Jörg Meuthen arbeitet nach seiner Auszeit wegen des Europaparlamentsmandats seit Januar wieder in der Hochschule Kehl. Nun tritt der Ex-AfD-Chef als Spitzenkandidat der WerteUnion bei der Landtagswahl am 8. März 2026 an. Im Interview mit dem Ortenau Journal spricht er über die Stärken und Schwächen seiner Partei, den Bürokratieabbau und marktwirtschaftliche Reformen. Außerdem erläutert der Wirtschaftsexperte, was er unter Eigenverantwortlichkeit versteht, wer mit der Stadtbildaussage von Friedrich Merz gemeint war und die drohende „Detroitisierung“ der Region Stuttgart.
Das Interview:
Ortenau Journal: Herr Meuthen, Sie waren einst Bundesvorsitzender der AfD, nun sind Sie Spitzenkandidat der WerteUnion im Landtagswahlkampf. Hatten Sie das länger geplant oder kam es eher kurzfristig zustande?
Jörg Meuthen: Das ist dadurch entstanden, dass ich festgestellt habe, dass die WerteUnion die Partei ist, die die Positionen teilt, für die ich stehe. Anders als die heutige AfD.
Ortenau Journal: Was denken Sie, ist Ihr Markenzeichen? Ihre inhaltlichen Überzeugungen, Ihre Expertise in Sachen Wirtschaft oder Ihre rhetorischen Fähigkeiten?
Jörg Meuthen: Es geht um das Kernthema Freiheit, und zwar Freiheit der Meinung wie auch wirtschaftliche Freiheit. Ich bin überzeugter Marktwirtschaftler und ich möchte die Wirtschaft, die in unserem Bundesland bitter leidet unter der Überregulierung, von diesen Zwängen befreien. Sie soll sich frei entfalten können. Unternehmerische Entscheidungen sind von Unternehmen zu treffen, nicht von Politikern.
Ortenau Journal: Bürokratie ist ein großes Stichwort. Haben Sie da Hoffnung, dass sich da etwas tut in Sachen Bürokratie?
Jörg Meuthen: Wenn man mal aufhörte immer nur von Bürokratieabbau zu sprechen, sondern ihn zu machen, dann wäre das das, was geschehen muss. Es wird unglaublich viel über Bürokratieabbau gesprochen. Im Zweifelsfall werden Arbeitskreise dazu gegründet, die zusätzliche Bürokratie mit sich bringen. Wir brauchen nicht mehr, sondern wir brauchen weniger Gesetze. Wir müssen im Landtag eine Situation herbeiführen, in der die Abschaffung von Gesetzen honoriert wird und nicht dass immer weitere zusätzlich geschaffen werden. Dafür steht die WerteUnion. Die WerteUnion ist eine Partei der Freiheit. Wir wollen wirtschaftliche Freiheit. Unternehmen sollen sich entfalten können und nicht reguliert werden mit unzähligen Vorschriften, was sie anbieten dürfen und was nicht.

Die Wirtschaft ächzt unter der Überregulierung. Foto: freepik
Ortenau Journal: Jetzt wollen Sie mit der WerteUnion in den baden-württembergischen Landtag einziehen. In den Wahlumfragen werden Sie unter Sonstige geführt, die zusammen kaum mehr als vier Prozent vereinen. Wie wollen Sie es trotzdem in den Landtag schaffen?
Jörg Meuthen: Mit Beharrlichkeit, mit Fleiß. Arbeiten, arbeiten, arbeiten, um uns bekannt zu machen. Viele Menschen, das merke ich jetzt, wenn ich Unterstützerunterschriften sammle, kennen uns noch gar nicht. Wenn ich ihnen unser Parteiprogramm gebe, wenn ich mit ihnen rede, sagen sie, das ist eigentlich das, worauf wir gewartet haben. Weil viele sagen, wir würden die AfD gar nicht gerne wählen, sind nur mit den Regierenden nicht einverstanden. Und wir müssen uns bekannt machen als Alternative zur Alternative sozusagen. Weil die Menschen mit der CDU unzufrieden sind und aus guten Gründen die AfD auch nicht mögen. Das freiheitlich-konservativ-bürgerliche Publikum sucht eigentlich eine Partei, die bürgerliche Vernunft vertritt. Das sind wir. Und das Problem eines politischen Start-ups ist es, sich bekannt zu machen. Das ist die große Aufgabe, die wir haben. Das geht nur mit Fleiß und Beharrlichkeit.
Ortenau Journal: Ja, Sie haben es angesprochen. Es gibt eine gewisse Zersplitterung des wirtschaftsliberal-konservativen Flügels mit mehreren Parteien. Wie wollen Sie sich da mit der WerteUnion vom Wettbewerb abheben im Wahlkampf? Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal in Ihrer Partei?
Jörg Meuthen: Wir haben mehrere. Nehmen Sie die Europapolitik. Für die CDU fordert Herr Oettinger die Vereinigten Staaten von Europa und sagt, er sei bereit, seinen deutschen Pass für einen Pass der Vereinigten Staaten von Europa abzugeben. Das ist nicht unsere Position. Die AfD steht für einen Austritt aus der Europäischen Union. Das ist auch nicht unsere Position. Sondern wir wollen eine klare Reformierung dieser Europäischen Union. Aus ihr auszutreten wäre eine Dummheit sondergleichen. Denn wir profitieren vom Binnenmarkt in einer Weise, die den meisten Menschen nicht bewusst ist. Um ein Beispiel zu nennen. Grundsätzlich ist es so, dass wir für marktwirtschaftliche Freiheit stehen. Das tut die CDU im Land nicht. Sie bindet sich an die Grünen und sie sehen, was daraus dann mit dem Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg geworden ist. Es droht eine Detroitisierung der Region Stuttgart. Es droht Baden-Württemberg zum europäischen „rust belt“ zu werden, um die Analogie zu den Vereinigten Staaten zu ziehen. Dagegen wollen wir vorgehen.

Der Niedergang der Autoindustrie sorgte in Detroit für Verwahrlosung und Armut. Foto: freepik
Ortenau Journal: Die Detroitisierung, das ist interessant. Die WerteUnion macht trotz ihres geringen Alters einen etwas verstaubten Eindruck, wenn ich mir das erlauben darf. Auf der Webseite der WerteUnion ist sogar auf dem Foto vom Stuttgarter Fernsehturm trübes Wetter. Wie wollen Sie dem Eindruck entgegenwirken und einen frischeren Eindruck hinterlassen?
Jörg Meuthen: Der Eindruck ist grundfalsch. Das ist eine hochdynamische Partei. Das liegt einfach auch daran, dass wir so unglaublich viel zu tun haben, wie das bei Start-ups grundsätzlich der Fall ist. Wir haben in der Tat an unserer Website noch Verbesserungsbedarf. Das ist in Arbeit. Da würde ich Ihnen gar nicht widersprechen. Im Moment sind wir alle sehr beschäftigt damit, die Unterstützerunterschriften zu sammeln, um überhaupt zur Wahl antreten zu dürfen. Unmittelbar danach gehen wir an diese Geschichten heran.
Ortenau Journal: Wie viele Unterschriften brauchen Sie insgesamt und wie viele haben Sie schon?
Jörg Meuthen: Wir brauchen 2000 für die Landesliste, um zur Wahl überhaupt zugelassen zu werden. Und wir sind auf der Zielgeraden.
Ortenau Journal: Wie ist der Organisationsgrad der Werteunion vor Ort? Bekommen Sie einen vernünftigen Wahlkampf hin?
Jörg Meuthen: Ja, das bekommen wir hin. Wir haben personell insoweit kein Problem, als wir in die ganze Fläche expandieren. Wir haben allein in den letzten zwei Monaten fünf neue Kreisverbände gegründet. Wir haben mittlerweile 17 von 22 Kreisverbänden komplett dastehen. Das heißt, wir sind fast in der ganzen Fläche vertreten. Die noch ausstehenden fünf werden wir in den nächsten Wochen schaffen. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass wir erfolgreich arbeiten können und tatsächlich in ganz Baden-Württemberg vertreten sein werden.
Ortenau Journal: Gibt es in der Ortenau auch einen organisierten Kreisverband?
Jörg Meuthen: Ja, natürlich. Das ist der Kreisverband Emmendingen-Ortenau. Wir haben einen relativ großen Kreisverbandszuschnitt. Das sind etliche Wahlkreise. Allein die Ortenau, das wissen Sie, hat drei Wahlkreise. Wir sind nicht in der Lage, in allen Wahlkreisen antreten zu können, aber in vielen. Ich trete exemplarisch als Direktkandidat im Wahlkreis Kehl an.
Ortenau Journal: Wie steht es um die Finanzen der Werteunion?
Jörg Meuthen: Na ja, wir sind arm, um es deutlich auszudrücken. Wir wissen, dass unsere Partei von Begeisterung und Motivation der Mitglieder lebt. Tatsächlich haben wir keine ansatzweise vergleichbaren Budgets für Wahlkampf zu den etablierten Parteien, also zu den in den Parlamenten vertretenen Parteien. Über solche Mittel verfügen wir nicht. Das machen wir wett mit Eigeninitiative und mit viel Arbeit der Mitglieder.
Ortenau Journal: Sie haben das Wort Eigenverantwortlichkeit irgendwo auf der Website bei Ihnen stehen. Was bedeutet für Sie das Wort Eigenverantwortlichkeit der Bürger?
Jörg Meuthen: Das heißt, dass die Menschen primär für sich selbst verantwortlich sind und ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen sollen. Wir brauchen keinen erziehenden Staat. Die Bundesrepublik Deutschland ist als ein Sozialstaat konzipiert, aber Sozialstaat heißt, dass der Staat in Notlagen hilft. Was wir nicht brauchen, ist eine komplette Regulierung der Menschen, was sie tun dürfen, welche Antriebstechnologien sie nutzen dürfen für ihre Automobile, welche Heizungen sie in ihre Häuser einbauen dürfen, was sie essen dürfen, was sie nicht essen dürfen. Das alles ist völlig überreguliert. Die Menschen sollen in Eigenverantwortung entscheiden, wie sie leben wollen. Und dort, wo Menschen wirklich in Notlage kommen, da greift der Staat subsidiär helfend ein. Das ist eine Aufgabe eines sozialen Bundesstaates. Das muss unser Land leisten und es wäre übrigens auch finanzierbar. Was wir derzeit machen, ist nicht finanzierbar. Wir geben 32 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Sozialleistungen aus. Das ist Irrsinn und wir können uns das nicht leisten. Wir werden mit dieser Art einer Vollkasko-Mentalität und einer kompletten Regulierung der Lebensumstände der Menschen scheitern. Der Staat überhebt sich. Das ist das Problem.

Wieviel Sozialstaat ist finanzierbar? Foto: freepik
Ortenau Journal: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft ja immer weiter auseinander. Halten Sie es nicht für notwendig, dass die Wohlhabendsten, also die Superreichen, ihren Beitrag zum Gemeinwohl beisteuern?
Jörg Meuthen: Da muss ich korrigieren. Die Schere klafft nicht immer weiter auseinander. Man misst die Verteilungssituation mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten. Der ist seit Jahren konstant. Und im Übrigen, schauen Sie sich einmal an, wer das Einkommensteueraufkommen aufbringt. Das sind diejenigen, die tüchtig arbeiten und wir haben einen progressiven Einkommensteuertarif. Das heißt, die obere Hälfte der Einkommenssteuer wird von 10 Prozent der Menschen bezahlt. Das wird nicht dadurch besser, dass man das noch verschärft, sondern ganz im Gegenteil, dann wandern Menschen ab. Und ich erlebe, dass viele Menschen nicht nur Abwanderungsgedanken haben, sondern auch gehen oder das ganz konkret schon planen. Man sollte vielleicht die Kuh, die man melken möchte, nicht gleich schlachten.
Ortenau Journal: Abwanderungsgedanken haben ja auch die Mittelständler. Sie sind ja Wirtschaftsexperte. Gibt es noch eine Chance für die deutsche Wirtschaft, auch künftig im weltweiten Wettbewerb mithalten zu können?
Jörg Meuthen: Wenn wir den Hebel umlegen, ja. Wenn ich daran nicht glauben würde, dann würde ich keine Politik mehr machen. Man muss dann aber auch den Hebel entschieden umlegen. Das geht. Es muss dazu nur eben Reformen geben, keine Reförmchen à la Friedrich Merz. Wir brauchen richtig knallharte marktwirtschaftliche Reformen. Dann wird diese Abwanderungstendenz auch gestoppt. Denn Deutschland hat im Grunde genommen viel zu bieten. Wir sind ein wunderschönes Land. Wir haben immer noch viele Menschen mit sehr hohem Ausbildungsstand und wir sind technologisch eine der führenden Nationen. Wir könnten diese Trümpfe ausspielen. Dann muss man aber tatsächlich die Unternehmen von den Fesseln befreien. Da sind wir dann auch wieder bei der Bürokratie.
Ortenau Journal: Was für Reformen schweben Ihnen konkret vor?
Jörg Meuthen: Marktwirtschaftliche Reformen. Wir müssen tatsächlich entbürokratisieren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ich rede mit einem Mittelständler hier aus der Ortenau, den ich kenne und der uns auch mit seiner Unterschrift unterstützt. Und der sagt mir, er habe gerade die Zertifizierer im Haus: „Die kosten mich eine komplette Woche meiner Arbeitskraft.“ In dieser Zeit kann er seiner eigentlichen Arbeit gar nicht nachgehen. Und das höre ich von Mittelständlern immer wieder. Das meine ich mit aus den Fesseln befreien. Im Grunde genommen haben wir in allen Branchen enorme Dokumentation, Zertifizierung und sonstige Pflichten. Die sind nur noch damit beschäftigt, irgendwelche Formulare auszufüllen, statt ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen. Das muss sich ändern. Denken Sie an Genehmigungsverfahren. Schauen Sie sich an, wie lange hier Genehmigungen brauchen. Die Defizite in der Digitalisierung sind da noch gar nicht eingepreist. Das muss alles schneller gehen, wie in anderen Staaten. Die Leute sagen, ich will und kann hier nicht mehr. Also gründet man Betriebsstätten anderswo. Und das ist eigentlich furchtbar traurig.
Ortenau Journal: Wie schätzen Sie den Rückstand Deutschlands in Sachen KI und Robotik oder Biotechnologie ein?
Jörg Meuthen: Der ist erheblich. Und es ist weniger das Know-how, was da fehlt. Weil wir haben, wenn Sie sich etwa das KIT in Karlsruhe anschauen, ja unglaublich viel Know-how. Also wir haben die Voraussetzungen. Schauen Sie, wenn Sie KI ansprechen: KI braucht Unmengen von Energie. Unmengen. Und diese Energie kann bei uns nicht zu fairen Preisen geliefert werden, weil wir eine völlig verfehlte Energiewende haben. Wir müssen jede erdenkliche Energiequelle nutzen, die wir kriegen können.

Deutschland hinkt bei Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz hinterher. Foto: freepik
Ortenau Journal: Der Bundeskanzler hat mit der Stadtbildaussage vor ein paar Wochen für Irritationen gesorgt. Es entbrannte eine breite gesellschaftliche Debatte und die Empörungsindustrie machte Sonderschichten. Welche Gruppen hat der Kanzler Ihrer Ansicht nach mit der Aussage genau gemeint?
Jörg Meuthen: Ich will jetzt hier keine Textexegese der Aussagen von Herrn Merz machen. Aber ich habe ja selber einmal etwas Ähnliches vor Jahren gesagt und auch da war die Empörungsindustrie auf Hochtouren. Gemeint sind, denke ich, die neuralgischen Punkte. Denken Sie an Bahnhofsviertel in den großen Städten. Steigen Sie mal in Hamburg oder Frankfurt am Hauptbahnhof aus und gehen sie Richtung Taunusstraße. Dann sehen Sie dort ein Herumlungern von Menschen. Sie sehen Kriminalität, Sie sehen Drogenhotspots. Ich denke, dass Merz das gemeint hat. Er hat im Grunde genommen etwas Richtiges gesagt. Die Frage ist, wollen wir das dauerhaft so tolerieren oder wollen wir auch unsere Städte in Ordnung bringen und sollen Menschen sich an Hauptbahnhöfen wieder sicher fühlen können? Das tun sie nämlich nicht mehr. Zu weiten Teilen. Aus nachvollziehbaren Gründen. Ich kann Ihnen sagen, dass mir da auch manchmal nicht wohl ist, wenn Kinder von mir regelmäßig am Karlsruher Hauptbahnhof entlangkommen, weil sie auf ihrem Schulweg da umsteigen müssen. Ich bekomme Erzählungen meiner Kinder von Geschehnissen, die sind wirklich beängstigend. Und da machen sich Menschen Sorgen. Die Aussage von Merz war polarisierend und er drückt sich nicht immer geschickt aus. Aber das, was er anspricht, ist ein Punkt, den man ansprechen dürfen muss.
Ortenau Journal: Vielleicht abschließend noch, wie läuft es bei Ihrem neuen alten Job in der Hochschule Kehl?
Jörg Meuthen: Ich mache da meine Arbeit. Die Arbeit mit den Studierenden macht mir Spaß, wie sie es immer getan hat. Ich glaube auch, dass meine Lehrveranstaltungen gut angenommen werden. Es war ein recht unproblematischer Wiedereinstieg. Das ist ja ein normaler Vorgang. Ich war beurlaubt. Hochschullehrer ist ja mein eigentlicher Beruf. Dem komme ich nach.
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