Ich feiere diesen Song. Wirklich. Thomas D. kann Gesellschaftsanalyse, kann Wut kanalisieren, kann Missstände benennen, ohne platt zu werden. Und genau deshalb ist mir beim Hören etwas unangenehm aufgefallen. Mitten in der Kapitalismuskritik, mitten im Aufbegehren gegen soziale Kälte fällt ein Wort, das quer steht: „Hurensöhne“. Ein Begriff, der kracht – aber in die falsche Richtung. Denn während der Song eigentlich nach oben zielt, trifft dieses Wort nach unten. Und zwar Frauen.
Aggressives Schimpfwort
Das ist kein moralischer Zeigefinger gegen Thomas D. (YouTube: Thomas D. „Hurensöhne“). Im Gegenteil: Gerade weil die Botschaft des Songs eine andere ist, lohnt sich der genauere Blick. „Hurensöhne“ ist eines der aggressivsten Schimpfwörter im Deutschen. Es richtet sich scheinbar gegen Männer, beleidigt aber vor allem Frauen – konkret jene, die als „Huren“ markiert werden. Frauen also, deren Körper historisch, ökonomisch und gesellschaftlich abgewertet wurden und werden. Der Adressat ist männlich, die Abwertung weiblich. Das ist kein Zufall, sondern Struktur.
Keine freie Entscheidung
Wie der Deutschlandfunk-Journalist Felix Lill beschreibt, zeigt sich hier exemplarisch, wie Sprache Machtverhältnisse transportiert und reproduziert (Deutschlandfunk, Felix Lill). Besonders brisant ist der Kontext: Sexarbeit ist für viele Frauen keine freie Entscheidung, sondern Ergebnis von Armut, Migration, Gewalt oder fehlenden Alternativen. Wer dann mit „Hurensohn“ schimpft, ignoriert diese Realität – und verstärkt ein Stigma, das ohnehin schon auf den Betroffenen lastet.

Sexarbeit ist für viele Frauen Ergebnis von Armut und Migration. Foto: freepik
Patriarchalische Muster
Das Wort ist damit doppelt verletzend: Es attackiert eine Person und entwertet zugleich eine ganze Gruppe. Und es offenbart, wie tief patriarchale Muster selbst dort sitzen, wo eigentlich Kritik am System geübt werden soll. Genau hier unterläuft das Schimpfwort die eigene Botschaft des Songs.
Sprache prägt das Denken
Wer jetzt abwinkt und sagt, das sei doch nur Sprache, sollte genauer hinhören. Sprache ist nie nur Verpackung. Sie prägt Denken, Bilder, Grenzen. Im Fußball etwa ist „Hurensohn“ längst Chorgesang. Auch in der Kurve des SC Freiburg – Eigentlich ein Club mit einer Fan-Szene, die sich zumindest gegen Sexismus und Rassismus stark macht – ist das Wortkonstrukt kaum tabu.
Entgleisungen im Fußball
Fans in den Fußball-Arenen skandieren es gegen Spieler, Funktionäre oder Mäzene – prominent etwa gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp. Selbst Profis wie Bastian Schweinsteiger stimmten 2014 entsprechende Gesänge an. Kaum jemand denkt dabei konkret an Sexarbeit. Aber genau das ist das Problem: Die Abwertung wirkt auch dann, wenn sie unbewusst ist.
Wo ist der „Schampenis“?
Warum gibt es „Powerfrauen“, aber keine „Powermänner“? „Working Moms“, aber kaum „Working Dads“? Warum kennen wir „Schamlippen“, aber keinen „Schampenis“? Das fragt sich auf Berlin.de die Gleichstellungsbeauftragte des Berliner Bezirks Reinickendorf. Sie zeigt auf, wie systematisch Sprache weibliche Sexualität negativ markiert. Der Begriff „Schamlippen“ geht auf Johann Friedrich Blumenbach zurück – 1787. Dass er bis heute verwendet wird, ist kein biologischer Zufall, sondern kulturelles Erbe (Berlin.de, Gleichstellungsbeauftragte Reinickendorf).

Für den Begriff „Powerfrau“ gibt es keine männliche Entsprechung. Foto: 8photo/freepik
Moralische Waffe gegen Frauen im Mittelalter
Auffällig ist auch, dass die härtesten Schimpfwörter fast durchweg Frauen diskriminieren: Hure, Schlampe, Nutte, Bitch. Selbst wenn mit „Hurensohn“ Männer gemeint sind. Der Begriff „Hure“ hatte ursprünglich eine völlig andere Bedeutung – er leitete sich aus Wortstämmen ab, die „lieb“ oder „teuer“ meinten. Erst im Mittelalter wurde daraus eine moralische Waffe gegen Frauen. Eine sprachliche Entsprechung für ehebrechende Männer? Hat sich bis heute nicht durchgesetzt.
Derber Rapper-Sprache
Im Rap ist diese Logik besonders zugespitzt. Zeilen wie „Ich spritz der Bitch in den Hals“ oder „Ich hab den Keller voll mit Nutten“ laufen millionenfach, preisgekrönt, oft unkommentiert. Der Gewöhnungseffekt ist real: Was ständig wiederholt wird, senkt die Hemmschwelle zur physischen Gewalt. Psychische Gewalt ist es allemal – und sie bleibt nicht folgenlos.
Abwertung des Weiblichen
Natürlich gibt es auch männliche Beleidigungen. Aber sie zielen auf ein Defizit an sexueller Aktivität („Schlappschwanz“). Wenn Männer versagen, werden sie herabwürdigend als „Pussy“ beschimpft – und wieder wird das Weibliche abgewertet. Der Begriff impliziert, dass Frauen generell nicht durchsetzungsfähig und erfolgreich sein können. Auch hier zeigt sich: Unsere Sprache ist kein neutraler Raum.
Herausbildung konstruktiver Ansätze
Was folgt daraus? Keine Zensur, kein Tabu, kein moralischer Hochsitz. Sondern Bewusstsein. Sprache ist formbar. Und sie kann Macht nicht nur legitimieren, sondern auch infrage stellen. Gerade Autoren, Redaktionen und Institutionen tragen hier Verantwortung. Klare Sprachrichtlinien, Fortbildungen zu gendergerechter und respektvoller Sprache, redaktionelle Qualitätskontrollen, offene Dialogkanäle mit dem Publikum – all das sind keine Luxusdebatten, sondern Handwerkszeug. Kontextualisieren statt verschweigen, erklären statt normalisieren.

Redaktionen tragen besondere Verantwortung für respektvolle Sprache. Foto: pressfoto/freepik
Begriffe hinterfragen
Auch wir als kleine Redaktion des Ortenau Journals wollen hier ansetzen. Als gemeinnütziges Online-Magazin können wir nicht alles ändern – aber wir können mit gutem Beispiel vorangehen. Texte prüfen, Begriffe hinterfragen, Feedback ernst nehmen. Einordnen! Sprache bewusster wählen, ohne sie zu glätten oder zu entkräften.
Beziehungen formen
Der Befund ist klar: Sprache formt Empathie oder Ausschluss. Wer über Frauen spricht, formt Beziehungen, Sichtweisen und letztlich Gerechtigkeit im Alltag. Wenn wir diskriminierende Begriffe benennen, ihre Herkunft erklären und Alternativen anbieten, legen wir einen Grundstein für respektvollere Kommunikation – nicht nur in Redaktionen, sondern im öffentlichen Diskurs insgesamt.
Inflationärer Gebrauch im Deutsch-Rap
Vielleicht ist genau das die eigentliche Stärke eines guten Songs: dass er nicht nur trifft, sondern auch Fragen offenlegt. Und dass wir anfangen, ihnen zuzuhören. Übrigens: Der Song von Thomas D. hat den Begriff „Hurensohn“ nicht exklusiv. Auf YouTube wimmelt es von Musikvideos, in deren Titel „Hurensohn“ oder „Hurensöhne“ vorkommen. Ein paar Beispiele, vorwiegend Deutsch-Rap, seht ihr hier:
1. GZUZ & BONEZ – HURENSOHN Deutsch-Rap
3. Rumbombe – „HURENSOHN“ (Offizielles Musikvideo) Ballermann Hit
4. Adolph Gandhi – Arschgefickter Hurensohn (feat. Asse der Hedonihilist) Deutsch-Rap
5. MoH & Herr Kuchen – Du kleiner Hurensohn (prod. by Herr Kuchen) 28.700 Views
6. AGGRO BERLIN-ARSCHGEFICKTER HURENSOHN – AGGRO BERLIN LABEL NR.1 2001-2009 X – ALBUM – TRACK 01
7. K.I.Z. – Hurensohn (Live Rock am Ring 2015) 2 Millionen Views
8. VdSidC – Nr. 005 – ZUNA – HURENSOHN / C’EST LA VIE 2,7 Millionen Views
9. Hurensohn des Jahres SoundVibes3333 – 3.300 Views
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