Klaus-Ulrich Moeller ist Zukunftsanalytiker, Speaker, KI-Experte und Ex-Journalist. Er war 1983 Redakteur der Stuttgarter Nachrichten, als er den größten Medienskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland enthüllte. Konrad Kujau hatte dem Magazin „Stern“ die angeblichen Hitler-Tagebücher untergejubelt, der diese als große Sensation verkaufte.
Moeller entlarvte den Fälscher und erhielt drei Jahre später den begehrten und renommierten Georg-Wolff-Preis. Heute lebt und arbeitet Klaus-Ulrich Moeller in Obersasbach in der Ortenau. Im Interview mit dem Ortenau Journal spricht er über die Anbahnung der Enthüllungen, seine Gefühle und die Anspannung in der Redaktion am Tag vor der Enthüllung und wie sich das Ganze auf ihn und die Medienlandschaft insgesamt ausgewirkt hat.
Das Interview
Ortenau Journal: 1983 war die westdeutsche Öffentlichkeit von den angeblichen Hitler-Tagebüchern gefesselt. Die BILD schlachtete den vermeintlichen Coup auch aus. Und wie kamen die Stuttgarter Nachrichten nun dazu, den Fall um die Hitler-Tagebücher genauer zu beleuchten? Wie kam es zu dieser Entscheidung quasi?
Klaus-Urlich Moeller: Ich war damals Redakteur im politischen Ressort der Stuttgarter Nachrichten. Und es gab eine Äußerung eines Professors in Stuttgart, Professor Jäckel. In dieser aufgeheizten Diskussion, die es damals gab – sind die Tagebücher falsch, sind die richtig, wo kommen die her – sagte er, ihm seien schon einmal vor einigen Jahren Hitler-Tagebücher gezeigt worden. Und über den Satz bin ich gestolpert und habe gesagt: Wie kann das sein? Dann habe ich Professor Jäckel angerufen und wir haben uns im Gespräch verabredet. Und ab dem Moment gab es dann kein Halten mehr und dann kam die ganze Story sozusagen als langer, langer Faden hinterher.

Klaus-Ulrich Moeller entlarvte 1983 Konrad Kujau als Fälscher. Foto: Moeller
Ortenau Journal: Ja, das heißt, du hast dann darauf aufbauend die Arbeit aufgenommen sozusagen und den Fall aufgerollt?
Klaus-Urlich Moeller: Ja, man muss sich das so vorstellen: Man sitzt da in der Redaktion, weiß gar nicht, was da draußen los ist, aber hat plötzlich einen Riecher. Plötzlich so ein Gespür, dieser berühmte journalistische Riecher, dass da irgendeine Geschichte dahintersteckt. Das hatte sich dann ja auch herausgestellt. Auch im Gespräch mit Professor Jäckel – der war sehr, sehr hartleibig. Er sagte, die seien gezeigt worden, aber er könne nicht sagen, von wem, das hätte er damals versprochen. Also bin ich auf der Stelle nicht weitergekommen und musste jetzt die Recherche anfangen. Und dort immer wieder getrieben von diesem Gefühl: Da steckt irgendeine Story dahinter, an irgendeinem Punkt komme ich da weiter, ohne zu wissen, wohin mich das mal führt. Und das ist letztendlich dann vielleicht auch journalistische Professionalität, dass man das ordnet und sagt: Wen muss ich jetzt als Erstes anrufen? Wie geht die Recherche jetzt los? Und nicht einfach nur wild da sitzt und irgendwelche Vermutungen äußert, sondern alles, was man als Journalist schreibt, muss auf irgendeiner Faktenbasis beruhen. Und das ist so ein Prinzip, was mir damals wahnsinnig geholfen hat.
Ortenau Journal: Lass uns kurz einen kleinen Sprung machen und dann nochmal ein bisschen zurückgehen. Am 13. Mai 1983 titelten die Stuttgarter Nachrichten „Kujau hat die Hitler-Tagebücher verfasst“. Was war geschehen?
Klaus-Urlich Moeller: Oh, das war das Ende der Recherche. Das war letztendlich nach etwa drei Wochen intensiver Recherche – und die muss man sich wirklich so vorstellen: 24 Stunden am Tag, das Telefon steht nie still, immer ruft dich irgendjemand an, will dir irgendwas erzählen – hatten sich die Indizien so verdichtet, dass diese Hitler-Tagebücher nicht von irgendwelchen Fälscherbanden in Argentinien oder in Russland gefälscht worden sind, sondern von einem ganz, ganz kleinen und winzigen Schriftenmaler, der in der Nähe von Stuttgart wohnte. Und diese Indizienkette hatte sich nachher so verdichtet, dass wir am 12. Januar, also einen Tag vorher, mit dem gesamten Verlagshaus zusammengesessen haben – mit den Juristen draußen, die das juristisch absichern mussten, mit der Chefredaktion, mit der Ressortleitung – und uns gefragt haben: Ist diese Geschichte, die ich da aufgeschrieben hatte, ist diese Indizienkette dicht genug, dass wir das so veröffentlichen können und dass eben ein kleiner Schriftmaler mit Namen Konrad Kujau diese Hitler-Tagebücher verfasst hat? Denn das war eine solche Sensation, weil die gesamte Welt vermutet hatte: Wenn die Tagebücher gefälscht sind – und das hatte sich inzwischen herausgestellt – dann sind das irgendwelche professionellen Banden, die der Stern nicht hätte erkennen können. Das war ja das Narrativ. Und dass eben so ein amateurhafter Fälscher dem Stern so etwas untergejubelt hat, das war, glaube ich, die größte Blamage, die der Stern damals erlebt hat. Die Juristen, die Chefredaktion und die Verlagsleitung haben grünes Licht gegeben. Dann brach am nächsten Tag, als die Stuttgarter Nachrichten mit dieser Schlagzeile auf den Markt kamen, die Hölle über mich los.

Redaktionskonferenz der Stuttgarter Nachrichten 1983 – vorne rechts Klaus-Ulrich Moeller.
Ortenau Journal: Ja, okay. Also ihr habt praktisch einen Tag vor der Veröffentlichung beschlossen – oder die Redaktionsleitung, der Verlag hat beschlossen – das einen Tag vorher zu bringen. Also praktisch den Entschluss dann gefällt.
Klaus-Urlich Moeller: Das war eben ein großes Vertrauen, das man mir entgegenbrachte. Es waren ja Indizienketten. Wir konnten ihn nicht direkt überführen. Journalisten sind keine Polizisten und keine Staatsanwälte. Wir kamen ja nicht in sein Haus rein. Wir wussten also nur, was man über ihn erzählte, und mussten das nach Plausibilität strukturieren. Und diese Prüfung fiel, wie gesagt, positiv aus. Und dann ist man natürlich am Tag vorher hochgradig nervös. Alle waren angespannt, weil man wusste, was das in der Welt auslöst. Man hat alles durchgespielt: Dass irgendjemand sofort eine einstweilige Verfügung erlässt, in dem Moment, wo die Druckmaschinen anlaufen und gestoppt werden müssen. Das war einkalkuliert. Es war einkalkuliert, dass man mich persönlich schützt, weil man ja nicht wusste: Spielt hinter Kujau eventuell doch ein größeres Netzwerk an professionellen Fälschern oder hat er das ganz alleine gemacht? Man war auf alles vorbereitet. Aber an dem Tag macht man das als Journalist und als Redaktion so, dass man vorab eine Meldung raus schickt, mit welcher Schlagzeile die Zeitung am nächsten Tag erscheint. Und das haben wir gemacht, so gegen 18 Uhr. Und die Agenturen – die dpa, AP, Reuters, all die weltweiten großen Agenturen – haben das natürlich sofort verbreitet. Und um 18.30 Uhr wusste also die ganze Welt, dass die Hitler-Tagebücher gefälscht sind und dass die Stuttgarter Nachrichten das herausgefunden haben und dass ich derjenige war, der das herausgefunden hat.
Ortenau Journal: Jetzt hast du praktisch zwei Fragen schon mit beantwortet. Das eine wäre gewesen, wann das entschieden wurde, und das andere, ob die internationale Öffentlichkeit das auch entsprechend wahrgenommen hat. Es um die damalige Arbeitsweise. Es gab ja kein Internet. Man musste vieles improvisieren oder auf nicht elektronischem Wege klären. Welchen Kniff hast du angewandt? Du hast praktisch viel telefoniert und mit bestimmten Leuten gesprochen – das ist ja auch die Leistung der Recherche, die richtigen Leute herauszufinden, die man anruft.
Klaus-Urlich Moeller: Genau so ist es. Das Hauptrecherche-Instrument war damals das Telefon. Was anderes gab es nicht. Und wenn man irgendwo einen Ort hatte oder sich mit jemandem traf, dann hat man sich ins Auto gesetzt und ist hingefahren. Man hat sich bei einem Waldspaziergang oder so unterhalten, wenn jemand dazu bereit war. Das waren die einzigen Recherchemöglichkeiten. Und dann musste man sich natürlich mit Redaktionskollegen austauschen und sagen: Das habe ich jetzt gerade gehört – wie schätzt du das ein? Man braucht Feedback, damit man nicht gegen die Wand läuft. Die Gefahr ist wahnsinnig groß, dass man sich in irgendwas verbeißt und gar nicht merkt, dass man auf einem völlig falschen Pfad ist. Wenn ich nur noch kurz die internationale Presse erwähne, die du angesprochen hast: Man muss sich das mal vorstellen – da rufen plötzlich in der Redaktion die größten Zeitungen der Welt an. Die New York Times ruft an, auf Englisch, und will wissen, was da los ist und was wir herausgefunden haben. Das australische Fernsehen ruft an und fragt, ob man jemanden vorbeischicken könnte. Da befindet man sich als kleine Regionalzeitung in Stuttgart plötzlich in einer Welt, die einem dann doch den Puls ein bisschen umdreht.

Klaus-Ulrich Moeller mit Niki Lauda (oben) und Ex-Bundespräsident Carl Carstens (unten). Fotos: Moeller
Ortenau Journal: Wann fiel letztlich der Druck von dir ab?
Klaus-Urlich Moeller: Es gab Diskussionen. Alle waren Tage darauf noch angespannt, weil es zunächst nur Indizien gab. Die Lösung kam dann eigentlich erst eine Woche später, als sich Konrad Kujau, der sich inzwischen nach Österreich abgesetzt hatte, an der Grenze stellte und sagte: Jawohl, die Stuttgarter Nachrichten haben völlig recht, ich habe die Dinge gefälscht. Er hat sich also selbst der Staatsanwaltschaft gestellt. Damit ist dann erst der Druck von der Redaktion, vom Verlag und von mir abgefallen.
Ortenau Journal: Wie ging es für dich nach der Aufdeckung des Skandals als Journalist weiter? Gab es Angebote oder Ähnliches?
Klaus-Urlich Moeller: Und es gab dann natürlich Überlegungen: Was machen wir mit dem Moeller? Wird der jetzt Ressortleiter irgendwo? Ich hatte Angebote, auch in einem Redaktionsverbund: entweder nach Washington oder nach Moskau zu gehen, als Reporter für drei Zeitungen – die Stuttgarter Nachrichten, den Kölner Stadt-Anzeiger und die Hannoversche Allgemeine. Das habe ich aus familiären Gründen abgelehnt. Da kam gerade das erste Kind, das passte nicht. Ein halbes Jahr später habe ich dann die Seite gewechselt und bin PR-Chef der Lufthansa geworden.
Ortenau Journal: Du bist in die PR gegangen, in die Unternehmenskommunikation.
Klaus-Urlich Moeller: Genau. Von dort ging es später nach weiteren sechs oder sieben Jahren zu TUI und dann zu PricewaterhouseCoopers. Das waren meine wichtigsten Stationen als PR- und Kommunikationschef.
Ortenau Journal: War das für dich auch eine Steigerung im Vergleich zum Journalistenberuf?
Klaus-Urlich Moeller: Ich war verantwortlich als Kommunikationschef, ja. Ich hatte Budgetverantwortung und 40 oder 50 Leute unter mir. Mir hat wahnsinnig geholfen, dass ich wusste, wie Redaktionen arbeiten. Ich konnte meine Erfahrung als Journalist direkt einsetzen: wie man eine Pressemitteilung schreibt, zu welchem Zeitpunkt sie rausgehen muss und welches Bildmaterial man liefert.
Ortenau Journal: Du hast dann 1986 den Theodor-Wolf-Preis bekommen. Welchen Stellenwert hat oder hatte dieser Preis für dich?
Klaus-Urlich Moeller: Das ist das Sahnehäubchen obendrauf. Der Theodor-Wolf-Preis ist der renommierteste Journalistenpreis in Deutschland, vergleichbar mit dem Pulitzer-Preis, nur im deutschsprachigen Raum. Das ist eine Ehrung, die nur wenige kriegen. Und das war für mich die Anerkennung letztendlich für einen verantwortungsvollen Journalismus. Dass man Indizien abwägt, dass man die Gegenseite nochmal hört, dass man sich wirklich Gedanken darüber macht, ob man das jetzt so veröffentlichen kann oder nicht und nicht einfach nur Dinge raushaut mit dem Risiko, dass da irgendein Medienanwalt kommt und dann Kosten von 10.000, 20.000, 30.000 Euro für einen Verlag entstehen. Und für diese Verantwortung, mit der ich diese Recherchen betrieben habe, dafür habe ich den Preis bekommen und der ist heute noch nicht nur für mich ungeheuer wichtig. Wenn ich heute auf Vortragsbühnen stehe, interessiert viele weniger meine spätere Karriere als immer noch diese Geschichte mit den Hitler-Tagebüchern. Das Thema ist ein halbes Jahrhundert später immer noch präsent.
Ortenau Journal: Ein anderer Aspekt: Wie ordnest du den Film „Schtonk!“ ein? War es einfach nur eine Komödie und kamst du darin vor?
Klaus-Urlich Moeller: Ich komme darin natürlich nicht vor, weil der Stern im Nachklang alles getan hat, um öffentlich deutlich zu machen, dass letztendlich die ganz, ganz harte Recherche aus dem Hause selbst herauskam. Man hat sich da verladen lassen von Goya und von Heidemann und gegen den Stern bin ich da natürlich PR-mäßig nicht angekommen. Der Film ist ein Unterhaltungsfilm, manches ist überzeichnet, aber die Grundlinien stimmen. Vor allem dieses Psychogramm einer Redaktion, die unbedingt will, dass eine Geschichte wahr ist, und dadurch den Blick verengt. Diese Stimmung arbeitet der Film sehr gut heraus – und genauso war es damals.
Ortenau Journal: Jetzt nach über 40 Jahren: Welche Folgen hatte die Aufdeckung für die deutsche Medienlandschaft? Gab es ähnliche Eruptionen wie im Fall Claas Relotius?
Klaus-Urlich Moeller: In dieser Dramatik kenne ich nichts Vergleichbares. Der Journalismus war damals stark vom investigativen Geist geprägt – Watergate, Bernstein, Woodward. Jeder wollte den großen Coup. Aber Fälle wie Relotius zeigen, dass gerade junge Journalisten unter großem Erfolgsdruck oft sehr nah an der Grenze zur Wahrheit arbeiten. Sie dramatisieren, um Anerkennung zu bekommen, und vergessen manchmal die Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung – für Unternehmen wie für Privatpersonen.
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