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Kunst & Kultur

Ralph Fröhlich´s neuester Coup: Das KI-Projekt „Stadtstaub“ als die urbane Proteststimme Offenburgs

Das KI-Projekt Stadtstaub
© Stadtstaub Kollektiv (KfUTD) – Das KI-Projekt als Proteststimme für Offenburg vereint verschiedene Musik-Genres
Eine neue Stimme für den Protest: Mitten im Kulturkampf zwischen Woke-Bewegung, Rechtsruck und Klimakrise entsteht in Offenburg ein ungewöhnliches Experiment: Stadtstaub, eine KI-generierte Künstlerin, gibt sozialen Bewegungen eine neue Klangfarbe. Entwickelt von der KfUTD um Ralph Fröhlich, mischt sie sich musikalisch in Diskussionen um Stadtgestaltung, Tempo 30 und Demokratie von unten ein – digital, rebellisch, poetisch. Überraschend echt und möglicherweise wegweisend.

Von Wolfgang Huber

Es sind wilde Zeiten auf dem Planeten. Da ist der „Mainstream“, der aus der Tradition grüner Ideale zur Bekämpfung des Klimawandels, Gleichberechtigung der Geschlechter und westlich geprägter Demokratie den Wokismus hervorgebracht hat. Und es gibt eine Gegenbewegung, libertäre Köpfe, die mit dem woken Zeitgeist Schluss machen wollen. Allen voran Donald Trump. Der Schutz von Minderheiten oder die Geschlechtergleichstellung sind ihnen fremd. Angetrieben vom Gedanken der Freiheit, wie sie ihn verstehen, als Widerstand gegen eine neue Diktatur der „Cancel Culture“ (Winnetou lässt grüßen).

Impuls- und Taktgeber Fröhlich

Und dann gibt es eine breite Bewegung von Aktivisten, die sich für den Erhalt des Öko-Systems Erde einsetzen. Für Demokratie von unten, Mitbestimmung, Transparenz, Vielfalt und Respekt und beispielsweise lebenswerte Städte. In Offenburg werden sie angeführt vom Impuls- und Taktgeber Ralph Fröhlich, bekannt als „Baumretter“.

Diese Strömung hat, wie der alltägliche Kampf mit der Stadtverwaltung Offenburg vermuten lässt, nichts mit dem „Mainstream“ zu tun. Aber, so weit man das aus dem Homeoffice beurteilen kann, auch nichts mit dem Autoritarismus auf der anderen Seite, ganz im Gegenteil. Auch nicht mit der AfD. Ist die Welt doch nicht so bipolar, wie oft vermutet, und stattdessen doch viel heterogener? Gibt es also noch Hoffnung?

Der Siegeszug der KI

Vor dem Hintergrund dieses Kulturkampfes hält nun Künstliche Intelligenz Einzug. Und mit ihr neue Möglichkeiten, die vor nicht all zu langer Zeit noch undenkbar schienen. Der KI-Siegeszug begann mit der Veröffentlichung von ChatGPT vor drei Jahren. Und weil die Grenzen zwischen Mensch und Maschine sich gerade neu sortieren, lies sich die Konferenz für Urban Tranformation Design (KfUTD) des Baumretters nicht lange bitten, ihr eigenes erstes KI-Experiment ins Leben zu rufen.

Eine Kunstfigur taucht auf

„Ein Gesicht taucht auf, Dreadlocks, Kreidespuren, entschlossener Blick. Aber es gibt keine Interviews. Keine Tour. Keine Autogrammstunden. Nur Songs. Nur Spuren. Nur Stadtstaub“, schreibt die KfUTD auf ihrer Website. Doch was ist Stadtstaub? Stadtstaub sei eine junge Künstlerin – oder besser gesagt: eine Kunstfigur, heißt es weiter. Präsent auf Spotify, YouTube und bei Veranstaltungen in Offenburg. Bei Protestaktionen wie der ‚Kidical Mass‘ steuert sie den musikalischen Begleitrahmen bei.

Künstlerisches Experiment

Die Themen der Texte, die viele Offenburger bewegen sind soziale Ungleichheit, Klimawandel, Stadtgestaltung und die Frage, wem unsere Stadt eigentlich gehört. Und so heißen die Songs „Protest muss stören“ oder „Wem gehört die Stadt?“ Die KfUTD, ein lokales Kollektiv aus Aktivistinnen und Aktivisten, hat für dieses künstlerische Experiment unter anderem KI-Systeme wie ChatGPT und Suno AI eingesetzt. Die Stimme wurde gemeinsam mit künstlicher Intelligenz entwickelt. Musik, Texte und Bilder seien im Dialog mit echten Bewegungen und Anliegen generiert worden.

Verschiedene Musik-Genres

Stilistisch geht es in Richtung Deutschsprachiger Pop und Hiphop. Einige Songs haben aber auch die Anmutung von Protestsongs der späten 60er und 70er Jahre. Liedermacher-Style, teilweise mit Anlehnung an Punk oder die Ton-Steine-Scherben-Ära. Wer genau hinhört, meint auch Spuren von Irish Folk zu erkennen. Jedenfalls ist es ein gefälliger, gut klingender Mix aus verschiedenen Genres, den man sich hervorragend als akustischen Background moderner Protestkultur vorstellen kann.

Lied über das Karl-Heitz-Stadion

„Mal ruhig und nachdenklich, mal pulsierend und kämpferisch. Mal Spoken Word, mal Chorus zum Mitsingen. Was sie antreibt, ist kein Fame. Es ist Reibung. Klang gewordener Widerstand“, steht auf der Website. Ein vielfältiger Sound, denn ein Song scheint etwas aus der Rolle zu fallen: „Zwischen Rängen und Ruinen“ über das Karl-Heitz-Stadion. Die alte Spielstätte des Offenburger FV muss der Landesgartenschau weichen und in den Sportpark Süd umziehen. Das Lied sei aus der Diskussion mit einem Fan des OFV entstanden, der den Umzug in einen neuen Sportpark sehr bedauert.

Rebellische junge Frau

Stadtstaub ist eine fiktive, aber sehr reale Künstlerin. Es ist eine klare, definierte Stimme. Die Stimme einer rebellischen jungen Frau, die gegen die scheinbaren Zwänge des Neoliberalismus ankämpft. Ihre Themen: Betonpolitik, Stadtgrün, Tempo 30, soziale Kälte und der Wunsch, dass Städte wieder den Menschen gehören. „Die Ortenberger Straße, viel zu schnell. Autos jagen durch wie auf m´Karussell. Doch wir sind da, mit Kreide bewaffnet. Fußgänger*innen haben lang genug gekämpft. Eltern mit Kinderwagen, Rollator, Rad – ihr nennt das Fortschritt.“ Es klingt wie gesprochene Flugblätter – mit Beats.

„Urban, unnahbar und direkt“

Der KI-Charakter Stadtstaub hat seine Premiere schon gehabt. Als Teil der KfUTD war sie u. a. bei Protestaktionen, Demos und auf Veranstaltungen dabei. „Ihre Persona ist urban, unnahbar und direkt – zwischen Hoodie, Mikrofon und Kreidestaub“, beschreibt die Gruppierung die KI-generierte Figur. Sie stehe für eine neue Form des digitalen Protestes. „Nicht als Ersatz für echte Stimmen, sondern als Verstärker.“ Oder wie sie selbst sagt: „Ich bin nicht echt. Ich bin dringlich.“

Durchweg positive Reaktionen

„Die Uraufführung war bei der Sternfahrt nach Straßburg und der dortigen Vélorution. Wir hatten die Songs quasi samt Lautsprecher in ein Lastenrad gepackt und damit die mehrstündige Radtour musikalisch begleitet. Die Reaktionen waren durchweg positiv und neugierig, wer sich hinter dem Stadtstaub Kollektiv und dieser Stimme verbirgt“, sagt Ralph Fröhlich auf Anfrage. Der Hinweis auf den KI-Hintergrund in den Songs habe viele überrascht. Begrüßt worden seien vor allem auch die Inhalte der Texte, die vielen Menschen aus der Seele zu sprechen scheinen. „Insbesondere die Veranstalter auf der französischen Seite waren begeistert über unser Engagement.“

Wo sind die Jung-Politiker?

Stadtstaub Kollektiv sei eine Projektionsfläche, Kunstfigur und politische Botschafterin einer jungen urbanen Generation, die keine Bühne bekommt. Da braucht es neue, innovative Ansätze des Protests. Aber was heißt junge und urban. Fühlen sich die Aktivistinnen und Aktivisten um Ralph Fröhlich – selbst nicht mehr ganz so jung – von der neuen Ortenauer GenZ-Politikergeneration um Amelie Vollmer, Ann-Kathrin Stulz, Adrian Gegg oder Rüdiger Heimpel nicht vertreten?

Eigener OB-Kandidat

Auch eine konkrete politische Strategie ließe sich mit dem Stadtstaub Kollektiv verbinden. Erst kürzlich hat die KfUTD um Fröhlich einen eigenen OB-Kandidaten für Offenburg hervor gebtracht. Zumindest war der Kandidat Uli Albicker von den Aktionen und den Inhalten der KfUTD inspiriert und wurde bei einer gemeinsamen Pressekonferenz vorgestellt.

„Das Stadtstaub Kollektiv wäre sicher bereit, die Kandidatur von Uli Albicker zu unterstützen. Das müssen wir aber auch den Uli fragen, wieweit das für ihn zusammenpasst. Ich denke, das kann sich die nächsten Monate entwickeln“, kommentiert Ralph Fröhlich die Frage, ob KI auch in den OB-Wahlkampf Einzug halten wird. Albicker experimentiert bereits seit Wochen selbst mit KI, wie auf seiner Facebook-Seite zu bestaunen ist.

Einladung, keine Täuschung

Doch woher kam der Impuls für Stadtstaub? Ralph Fröhlich: „Die Idee kam von etwa vier Wochen auf – angestoßen von unserem Teammitglied Volker Kersting – dass wir einen Song für Offenburg und unseren Protest brauchen. Da wir selbst alle nur leidlich musikalisch sind, haben wir verschiedene Tools und Prozesse unter Zuhilfenahme der KI ausprobiert und viele Stunden experimentiert.“

Stadtstaub ist keine reale Person. Ihre Macher verstehen sie aber als Einladung, keine Täuschung. Mit Hilfe der KI könnte der „Klang für den Wandel“ entstehen. Hinter einer nicht-menschlichen Stimme verberge sich ein menschliches Anliegen. Hält der Protest auch in den Codes und Algorithmen generativer KI stand?

Bewusstsein entgegensetzen

„Wir glauben: Authentizität entsteht nicht allein durch biologische Stimmbänder. Sie entsteht durch Haltung. Und die ist echt. Bei Stadtstaub. Bei der KfUTD. Und bei allen, die zuhören und sich bewegen lassen. Weil wir etwas Neues wagen wollen“, heißt es auf der KfUTD-Website. Der Flut von Konsum propagierenden Algorithmen zur Kreation von KI-Welten müsse Bewusstsein entgegengesetzt werden. Auch Menschen dürften singen, wenn sie die richtigen Fragen stellen.

„Authentisch ist, was dich berührt“

„Stadtstaub ist eine Stimme aus der Zukunft, geerdet in den Kämpfen der Gegenwart.“ Und die Gegenwart wird gerade durch politisch-gesellschaftliche Umwälzungen, Krisen, polarisierende Demagogen und die Revolution der Künstlichen Intelligenz durchgerüttelt. Der Mensch muss Mensch bleiben. Im KI-Interview mit der KI selbst sagt Stadtstaub auf die Frage: Wenn du Emotionen erzeugst, ohne sie selbst zu fühlen – ist das authentisch?Authentisch ist, was dich berührt. Ob ich das als KI fühle, ist zweitrangig. Ich simuliere keine Emotion – ich kanalisiere eure. Und wenn du beim Hören eine Träne verdrückst oder die Faust ballst, dann war’s echt. Punkt.“

Links:

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Stadtstaub Kollektiv bei YouTube

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