Von Jürgen Stark
Alaaf. Helau. Narri. Narro. Was vergessen? Ach ja, Ahoi, sagt man aber nur im Norden, das hat aber nichts mit Karneval oder Fasent zu tun, eher mit Schiffen oder Fischbrötchen. Denn im Norden wird zwar auch gern gefeiert und gesoffen, aber dafür verkleidet sich da oben keiner. Hier ist es – nun wieder – wie es ist, aber warum ist es hier so, bzw. „Warum ist es am Rhein so schön“ oder so konfettibunt in der Bollesupp-Ortenau…?! Zuerst kamen die Heiden, die hatten Bräuche und Feste.
Sie waren also zuerst da. Danach kamen die Christen und übernahmen vieles aus wilder Vorzeit. Die ollen Germanen etwa feierten die Wintersonnenwende und um den heiligen Göttern zu huldigen, sie hatten eben noch mehrere Götter, ist ja eigentlich auch genug Platz da oben im Himmel. Auch die Vertreibung der bösen Winterdämonen war den Germanen wichtig, denn die sollten Mensch und Vieh in Ruhe lassen. Vermutlich war die Völlerei bei den Germanen noch irgendwie anders, was den Speisenplan betrifft. Fettarme Angebote und Vegetarier gab es dunnemals garantiert noch nicht.
Praxis der alten Germanen
Dramatisiertes schlechtes Gewissen, nicht nur bei Speis und Trank, kam erst bei den Christen auf, denn die verscheuchten auch die vielen Göttern vom Abendhimmel und der dann einzig übriggebliebene Gott hatte neue und klare Verbotstafeln unterm Arm. Das darin inkludierte „schlechte Gewissen“ lässt sich an der vorösterlichen Fastenzeit festmachen. Denn mit der Fastnacht oder dem Karneval (carne vale = Fleisch lebe wohl!) wurden rigide Diätprogramme eingeläutet. Die Tradition des Karnevals und die Praxis der alten Germanen war auch verbunden mit Verkleidung, mit Masken und Tierfellen, denn die „Animale“ sollten gute Geister wecken und den Frühling (!) entschlackt (!!) beginnen lassen.
Ab dem Mittelalter übernahmen die Christen diese Traditionen und transformierten sie in ihre religiöse Heilslehre. Historiker vermuten, dass derartige Fastnachtsbräuche im 11. Jahrhundert nach Deutschland einzogen. Kölle Alaaf: Die Kölner erfanden nicht nur das leckere „Kölsch“ sondern avancierten nachweislich im Jahre 1341 zu Pionieren mit einer erstmaligen Fastnacht. Nun ging es schon mal los, noch bevor Bismarck das Deutsche Reich vereinen sollte.
„Schluss mit lustig“
Übrigens reichen erwähnte Ursprünge des Karnevals bis ins Altertum zurück, wo vergleichbare Feste im sonnigen Mittelmeerraum stattfanden. Historiker datieren Vorläufer des Karnevals auf eine Epoche von vor ca. 5.000 Jahren – im sagenumwobenen Mesopotamien. Karneval sagen die Einen in bestimmten Regionen, Fasching, Fasent oder Fasnacht heißt es andernorts. Heute kennzeichnet es die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern, welche am Aschermittwoch beginnt.
Was wird also gefeiert? Tatsächlich, der Übergang in betreutes, kalorienverarmtes Essen und Trinken. Aber Programme wie „Friss die Hälfte“ sind hierfür viel zu sanft. Hardcore: Ab Aschermittwoch ist eher Nulldiät und totale Abstinenz angesagt. Schluss mit lustig – das ist die triste Botschaft für die Tage danach, nach Jägermeister vom laufenden Meter, Pils und Wein aus Fass und Flasche sowie fließendem Schampus in jeder Lage. Auch auf Wikipedia kommen einem die Benimmregeln des christlichen Abendlandes entgegen: „Bevor man den köstlichen Speisen und dem Alkohol entsagt, soll noch einmal ordentlich gefeiert und gegessen werden.“
Heidnische Überlieferungen
Na klar, machen wir. „Fastelovend“ oder „Fastnaht“, so heißt seit etwa 1200 der Vorabend der Fastenzeit, die mit Aschermittwoch beginnt und in der sich die Menschen auf Ostern, das höchste christliche Fest vorbereiten. Überliefert aus der heidnischen Vorzeit ist auch der Hinweis, dass es sich bei allem auch um Fruchtbarkeitskulte, Dämonenkulte, Sonnenkulte handelte: Der Mensch wollte bei Zeremonien, durch Maskierung und mit Tänzen sowie durch Umzüge, den Göttern ähnlich sein.
Ach, übrigens, hier noch Entwarnung. Bei all der Narretei wird in der feuchtfröhlichen Ortenau keinesfalls eine erneute Schändung armer Hexen betrieben: Eine (historische) von Adolf Geck herausgebrachte Narrenzeitung lässt Verse mit dem markigen Ruf „Schellen, Schellen, Sechser! Alte Hexen, alte Hexen! Narro! Narro!“ enden. Von fiesen Hexenjägern drumherum keine Spur. Dann in den 1930er Jahren bekam der hier beliebte Ruf das „luschtige“ Anhängsel „s´ bisst mi ä Floh, weiss nit wo, am Popo.“
Bezug zu Hexenverfolgungen?
Historiker sind sich – Gott sei Dank – inzwischen einig: Es gilt nunmehr als eher sehr unglaubhaft, dass dieser Ruf irgendeinen Bezug zu den Hexenverfolgungen hat – und somit eine zynische, bitterböse Schmähung der seinerzeit willkürlich verfolgten und tausendfach ermordeten „Hexen“ im Nachhinein als (bizarres) Fest gefeiert wird. Und: Um 1870 gab es auch.eine „6-Uhr-Gesellschaft“, welche sich bei abendlichen Glockenschlägen traf. Darüber berichtete der närrische Chronist und renommierte Narrenschreiber Adolf Geck: “Der Fasnachtruf ist rein alemannischen Ursprungs und hängt mit dem schweizerischen Sechsuhrläuten zusammen, Schellet, Schellet, Sexi!“ Floh reimt sich auf Narro, wie Wein auf den Rhein oder Freibier auf binschonhier.
Durch jahrzehntelange Verbreitung des beliebten Narrenrufes soll es bei der Althistorischen Narrenzunft zur Gründung einer neuen Narrengruppe, der Hexe, gekommen sein, die Hexenzunft bildete sich folglich erst hernach. Das schöne Fazit der Historiker: Der Narrenruf hat also seine Ursprünge in der Althistorischen Narrenzunft Offenburg! Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist. Narri. Prosit. Narro. Wohl bekomm’s. Am Popo.
P.S. Bevor nun auch bald der Hausarzt strikte Nullpromille-Diät empfiehlt hier noch ein paar schäumende Stimmungshits mit auf den feuchten Weg … viel Spaß euch allen! Lasst es ordentlich krachen!
YouTube-Video: Heute blau, morgen blau
YouTube-Video: Linkes Auge blau, rechtes Auge blau (Heinz Erhard 1959)
YouTube-Video: Kornblumenblau (Willy Schneider 1937)
YouTube-Video: Ich steh an der Bar und habe kein Geld (BOBBEJAAN 1960)
YouTube-Video: Durst wird durch Bier erst schön (Werbung)
YouTube-Video: Barfuß oder Lackschuh (Harald Juhnke 1990)
YouTube-Video: Das schäumende Bier (Deutsche Trinkerjugend)
YouTube-Video: Zehn kleine Jägermeister (Die Toten Hosen 1996)
Siehe auch:
Kultur in Bedrängnis: Kann der „Frontalangriff auf die freie Szene gestoppt werden?
Jürgen Stark´s Kulturkolumne #5: Die fragwürdige Arbeit der jeweils Mächtigen
Heute vor 56 Jahren: Als die Beatles von den Dächern Londons ins Jenseits flogen
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