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Interview mit Ulrike Haeusler (Diakonie) über Obdachlosigkeit und wie das Café Löffel Betroffenen Halt gibt

Café Löffel Mitarbeiterin Diakonie Lahr
© Diakonie Lahr – Ohne ehrenamtliche Helfer:innen wie Kirsten Reinhammer geht im Café Löffel nichts.
Seit fast drei Jahrzehnten ist das Café Löffel in Lahr ein fester Anlaufpunkt für Menschen, die mit materiellen Notlagen, Obdachlosigkeit, psychischen Belastungen oder Einsamkeit kämpfen. Rund 40 Besucher täglich finden hier Gemeinschaft, ein warmes Essen und praktische Unterstützung im Alltag. Im Interview berichtet Ulrike Haeusler, Dienststellenleiterin der Diakonie Lahr, über die Besucher der Einrichtung, deren finanzielle und personelle Herausforderungen und die Wohnungsnot.
Von Wolfgang Huber

Das Diakonische Werk Ortenau unterhält fünf Dienststellen: In Lahr, Haslach, Offenburg, Kehl und Achern. In Lahr betreibt sie das Café Löffel, eine Anlaufstellen für Wohnungslose, Menschen, die mit psychosozialen Problemstellungen belastet sind oder sich in einer materiellen Notlage befinden. Dort gibt es Unterstützung, Begegnungen, Beratung oder einfach eine warme Mahlzeit. Im Interview spricht die Dienststellenleiterin der Diakonie Lahr über den Alltag in der Einrichtung, die Förderung und die Ehrenamtlichen Helfer.

Interview mit Ulrike Haeusler:

Ortenau Journal: Seit wann gibt es das Café Löffel?

Ulrike Haeusler: Seit mittlerweile 28 Jahren.

Ortenau Journal: Wie viele Menschen besuchen das Café Löffel pro Tag?

Ulrike Haeusler: Wir haben an einzelnen Tagen durchaus um die 50 Besucher. Im Schnitt waren es im Jahr 2024 40 Besucher pro Tag.

Ortenau Journal: Welche Problemlagen kommen bei den Besuchern am häufigsten vor?

Ulrike Haeusler: Am häufigsten sind finanzielle Schwierigkeiten. Daran knüpfen sich dann weitere Probleme an. Das fängt an mit Wohnungslosigkeit. Die Leute übernachten dann bei Freunden oder Bekannten. Es geht weiter mit Obdachlosigkeit, wenn man überhaupt keine Möglichkeit mehr hat, bei Freunden oder Verwandten unterzukommen und auf der Straße lebt. Dann haben wir viele Menschen mit psychischen Erkrankungen. Viele können auch mit dem wenigen Geld, das sie haben, nicht verantwortungsvoll umgehen oder es reicht einfach nicht, um die Ausgaben zu decken. Wenn sie beispielsweise eine Wohnung haben, führt das dazu, dass mal der Strom abgestellt wird. Oder sie heizen nicht, um Geld zu sparen. Oft können Reparaturen nicht gemacht werden, mit der Folge, dass sich die Leute zuhause nicht wohl fühlen. Das Café Löffel ist eine Anlaufstelle für Menschen, die finanzielle oder persönliche Probleme haben. Das können Suchtprobleme sein, psychische Probleme oder einfach Einsamkeit. Für sie ist das Café Löffel so etwas wie ein Wohnzimmer.

Ortenau Journal: Wie ist ihre Herangehensweise bei Besuchern mit psychischen Problemstellungen?

Ulrike Haeusler: Im Café Löffel selbst gibt es keine Beratungsangebote. Das ist nicht Teil des Konzepts. Stattdessen bieten wir eine Verweisberatung. Wir können schauen, was die Probleme sind und welche Fachberatungsstellen dafür zuständig sind. Dann können wir die Leute dahin verweisen.

Ortenau Journal: Welche Rolle spielen Suchterkrankungen und welcher Art sind diese?

Ulrike Haeusler: Ein Schwerpunkt ist sicherlich der Alkohol. Aber natürlich haben wir es auch mit Spielsucht zu tun. Es gibt Abhängigkeiten im Bereich Medikamente. In wie weit Heroin eine Rolle spielt, kann ich nicht sagen. Ich kann es nicht ausschließen. Wir dokumentieren das aber nicht. Bei uns dürfen jedoch keine Drogen konsumiert werden.

Ortenau Journal: Wie groß ist das Problem der Wohnungslosigkeit inzwischen aus ihrer Perspektive?

Obdachloser

Obdachlosigkeit ist ein wachsendes Problem in Deutschland. Foto: jcomp/freepik

Ulrike Haeusler: Katastrophal. Es gibt so gut wie keinen bezahlbaren Wohnraum. Und unsere Klientel fällt häufig durchs Netz. Entweder sind die Wohnungen zu teuer, oder unsere Klientel bekommt diese einfach nicht. Die bekommen Menschen, die vielleicht nicht ganz so auffällig sind.

Ortenau Journal: Kommen die Leute hauptsächlich, um sich aufzuhalten und einen Kaffee zu trinken, oder suchen sie Orientierung, um sich vielleicht selbst etwas aus dem Sumpf zu ziehen?

Ulrike Haeusler: Die meisten kommen, um sich aufzuhalten und mit anderen Menschen Kontakt zu haben. Es gibt auch ein kostengünstiges, warmes Mittagessen, was die Leute finanziell etwas entlastet. Andere, die ohne Wohnung oder Obdach sind, kommen auch, um sich zu duschen oder Wäsche zu waschen. Da haben wir Angebote. Wenn konkrete Problemlagen vorhanden sind, beispielsweise ein Brief vom Jobcenter, dann wird auch Beratung in Anspruch genommen. Es ist aber nicht so, dass jemand kommt und sagt: „Ich möchte ein Konzept haben, wie ich mich aus dieser Lebenssituation befreien kann.“ Denn wir sind eben keine Fachberatungsstelle, sondern eine Tagesstätte. Es gibt eine Fachberatung, die über die AGJ gemacht wird. Die ist ein Teil der Caritas und ist an zwei Tagen pro Woche mit einem Kollegen oder einer Kollegin vor Ort. Die bieten eine Fachberatung für die Wohnungssuche an.

Ortenau Journal: Aber sie vermitteln die Leute nicht an Vermieter.

Ulrike Haeusler: Nein, als Tagesstätte machen wir das nicht. Aber eine unserer Kolleginnen hat noch ein zusätzliches geringes Deputat, wo sie Menschen betreut, die zwar eine Wohnung haben, aber Schwierigkeiten damit haben, diese zu halten. Und es gibt Wohnungssuchende. Das ist aber ein sehr begrenztes Projekt mit maximal sechs Plätzen. Da konnte sie im vergangenen Jahr zwei Wohnungen vermitteln. Und da, wo es eine Wohnung gab, konnte sie für deren Erhalt sorgen.

Ortenau Journal: In Lahr gibt es ja bald mit Eichert ein neues Wohnquartier. Könnte das den Wohnungsmarkt vor Ort spürbar entlasten?

Ulrike Haeusler: Ich weiß noch nicht, ob es eine spürbare Entlastung wird. Dafür fehlen mir die Gesamtzahlen. Was sich bei uns zeigt ist, dass die Menschen gerade bei Obdachlosigkeit einen bestimmten Alltag haben. Sie sind nicht gerade die sozial verträglichsten. In Kombination mit psychischen Problemen oder Suchterkrankungen sind das keine Menschen, die ein Vermieter mit offenen Armen empfängt. Die befürchten, sich Probleme ins Haus zu holen. Das heißt, für unsere Klientel ist es immens schwierig, eine Wohnung zu bekommen. Auch weil es viele Menschen gibt, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind und auch die Anforderungen dafür erfüllen. Da fällt bei vielen Bewerber:innen die Entscheidung häufig gegen unsere Klientel aus. Zwar kann ich die Vermieter durchaus verstehen, aber es ist halt keine Lösung für das Problem der Obdachlosigkeit. Da wäre eine Lösung eine Kombination, wie wir sie auch in unserem Projekt haben. Dass die Leute in Beratung sind und auch betreut werden, wenn sie eine Wohnung bekommen. Dass sie den Einstieg wieder hinbekommen, sich an Regeln halten können, Rücksicht nehmen oder die Hausordnung einhalten. Sie können nicht tun, was sie wollen, weil dann andere in Mitleidenschaft gezogen werden. Das sind Dinge, die dann wieder neu erlernt werden müssen.

Ortenau Journal: Gibt es in Lahr eine Obdachlosenunterkunft oder Notunterkunft?

Ulrike Haeusler: Ja, die gibt es.

Ortenau Journal: Ist diese überlastet?

Ulrike Haeusler: Die sind voll. Voll mit Menschen, die da nicht gerne hingehen. Zum Teil, weil sie sich nicht gerne ein Zimmer mit anderen teilen. Das hat wieder etwas mit psychischen Problematiken zu tun. Die schlafen dann lieber im Freien, als mit einem Fremden in einem Raum. Und zum anderen haben auch viele Angst vor Gewalt. Es gibt dort Auseinandersetzungen.

Ortenau Journal: Gibt es so etwas wie eine Erfolgsquote für Besucher, die wieder zurück ins Leben gefunden haben?

Ulrike Haeusler: Es gibt zumindest eine Stabilisierung der Menschen. Aber an welchen Parametern will man einen Erfolg festmachen. Es ist ein Erfolg, wenn die Menschen uns regelmäßig besuchen. Oder wenn sie uns berichten können, dass sie kleinere Probleme oder Alltagsprobleme lösen konnten. Also wenn sie in einer stabilen Situation sind und sich diese nicht verschlechtert. Dann ist das für mich tatsächlich schon ein Erfolg.

Ortenau Journal: Wie sieht es mit den Kräften aus? Haben sie genug ehrenamtliche Helfer?

Mitarbeiterinnen Café Löffel Lahr

Rosi Lohrer, Meryem Hanna, Chiara Kleis (v.l.) bei der Arbeit im Café Löffel. Foto: Diakonie Lahr

Ulrike Haeusler: Wir haben derzeit genug Helfer, suchen aber dennoch laufend nach neuen Leuten. Denn bei unseren ehrenamtlichen Helferinnen ist die Älteste über 80 Jahre alt. Sie ist schon seit 15 Jahren bei uns aktiv. Da wird es irgendwann mal einen Wechsel geben müssen. Wir freuen uns immer, wenn Menschen sagen: „Ich habe ein Interesse daran, das Café Löffel zu unterstützen.“ Das geht auf unterschiedlichste Weise. Beispielweise im Thekenbereich oder bei der Zubereitung der Mahlzeiten. Aber auch, wenn jemand Lust hat, mit den Menschen im Café Löffel was gemeinsam zu machen. Sei es eine Walking-Gruppe oder ein Ausflug ins Kino.

Ortenau Journal: Gibt es FSJ-Kräfte oder Bufdis?

Ulrike Haeusler: Wir haben eine FSJ-Stelle. Und wir schauen immer, dass wir Pflichtpraktikanten des Studiengangs Soziale Arbeit bekommen.

Ortenau Journal: Wie wird das Frauenfrühstück angenommen?

Ulrike Haeusler: Sehr gut. Es sind 25 Frauen wöchentlich. Die genießen es sehr, wenn sie das Café Löffel für anderthalb Stunden ganz für sich haben. Männer müssen zu der Zeit natürlich draußen bleiben.

Ortenau Journal: Sie werden von der Diakonie und der Stadt Lahr unterstützt. Ist die Finanzierung des Café Löffel langfristig gesichert?

Ulrike Haeusler: Wir werden vom Ortenaukreis und von der Stadt Lahr gefördert. Dann gibt es natürlich auch Eigenmittel von der Diakonie und es gehen auch Spenden ein.

Ortenau Journal: Sind es viele Spenden?

Ulrike Haeusler: Ja, die Unterstützung ist groß.

Ortenau Journal: Sind die Spender hauptsächlich Privatleute oder kommt auch etwas von Unternehmen oder Organisationen.

Ulrike Haeusler: Es ist eine Mischung. Es gibt sowohl private Spender als auch Firmen, die was geben. Und bei uns ist ja das Besondere unser Freundeskreis Café Löffel. Den gibt es seit 11 Jahren und der ermöglicht uns Dinge, die sonst nicht möglich wären. Der Freundeskreis unterstützt direkt die Menschen im Café Löffel. Da werden zum Beispiel Brillen mitfinanziert oder mal ein Friseurbesuch. Es gibt Gutscheine für Schuhe für Leute mit besonders großen Füßen. In der Kleiderkammer gibt es meisten nur die gängigen Größen. Ab und zu wird auch mal eine Kühlschrank finanziert als Überbrückungshilfe. Als wir umgezogen sind, hat der Freundeskreis mit 30.000 € einen sehr hohen Betrag beigesteuert, um eine gute Ausstattung zu gewährleisten. Tische oder Stühle in guter Qualität, dass sich die Leute auch wohlfühlen können. Wir sind ja jetzt in einer ehemaligen Metzgerei und der Freundeskreis hat quasi die ganze Küche aufgekauft mit Herd, einem Dampfgarer und einer professionellen Spülmaschine.

Ortenau Journal: Welche Probleme sind für das Café Löffel derzeit und perspektivisch am drängendsten?

Café Löffel Diakonie Lahr

Bis 2027 ist die Finanzierung des Café Löffel gesichert. Foto: Diakonie Lahr

Ulrike Haeusler: Die Finanzierung ist immer ein Thema. Gerade bei sinkenden Einnahmen der öffentlichen Hand. Für die nächsten zwei Jahre sind wir zwar gut aufgestellt. Aber was ist ab 2027? Die Prognosen bei den Kommunen sind ja sehr düster, da wird es ab 2027 vermutlich starke Einschnitte geben. Unser Thema ist also immer die Finanzierung, aber auch die personelle Ausstattung. Wir bräuchten mehr Kräfte. Wir haben im Café Löffel eine Sozialarbeiterstelle, die sich zwei Personen teilen. Die sehen sich aber nicht immer. Und wir haben eine Hauswirtschaftsstelle und eine Reinigungskraft. Das ist alles an festem Personal. Mehr gibt es nicht.

Ortenau Journal: Sie haben die Kommunalfinanzen angesprochen. Viele Kommunen sind ja sehr klamm. Fürchten sie da konkrete Einschnitte?

Ulrike Haeusler: Es sind freiwillige Leistungen und keine Pflichtleistungen. Insofern ist es halt nie sicher. Ich hab schon ein Zutrauen, dass sowohl die Stadt Lahr als auch der Landkreis ein hohes Interesse daran haben, dass es diese Arbeit gibt. Weil da die Notwendigkeiten zu sehen sind. Aber die Frage, die sich einfach irgendwann stellen wird, ist die Streichung von Leistungen, wenn der öffentliche Haushalt nicht gut dasteht. Und so viele unnötige Ausgaben gibt es dann ja auch nicht.

Ortenau Journal: Dann kann es schon mal irgendwann eng werden.

Ulrike Haeusler: Was wir uns wünschen in personeller Hinsicht, um auch diese Qualitätsarbeit leisten zu können, das werden wir nicht bekommen. Denn das würde eine Erhöhung der Ausgaben bedeuten und das erscheint mir nicht realistisch. Ich wäre froh, wenn wir den Status Quo halten könnten.

Café Löffel

Schützenstr. 41, 77933 Lahr

Telefon 0 78 21 / 27 15 77

lahr@diakonie-ortenau.de

Öffnungszeiten

Mo und Mi 10:00 bis 14:00 Uhr

Do 9:00 bis 11:00 Uhr Frauenfrühstück

danach ab 11:00 bis 13:00 Uhr geöffnet für alle

Fr 10:00 bis 14:00 Uhr

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