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Altbundespräsident Gauck mahnt in Offenburg: „Freiheit ist nie selbstverständlich – sie will verteidigt sein“

Joachim Gauck und Bernadette Schoog
© Jigal Fichtner/Sparkasse – Bundespräsident a. D. Joachim Gauck im Gespräch mit Moderatorin Bernadette Schoog.
Mit klarem Blick, Humor und tiefem Ernst sprach Altbundespräsident Joachim Gauck in Offenburg über Freiheit, Verantwortung und die Gefahren politischer Bequemlichkeit. Auf Einladung der Sparkasse Offenburg/Ortenau füllte er die Oberrheinhalle mit rund 1000 Gästen und erinnerte daran, dass Freiheit niemals selbstverständlich ist. Seine Botschaft: Demokratie lebt von Eigenverantwortung, Engagement und dem Mut, sich einzumischen – gerade in herausfordernden Zeiten.
Besuch im Salmen

Bereits am Nachmittag hat der Bundespräsident a.D. Joachim Gauck die Gedenkstätte Salmen in Offenburg besucht. Eingeladen hatte den prominenten Gast die Sparkasse Offenburg/Ortenau. Deren Vorstandsvorsitzender Jürgen Riexinger und Oberbürgermeister Marco Steffens, begrüßten den Ehrengast in der Freiheitsstadt. Steffens erinnerte daran, dass Gaucks Wirken wie kaum ein anderes vom Leitmotiv der Freiheit geprägt sei, wie die Sparkasse in einer Pressemitteilung schreibt.

Eintrag ins Goldende Buch

Im historischen Salmen – Ort der 13 Forderungen des Volkes von 1847 – habe sich Gauck in das Goldene Buch der Stadt eingetragen und sich beeindruckt von der doppelten Bedeutung des Gebäudes als Symbol für Freiheit und Unterdrückung gezeigt. Anschließend nahm Gauck an einer Gesprächsrunde mit rund 20 Gästen teil, darunter engagierte Schülerinnen und Schüler sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft, ehe es zur Abendveranstaltung in die Oberrheinhalle ging.

Freiheit und Verantwortung

Rund 1000 Besucherinnen und Besucher erlebten dann demnach am vergangenen Freitagabend in der Oberrheinhalle den besonderen Gast: So sprach der Altbundespräsident über Freiheit, Verantwortung und die Herausforderungen unserer Zeit. Offenburg, Freiheits- und Verfassungsstadt, habe den passenden Rahmen für einen Abend geboten, der ganz im Zeichen von „Freiheit, Verantwortung, Zukunft“ stand. Landrat Thorsten Erny, Oberbürgermeister Marco Steffens sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur fanden den Weg in die Oberrheinhalle.

Oberrheinhalle  Gauck, Schoog, Riexinger

Die Oberrheinhalle war mit 1.000 Besuchern gefüllt, die Joachim Gauck erleben wollten. Fotos: Jigal Fichtner/Sparkasse

Die Erfahrung der Unfreiheit

Im Gespräch mit Moderatorin Bernadette Schoog habe Gauck über seine Kindheit in der DDR, über Anpassung, Unterdrückung – und über die Kraft des „Dennoch“ berichtet. Die Erfahrung der Unfreiheit habe ihn gelehrt, wie wertvoll Freiheit wirklich ist: „Wer Freiheit nie verloren hat, hält sie oft für selbstverständlich. Freiheit ist nie selbstverständlich.“ Mit klarem Blick beschrieb Gauck, wie Diktaturen entstehen, und dass es Diktaturfähigkeit nicht nur in bestimmten Teilen der Welt gebe.

Diktatur in der DDR

„Auch die edlen Badener und Schwaben waren einmal diktaturfähig“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Die Lehre daraus: Kein Volk ist immun gegen autoritäre Versuchungen. Danach sprach Gauck über die jahrzehntelange Prägung durch die Diktatur in der DDR und darüber, wie sie das Denken vieler Menschen bis heute beeinflusse. Anpassung sei damals oft überlebensnotwendig gewesen – ähnlich wie in der Nazizeit. „Unter einer anderen Fahne, aber mit dem gleichen Muster“, fasste Gauck die DDR-Regierung zusammen.

Eigeninitiative abgewürgt

„Im Osten hieß das Motto nach dem Krieg: Wenn wir die Macht einmal haben, geben wir sie nicht mehr her.“ Über Jahrzehnte habe dieses System Eigenverantwortung und Initiative bestraft und zu einer „Entkernung der Potenziale“ geführt. Wer gelernt habe, dass Mitgestaltung gefährlich sein kann, tue sich auch in der Demokratie oft schwer, Verantwortung zu übernehmen. Diese Erfahrung wirke in Teilen der Gesellschaft bis heute fort, etwa in Form von Politikverdrossenheit oder Misstrauen gegenüber Institutionen. „Wenn Entscheidungen ausbleiben, entsteht der Eindruck, die Demokratie könne nicht handeln“, warnte Joachim Gauck.

Prominente Offenburger   Joachim Gauck und Bernadette Schoog

Auch Thorsten Erny und Marco Steffens lauschten den Ausführungen des 85-Jährigen Gauck. Fotos: Jigal Fichtner/Sparkasse

Plädoyer für positiven Journalismus

Hernach folgte demnach ein Plädoyer für positiven, lösungsorientierten Journalismus. So habe Gauck die Medienlandschaft kritisiert, die seiner Ansicht nach häufig einen einseitigen Fokus auf Probleme setze. Er wünsche sich, dass „das Gute im Land“ wieder stärker sichtbar werde, etwa das enorme Engagement in Vereinen und Organisationen. Gerade in der Ortenau gebe es davon besonders viel, so Gauck.

Ein „Erntedankkorb der Demokratie“

Zum Abschluss griff der Altbundespräsident ein starkes Bild auf – den „Erntedankkorb der Demokratie“, gefüllt mit allem, was unser Zusammenleben trägt: freie Wahlen, Meinungsfreiheit, Rechtsstaat, Sozialstaat, Frieden, wie es weiter heißt. Errungenschaften, die unsere Vorfahren und wir selbst geschaffen hätten und die es zu bewahren gelte.

Langer Applaus und am Ende stehende Ovationen hätten gezeigt: Dieser Abend hat berührt, inspiriert – und sicher bei vielen ein Stück Nachdenklichkeit hinterlassen. Nach der Gesprächsrunde nahm sich Joachim Gauck im Foyer noch Zeit, um Bücher zu signieren.

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Stehende Ovationen  Joachim Gauck

Nach dem Auftritt gab es stehende Ovationen. Gauck signierte zum Abschluss Bücher. Fotos: Jigal Fichtner/Sparkasse

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