, wirklich künstlerischer Nachwuchs wird durch KI abgeschreckt, denn die menschliche Machbarkeit an realen Instrumenten, die zu diesem Zweck ja auch noch virtuos erlernt werden müssen, rückt in weite Ferne. Und für KI-Musik ist noch nicht mal mehr ein musisch oder künstlerisch begabter Mensch notwendig. Das ist der Todesstoß für den letzten Funken Hoffnung, den man für die vor sich hin darbende Musikindustrie überhaupt noch haben kann, denn Talent ist dafür nicht mehr erforderlich.“

Musikalische Persönlichkeiten

Tödliche, seelenlose Perfektion, die für die menschliche Produktion von Musik notwendige kreative Entwicklung von musikalischen Persönlichkeiten, verliere sich künftig mutmaßlich wegen Versagensängsten, weil die eiskalt perfekte, makellose, maschinell erstellte Musik die Menschen aus der Bahn schubse und echtes künstlerisches Wachstum, mit allen notwendigen Facetten laut Debusmann ersticken dürfte an ebendieser programmierten Perfektion.

Nicht clean und fehlerfrei

Woher aber sollen künftig noch Idole und Persönlichkeiten kommen, doch nicht aus Maschinen, man denke nur an den Krampf bei elektronischer Musik, welche schon bei Kraftwerk nicht viel mehr als Roboter-Design bei Live-Konzerten zustande brachte. Es macht eben den Unterschied: Musik mit Herz und Seele und eben nicht clean und fehlerfrei.

Monströses Unding

Antiseptische Musikkultur erscheint als monströses Unding, so charmant wie Frankenstein auf Brautsuche. Das letzte Wort geht an den Experten Debusmann, der in seinem Leben hunderte Musikproduktionen begleitete und der noch immer glühender Anhänger handgemachter Live-Musik ist: „Hand aufs Herz, können Sie sich den frenetisch applaudierenden Fan vor einer Maschine vorstellen, die ihm auf Knopfdruck perfekte Musik ausspuckt..?!“

Siehe auch hier:

Kulturkolumne #: Jürgen Stark ist zurück: Joe Cocker, Liebe auf Sylt und der Soundtrack seines Lebens

Jürgen Stark´s Kulturkolumne #8: Apocalypse now: Hinterm Horizont geht’s weiter

„Schellet, Schellet, Sexi!“ Fasent läuft: Fruchtbare Dämonen feiern die kommende Diät

Das folgende Video entstand in der BDH-Klinik in Elzach während der Reha von Jürgen Stark nach seinem Schlaganfall im März:

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