Kunst & Kultur

Rainers Glosse #9: Weihnachtskunst voller Strahlkraft: Rainer Braxmaiers Reise zum Isenheimer Altar

Rainers Glosse #9
© Grafik: FLM design + creative/Ortenau Journal –
In der Überfülle der Angebote verlieren wir oft den Überblick: Was wollen wir sehen – was wäre uns wichtig? Eine kleine Orientierungshilfe soll die monatliche Glosse über sehenswerte Kunstereignisse geben, die manchmal in der Nähe, aber auch in erreichbarer Ferne liegen. Für den Dezember hat sich der Künstler und Autor Rainer Braxmaier dem Thema des Weihnachtsfestes in der Bildenden Kunst angenommen und der Frage: wo in der Nähe sind die spektakulärsten Schätze zu bewundern?
Von Rainer Braxmaier

Keine Frage: Große Ereignisse spiegeln sich auch in den Werken der Bildenden Kunst. Dazu gehört auch das nahende Weihnachtsfest; nicht umsonst haben sich Handel und Gewerbe ausgiebig auf dieses Thema gestürzt. Freude schenken zu Weihnachten – oft genug ein glitzerndes Prickeln, das den wahren religiösen Anlass leicht vergessen lässt. Wir feiern die Geburt Christi, egal, wie fromm oder welchen Glaubens wir sind. Das sind gesellschaftliche Konventionen – selbst der weihnachtliche Kirchgang gehört dazu, auch wenn er ein einmaliges Ereignis in des Wortes mehrfacher Bedeutung bleibt.

In der Kirche begegnen

Da stellt sich natürlich die Frage, wo man dem Christfest mit besonders festlichen Bildern begegnen kann. Die natürlichste Erklärung wäre: dort, wo es gefeiert wird, also in den Kirchen. Keine Frage, die Geburt Christi wird auch optisch opulent gewürdigt. Nahezu in jeder Dorfkirche richten fleißige Helfer mit viel Phantasie und Liebe zu Details Krippenszenen ein, welche die biblische Geschichte der Geburt Christi nacherzählen: Maria und Josef auf der Flucht vor Herodes finden keine Unterkunft und nächtigen in einem Stall in Bethlehem; dort kommt die Mutter Gottes nieder.

Dem künftigen Herrscher huldigen

Als Kulisse reichen eine blockhausähnliche hölzerne Stallruine, Stroh, Ochs und Esel… Und über allem strahlt der Stern von Bethlehem, der die drei „Weisen aus dem Morgenland“ anlockt, die dem künftigen Herrscher der Christenheit mit Geschenken huldigen wollen. Sie sind meist am Rande der Szene schon zu sehen.

Nicht nur zur Weihnachtszeit

Vor dieser Kulisse der Volkskunst finden sich jährlich unzählige Menschen zur Andacht ein. Also heißt das auch für Kunstfreunde: „ab in die Kirche; es gibt wohl auch passende Altarbilder zur Weihnachtszeit. Oder? Kirche findet bekanntlich nicht nur zur Weihnachtszeit statt. Am häufigsten vor allem in mittelalterlichen Altardarstellungen ist nicht die Geburt, sondern die Kreuzigung Christi, der sich für die Menschheit geopfert hat. Andererseits gilt für große Altarbilder, dass sie äußerst komplizierte Gebilde sind (Klapp- oder Flügelaltare), die zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Hauptschauseiten zeigen können.

Bildgewaltiger Künstler

Ein klassisches Beispiel dafür ist das Ziel unseres heutigen Reisetipps: der weltberühmte Isenheimer Altar von Matthias Grünwald. Ursprünglich für das Kloster Isenheim im Elsass geplant, steht der Altar heute im Museum Unterlinden in Colmar, nicht weit von der deutschen Grenze. Sein Maler, Matthias Grünewald, ist einer der bildgewaltigsten Künstler der Renaissance. Anders als von seinem Zeitgenossen Albrecht Dürer, hat man über sein Leben und Wirken nur wenig gesicherte Daten. Nicht einmal sein Name ist amtlich verbürgt.

Isenheimer Altar

Der Isenheimer Altar. Foto: Nicole Braxmaier

Unstrittige Qualität

Es existieren Theorien, er habe Mathis Gothard Nithard geheißen. Auch seine Lebensdaten sind nicht gesichert (um 1480 bis etwa 1528). Unstrittig ist aber die Qualität seiner Bilder, auch wenn nur wenige identifiziert sind. Die größte Grünewald-Sammlung besitzt übrigens die derzeit noch wegen Renovierung geschlossene Staatliche Kunsthalle in Karlsruhe.

Ausdrucksstarke Figuren

Der Isenheimer Altar ist das bekannteste Werk des Malers, der mit dramatischen Farben, stimmungsvollen Kontrasten und ausdrucksstarken Figuren neue Maßstäbe setzte in der sonst eher auf Harmonie setzenden Renaissance-Malerei. Am berühmtesten ist die erste Schauseite, welche die Kreuzigung Christi zeigt – am Nachmittag verdunkelte sich der Himmel über Golgotha – der Querbalken des Kreuzes biegt sich unter der Last des Körpers, dessen fahle Haut rissig und porig von bis dahin unbekanntem Realismus zeugt. Dazu die theatralischen Gesten der die Szene begleitenden Figuren – ein Meisterstück!

Spektakulärer Himmel

Auf der zweiten Schauseite, die zwischen Weihnachten und Ostern gezeigt wurde, zwei Tafeln, welche die Geburt des Erlösers anpreisen, längst nicht so spektakulär im Ausdruck, dafür in festlichem Kolorit: das „Engelskonzert“ und die „Menschwerdung Christi“. Maria hält liebevoll das Jesuskind auf dem Arm, ohne jede szenische Handlung, dafür aber mit einem spektakulären Himmel, der die Szene orchestriert.

Hilfe beim „Antoniusfeuer“

Ebenso feierlich das Engelskonzert direkt daneben, über deren Kulisse – ein offenes gotisches Gewölbe – auch viel spekuliert wird. In dieser Szene setzt der Maler mehr auf die Pracht des Lichts im Schatten; Hell-Dunkel statt Komplementärkontrast, wie bei der Menschwerdung. Diese beiden Bilder stellen nur einen kleinen Teil des umfangreichen Bildprogramms dar, das der Maler für den Isenheimer Altar, der dem heiligen Antonius geweiht ist und von dem man sich Hilfe bei der berüchtigten mittelalterlichen Erkrankung des „Antoniusfeuers“ erbeten hatte. Doch sie sind die Programmbilder zur Weihnachtszeit.

Schöner Weihnachtsfeier

Und wenn wir schon einmal in Colmar sind, ist der Weg zu einem der schönsten Weihnachtsmärkte im Elsass nicht weit, geöffnet am Wochenende von 10 bis 20 Uhr, Montag bis Donnerstag von 11 bis 19 Uhr (bis 29. Dezember).

Siehe auch hier:

Rainers Glosse #8: Am 7. November eröffnet die große Schau über Josef Beuys – „Bewohnte Mythen“

Rainers Glosse #7: Was ist eigentlich abstrakt?: „Die fremde Welt, deren Gesetzmäßigkeiten man nicht begreift“

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