Der Begriff Strategie stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus zwei Worten zusammen, an die man bei seiner Verwendung vermutlich weniger denkt: stratos = Heer und agein = führen. Ein Stratege ist demnach ein Heerführer. Die Kies-Strategie der Stadt Rheinau, die Mitte Dezember dem Gemeinderat vorgestellt und von diesem nahezu einstimmig verabschiedet wurde, ist nun Teil einer keineswegs kriegerischen, jedoch durchaus herausfordernden Auseinandersetzung zwischen Bürgerschaft, Kieswerken und Verwaltung. Die Kernaussage der verabschiedeten Strategie lautet: Die wirtschaftlichen Vorteile des Kiesabbaus sollen weiterhin genutzt, die Auwälder gleichzeitig geschützt und die Zukunft des Kiesabbaus grundlegend neu gestaltet werden.
Bürgerentscheid am 8. März 2026
1.848 Bürgerinnen und Bürger setzten sich im August 2025 für einen Bürgerentscheid ein, der am 8. März 2026 darüber bestimmen wird, ob das Kieswerk in der Rheinauer Gemeinde Diersheim erweitert werden darf. Die Initiatoren des Bürgerentscheids bewerten die Kiespacht sowie die von den Kieswerken gezahlte Gewerbesteuer als „weniger relevant“, wie auf der Website der Gesellschaft für Klima und Demokratie nachzulesen ist.
Zahlreiche Beteiligte
Bereits Anfang 2023 hatte die Stadt Rheinau das Lichtenauer Beratungsunternehmen Korth StadtRaumStrategien sowie Dr. Volker Späth, Sachverständiger für Naturschutz und Umweltfragen, mit der Erarbeitung einer Kies-Strategie beauftragt. In den Prozess eingebunden waren darüber hinaus Verwaltung und Gemeinderat, die Bürgerschaft, eine Projektbegleitgruppe, der Forst, Verbände und Behörden, die Kieswerke, der Regionalverband, das Regierungspräsidium, der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg (ISTE), die Bürgerinitiative sowie die Ortsvorsteher der Rheinauer Stadtteile.

Mit der Kies-Strategie will die Stadt Rheinau Auenwälder wie hier am Baggersee schützen. Foto: Zukunftsforum
Wirtschaftliche Bedeutung
Dr.-Ing. Katrin Korth stellte die Strategie gemeinsam mit Dr. Volker Späth in der letzten Gemeinderatssitzung des Jahres vor und verdeutlichte dabei erneut die wirtschaftliche Bedeutung der Kiespachteinnahmen: 2023 beliefen sich diese auf 1,7 Millionen Euro, 2024 auf 1,5 Millionen Euro. Sollte der Bürgerentscheid den weiteren Kiesabbau in Diersheim zulassen, seien laut Korth bis zum Jahr 2038 jährliche Einnahmen zwischen 1,9 und 2,4 Millionen Euro zu erwarten.
Halbe Million Euro weniger?
Stimmen die Bürgerinnen und Bürger gegen die Erweiterung des Kieswerks Diersheim, würden die Einnahmen um rund eine halbe Million Euro pro Jahr sinken. Ohne die Ausweisung weiterer Abbaugebiete gäbe es ab dem Jahr 2043 zudem keinerlei Kiespachteinnahmen mehr. Im Zuge der Strategieerarbeitung wurde außerdem deutlich gemacht, dass zur Kompensation von beispielsweise einer Million Euro Kiespacht rund 4,5 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen erforderlich wären.
Kompromiss zum Kieswerk Diersheim
Zum Schutz der Rheinauenwälder empfiehlt die Strategie, den Abbau von Kies und Sand zunächst auf den bestehenden Flächen – mit oder ohne Diersheim – fortzuführen und diesen mittelfristig in Flächen außerhalb der Rheinauen zu verlagern. Vorgeschlagen werden Waldflächen, die aufgrund des Klimawandels ohnehin einem grundlegenden Umbau unterliegen, etwa die Niederterrassen östlich von Freistett. Für das Kieswerk Diersheim empfiehlt die Strategie einen Kompromiss: den Erhalt des Alteichenbestands bei gleichzeitiger Reduzierung der Abbaufläche auf knapp vier Hektar und eine Ersatzaufforstung in unmittelbarer räumlicher Nähe zu den Abbauflächen.
Abstimmung fast einstimmig
Im Gemeinderat fand die Strategie überwiegend Zustimmung. Annette Fritsch-Acar (FWG/CDU) lobte das Konzept, „Weil wir damit dem Auenwald ganz klar die Priorität einräumen“. Eine Vorgabe, hinter der ihre Fraktion einstimmig stehe. Stefan Seifried (IG Rheinau) zeigte sich sogar begeistert: Der Entwicklungsprozess der Strategie gehöre zu den effektivsten, die er in seinen 11,5 Jahren Kommunalpolitik erlebt habe: „Das Ergebnis gibt uns Hoffnung, dass Rheinau sowohl ökonomisch als auch ökologisch einen guten Lebensstandard halten wird.“ Auch seine Fraktion stellte sich einstimmig hinter das Konzept.

Das Kieswerk Diersheim bringt der Stadt Rheinau Einnahmen von 500.000 Euro pro Jahr. Foto: Doris Geiger
„Kein St. Florians-Prinzip“
Petra Penzel (SPD, WfR, Grüne) erklärte ebenfalls die Zustimmung ihrer Fraktion – allerdings nicht für die Erweiterung des Kieswerks Diersheim. „Die Erdbebenserie zeigte, wie sensibel die Welt unter uns ist. Für uns stellt sich die Frage, ob das Flussbett des Rheins sicher und stabil ist.“ Thomas Kinzinger (AfD) unterstützte die Vorschläge der Strategie uneingeschränkt. Kies und Sand seien unverzichtbar, weshalb man „nicht nach dem St.-Florians-Prinzip handeln darf“.
Andreas Durban stimmt mit „Nein“
Mit einem klaren Nein stimmte hingegen Andreas Durban (Bündnis 90/Die Grünen). Für ihn ist der Wald „unbezahlbar“. Wie in einer Presseerklärung seiner Partei am Folgetag zu lesen war, sei dies „ein klares Bekenntnis zum Auenwald und eine Ablehnung des faulen Kompromisses trotz finanzieller Druckkulisse“. Laut den Grünen im Ortenaukreis durchbricht Durban mit seinem Nein-Votum die „vermeintliche Einstimmigkeit im Rat“ und gibt den Kritikern der geplanten Erweiterung des Kieswerks Diersheim eine Stimme im Parlament. Dies sei auch ein wichtiges Signal im Hinblick auf den anstehenden Bürgerentscheid.
Geld oder Auwald?
Denn letztlich gilt: Strategie hin oder her – die Rheinauer Bürgerinnen und Bürger werden am 8. März entscheiden, ob ihre Kommune künftig auf mehrere Millionen Euro an Kiespachteinnahmen verzichten wird oder nicht bzw. ob ihnen vier Hektar Auwald wichtiger sind als Geld.
Rücktritt des Bürgermeisters
Zum Ende der Sitzung hatte Rheinaus Bürgermeister Oliver Rastetter einen Paukenschlag parat. Sie Hitradio OHR auf seiner Website berichtete, kündigte der 46-Jährige überraschend seinen Rücktritt zum 15. Februar 2026 an. Rastetter wurde demnach 2023 zum Rathauschef in Rheinau gewählt, nachdem er bereits 16 Jahre lang Bürgermeister von Lauf war. In seiner Erklärung begründete er diesen Schritt mit den Spekulationen um die Hintergründe seiner zwischenzeitlichen Erkrankung.
Siehe auch hier:
Bürgerentscheid über Rheinwald: „Wir sehen, wie aufgebracht und entschlossen manche Menschen sind“
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