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„Eine Art süße Genugtuung“: Eva Mendelsson über die Ehrenbürgerwürde und die Rückkehr nach Offenburg

Eva und Otto Mendelsson
© Dimitri Dell – Eva Mendelsson mit ihrem Enkel Otto bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.
Vor 85 Jahren wurde Eva Mendelsson als Kind aus Offenburg nach Gurs verschleppt – ihre Mutter und eine Schwester wurden in Auschwitz ermordet, sie selbst überlebte im Schweizer Exil. Jahrzehnte später kehrte sie zurück, um als Zeitzeugin zu erzählen und Brücken der Versöhnung zu bauen. Nun würdigt Offenburg ihr lebenslanges Engagement gegen das Vergessen: Am 29. November erhält die 93-Jährige im Salmen die Ehrenbürgerwürde der Stadt. Gertrude Siefke hat mir ihr gesprochen.
Von Gertrud Siefke

Eva Mendelsson, 1931 geborene Tochter einer jüdischen Familie aus Offenburg, wurde 1940 in das Lager Gurs in Frankreich deportiert. Mit einer Schwester gelang die Flucht in die Schweiz. Dort überlebten die Kinder den Holocaust. Eine weitere Schwester und die Mutter wurden in Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg nahm Eva Mendelsson ihren Wohnsitz in England.

Schicksal der Offenburger jüdischen Gemeinde

Ab 1986 trat sie auf Einladung der Stadt Offenburg als Zeitzeugin vor Schulklassen und anderen Auditorien auf und berichtete über das Schicksal ihrer Familie und der Offenburger jüdischen Gemeinde – stets unter dem Aspekt der Versöhnung und der Mitmenschlichkeit. Am 28. Juli beschloss der Gemeinderat einstimmig, sie mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt Offenburg auszuzeichnen. Die Verleihungszeremonie findet am kommenden Samstag, 29. November 2025, im Salmen statt.

Interview mit Eva Mendelsson:

Gertrude Siefke: Frau Mendelsson, was bedeutet Ihnen die Ehrenbürgerwürde der Stadt Offenburg?

Eva Mendelsson: Diese Auszeichnung ist ein Zeichen dafür, dass die Stadt meiner Kindheit und meiner zerbrochenen Träume nicht nur ihre historische Verantwortung anerkannt hat dafür, was mir und meiner Familie widerfahren ist, sondern sich auch unermüdlich dafür einsetzt, dass die Ereignisse jener Zeit nicht in Vergessenheit geraten und sich niemals wiederholen. Ich habe mich aktiv an dieser Arbeit beteiligt und bin dankbar und geehrt, dass meine Bemühungen gewürdigt werden.

Gertrude Siefke: Als Oberbürgermeister Marco Steffens Ihnen mitteilte, dass die Stadt Offenburg beabsichtige, Ihnen die Ehrenbürgerwürde zu verleihen, was war Ihr erster Gedanke?

Eva Mendelsson: Meine erste Reaktion war Dankbarkeit für die Ehre. Angesichts meines fortgeschrittenen Alters hielt ich es für eine angemessene Gelegenheit, an der Zeremonie teilzunehmen und die Stadt meiner Kindheit ein letztes Mal zu sehen. Es wäre eine Art Abschied. Doch ich fragte mich auch, wie meine Mutter wohl auf die mir verliehene Auszeichnung reagiert hätte. Hätte sie dies missbilligt angesichts all des Leids, das sie und unsere Familie ertragen mussten, oder hätte sie meine Bemühungen um pädagogische Gedenkarbeit unterstützt, einen Beitrag zu leisten, die Vergangenheit aufzuarbeiten aber gleichzeitig an einer besseren Zukunft zu arbeiten?

Gertrude Siefke: Nach all dem, was Ihnen und Ihrer Familie Schreckliches angetan wurde, hätten Sie allen Grund gehabt, nie wieder nach Offenburg zurückzukommen. Sie haben es dennoch getan – was waren Ihre Beweggründe?

Eva Mendelsson: Ich kenne eine ganze Menge Überlebende, die aufgrund ihrer Erfahrungen unter dem Nationalsozialismus nichts mehr mit dem Land ihrer leidvollen Vergangenheit zu tun haben wollten. Ich hingegen bin einen anderen Weg gegangen. Anstatt die Einladung zur Rückkehr in die Stadt meiner Kindheit abzulehnen, habe ich sie angenommen. Ich sah darin eine Chance, gehört und respektiert zu werden und eine Stimme zu erhalten. Das hat mir das Gefühl der Würde zurückgegeben gegenüber denjenigen, zu deren Geschichte meine Unterdrückung und die Unterdrückung meines Volkes gehören. Die Einladung hat es mir ermöglicht, eine Verbindung aufzubauen mit dem, was ich mir als ein neues Deutschland erhofft hatte. Anfangs hatte ich einige Bedenken, diese Bildungsaufgabe zu übernehmen. Aber je mehr ich die Jugendlichen, die Lehrer und natürlich die wunderbaren Menschen kennengelernt habe, die im Namen der Stadt mit mir zusammenarbeiteten, desto mehr habe ich gespürt: Mein Beitrag kann den kleinen Unterschied ausmachen, um die Einstellung der Menschen zu beeinflussen. Das betrifft nicht nur deren Bewusstsein für die Vergangenheit, sondern auch die Arbeit daran, dass Hass gegen Juden und andere niemals wieder auftreten kann. Ich will ehrlich sein und Ihnen sagen: Meine Rückkehr hierher, zusammen mit meiner Familie, ist eine Art süßer Genugtuung.

Gertrude Siefke: Für Margot Friedländer gab es den letzten Satz ihrer Mutter, der sie trug: „Versuche, dein Leben zu machen“ – gibt es für Sie etwas Vergleichbares?

Eva Mendelsson: Nach all meinen Erfahrungen während der Kriegsjahre war meine Lebenseinstellung: Nimm die Vergangenheit an, aber bejahe die Gegenwart – und arbeite daran, die Zukunft zu verbessern. Und ja: Das kleine Büchlein mit Gedichten meiner Mutter, welches sie mir und meiner Schwester Myriam ins Kinderheim Château du Masgelier in Le Grand-Bourg zu meinem 12. Geburtstag schickte, ist mein größter Schatz. Dadurch ist mir meine Mutter bis heute sehr nahe. Und ihre letzten Zeilen geben mir das Gefühl von Geborgenheit und Kraft.

Gertrude Siefke: Sie sind bei facebook und liken immer wieder Nachrichten der Stadt Offenburg – was uns freut, was uns guttut. Was schätzen Sie am heutigen Offenburg?

Eva Mendelsson: In den mehr als drei Jahrzehnten, in denen ich nach Offenburg zurückgekehrt bin, habe ich viele liebenswürdige Menschen kennengelernt, die mir immer sehr freundlich gesinnt waren, und ich schätze den mitmenschlichen und persönlichen Kontakt zu ihnen. Wenn ich also über Ereignisse in der Stadt lese, hilft mir das, ihre Lebenswirklichkeit besser zu verstehen – und die großen Veränderungen, die sich in der Stadt meiner Kindheit entwickelt haben. Dank Facebook bin ich immer am Puls der Zeit und fühle mich recht daheim. Ich schätze die Offenheit der Menschen in Offenburg und ihr friedliches Zusammenleben.

Gertrude Siefke: Über 30 Jahre lang haben Sie Offenburger Schülerinnen und Schülern als Zeitzeugin die Zeit des Nationalsozialismus und das Schicksal Ihrer Familie nahegebracht. Was würden Sie uns gerne heute auf den Weg geben?

Eva Mendelsson: Folgt euren Herzen, lasst euch nicht von denen ablenken, die zu diesen schrecklichen Tagen zurückkehren wollen. Setzt euch für das ein, was richtig ist, steht nicht einfach nur untätig an der Seite. Auf Hebräisch sagen wir: „Chazak ve Amats“ – sei stark und mutig. Auf einer ganz persönlichen Ebene würde ich euch bitten, den jüdischen Friedhof zu besuchen und sich von meinen Lieben zu verabschieden. Und schließlich danke ich all den wunderbaren Freunden, die ich gewonnen habe: Denen, die hier sind, und denen, die leider bereits verstorben sind.

Siehe auch hier:

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