Den gefühlt längsten Sommer meines Lebens verbrachte ich in diesem Jahr wegen einer Reha im idyllischen Elzach im Südschwarzwald, wo sich riesige Wiesen wie Almen vor der Bergwelt erstrecken. Ich war fast nie allein, denn ein zärtlicher Begleiter umwehte oft mein Gesicht bis in die späten Abendstunden, meist unter freiem Himmel, und gab mir ein Gefühl von Freiheit und Glück. Wobei meine Jukebox im Gehirn, von lebenslustigen Synapsen installiert und fein sortiert, mir hierfür stets den passenden Soundtrack lieferte: „Der Sommerwind“, gesungen von Esther Ofarim.
Nicht das Original
Warum ich nicht auf das Original „The Summer Wind“ von Frank Sinatra kam, ist mir ein Rätsel, vielleicht war mir einfach mehr nach einer Frauenstimme, die mich zum Träumen verführte. Jedenfalls wurde mir später in der Erinnerung deutlich klar, woher der Wind weht, wenn dieser zum Thema in Songs gemacht wird.
„Der Wind, der Wind…“
Ob in Film, Literatur oder eben Musik, „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“.ist literarische Figur, Inspiration für Märchen und Magie. Diese berühmte Zeile wurde im Gedicht des Schriftstellers Gerd Forster (geb. 1935) zur großen Verheißung und war im Ursprung eine eine überlebensnotwendige List, mit der einst das legendäre Geschwisterpaar Hänsel und Gretel im Märchen der Brüder Grimm auf den Zuruf der heimtückischen Hexe reagierte. Auf die Frage, wer denn am Hexenhäuschen knabbere, antworten die Kinder: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“ In seiner lyrischen Variante macht Forster diesen Augenblick zum Liebeswunsch.

Berühmte Zeile aus „Hänsel & Gretel“: „Der Wind, der Wind…“. Foto: Couleur/pixabay
Fortgesetzte Erzähltaktik
Ein offenbar einsames Ich lauscht den Geräuschen, die von draußen oder aus unmittelbarer Nähe in sein Refugium dringen. Und da ist die Hoffnung, dieses Geräusch kündige die Zuwendung eines geliebten Menschen an. Diese Momentaufnahme Forsters steht in einem Kontext von Erzählgedichten, die um Erfahrungen von Vergänglichkeit und Zeitvergehen kreisen. In der Popkultur setzte sich diese Erzähltaktik variantenreich über Jahrzehnte fort und nahm uns überallhin mit.
Fassung von Marlene Dietrich
Legendär etwa „Where Have All the Flowers Gone“ – das 1955 von US-Singer-Songwriter Pete Seeger geschrieben wurde. Der Folksong wurde dann folgenreich von Max Colpet unter dem Titel „Sag mir, wo die Blumen sind“ ins Deutsche übertragen und 1962 von Marlene Dietrich zum inspirierten Welthit gemacht sowie international populär. Deutschlands wohl frühester Popstar Marlene Dietrich kam in ihrer Fassung eben auch – auf den Wind und zwar mit diesen Zeilen: „Sag, wo die Soldaten sind – Über Gräbern weht der Wind, Sag mir, wo die Gräber sind, Wo sind sie geblieben? – Blumen blüh’n im Sommerwind“ – Der Wind ist bestimmender Akteur, leiser Begleiter und Beobachter, ein stummer Zeuge einer an sich selbst verzweifelnden, törichten Menschheit.

„Blumen blüh´n im Sommerwind…“ sang 1962 Marlene Dietrich. Foto: ullaIBV/pixabay
Dylans bekanntestes Stück
Diesen Spirit griff nicht minder bedeutsam Bob Dylan auf und machte damit noch stärker Wind gegen den Krieg als scheußlichem Ereignis: „Blowin’ in the Wind“, ein Folksong der 1963 veröffentlicht wurde und zu Dylans bekanntesten Stücken gehört. „Blowin’ in the Wind“ gilt heute als die Mutter aller Protestlieder, welches sich mit rhetorischen Fragen beschäftigt und zur Hymne der US-amerikanischen Bürgerrechts- und Friedensbewegung avancierte. Es wurde zig mal bis heute gecovert.
Gitarrenrandale in Woodstock
Ein anderes Kaliber ist dagegen der größte Pionier der E-Gitarristik. James Marshall „Jimi“ Hendrix, der, abgesehen von seiner Gitarrenrandale auf der Woodstock-Bühne gegen den Vietnam-Krieg, in all seinen Texten eher ein feiner Songpoet war, in „The Wind cries Mary“ haucht und säuselt er der Mary hinterher und lässt dabei den Rock‘n‘Roll ganz untypisch nicht von der Leine. Wind macht sanft.
Streit unter Wackener Metal-Fans
Selbst die Hannoveraner Scorpions flöteten beim historischen „Wind of Change“ derart friedlich und balladesk, dass daraufhin unter eingefleischten Wackener Metal-Fans heftig gestritten wurde, ob denn die Scorpions noch fürs legendäre W:O:A taugten weil diese offenbar doch gar keine echten Schwermetaller mehr seien. Doch man muss sich heute diesen „Wind of Change“ sehnlich zurückwünschen – denn lieber noch einmal Gorbi statt Putin. Wir hatten schon einmal mehr Hoffnung. Diese ist in puncto Krieg „Vom Winde verweht“ (Gone with the wind) – ein schöner Soundtrack übrigens.

„Vom Winde verweht“ spielt im amerikanischen Bürgerkrieg. Foto: smallbod/pixabay
„Sie alle macht der Wind schwach“
In der u. g. Playlist sind etliche weitere Windlieder für die dunklen Sturmzeiten am Jahresende. Perlen der Popkultur mit David Bowie, Donovan, Santana, Whitesnake, Kansas oder Rock‘n‘- Roller Bob Seger mit seiner Silver Bullet Band: sie alle macht der Wind schwach und melodisch, treibt sie zu Höchstform, zum Kreativsturm. Mir persönlich, als altem Seemannssohn, gefallen natürlich immer noch die Lieder mit „Wellen, Wind und Wogen“.
„Wenn der Tannenbaum weg ist“
Doch obwohl die Ortenau wenig Küste und Meer zu bieten hat, lassen sich auch hierzulande Hans Albers, Lale Andersen oder Freddy Quinn gut hören – oder wie ein Hamburger Spaßvogel unlängst anmerkte, mein alter Kumpel Henne, in Anspielung auf den von mir komponierten Ortenberger „Reggae in den Reben“: „Jürgen schreib doch mal einen ‚Shanty in den Reben‘- Warum eigentlich nicht? Machen wir, Henne, wenn der Tannenbaum wieder weg ist und bis dahin aber höre ich mein liebstes Windeslied, schön laut und oft und gern: Christopher Cross mit „Ride Like the Wind“.…
Wind für die Ohren: Playlist
Vom Winde verweht (Gone with the wind)- Soundtrack
https://www.youtube.com/watch?v=EESHIpo4Lgk&list=RDEESHIpo4Lgk&start_radio=1
Wind of Change – Scorpions live at Hellfest
https://www.youtube.com/watch?v=8FMpIiDo-Ic&list=RD8FMpIiDo-Ic&start_radio=1
Freddy – Wolken, Wind und Wogen
https://www.youtube.com/watch?v=uor8kW9q6LI&list=RDuor8kW9q6LI&start_radio=1
Marlene Dietrich – Die Antwort weiß ganz allein der Wind
https://www.youtube.com/watch?v=CcynRnI7uAo&list=RDCcynRnI7uAo&start_radio=1
Bob Dylan – The Answer is blowin‘ in the Wind
https://www.youtube.com/watch?v=vWwgrjjIMXA&list=RDvWwgrjjIMXA&start_radio=1
Frank Sinatra – The Summer Wind (remastered)
https://www.youtube.com/watch?v=8DopzOCeKJc&list=RD8DopzOCeKJc&start_radio=1
Esther Ofarim – Der Sommerwind
https://www.youtube.com/watch?v=RHXgHDisoFk&list=RDRHXgHDisoFk&start_radio=1
Hans Albers – Der Wind und das Meer
https://www.youtube.com/watch?v=sHc87-QBOPs&list=RDsHc87-QBOPs&start_radio=1
Whitesnake – Can you hear the wind Blow
https://www.youtube.com/watch?v=87PHjDgnAQQ&list=RD87PHjDgnAQQ&start_radio=1
David Bowie – Wild is the Wind
https://www.youtube.com/watch?v=YsqlXkkEKxI&list=RDYsqlXkkEKxI&start_radio=1
The Cats – One Way Wind
https://www.youtube.com/watch?v=WkOy4T3jRIY&list=RDWkOy4T3jRIY&start_radio=1
Eric Clapton with JJ cale – Anyway the Wind blows
https://www.youtube.com/watch?v=n-Fpq5NYCNQ&list=RDn-Fpq5NYCNQ&start_radio=1.
The jimi Hendrix Experience – The Wind Cries Mary
https://www.youtube.com/watch?v=bhqVPrGnQfY&list=RDbhqVPrGnQfY&start_radio=1
Kansas – Dust in the Wind
https://www.youtube.com/watch?v=tH2w6Oxx0kQ&list=RDtH2w6Oxx0kQ&start_radio=1
Gloria Jones – Gone with the Wind is my Love
https://www.youtube.com/watch?v=28MPA2k-Zoo&list=RD28MPA2k-Zoo&start_radio=1
Christopher Cross – Ride Like the Wind
https://www.youtube.com/watch?v=kA9uaBqvRtA&list=RDkA9uaBqvRtA&start_radio=1
Santana – Song of the Wind
https://www.youtube.com/watch?v=F7AbmXe9thg&list=RDF7AbmXe9thg&start_radio=1
Donovan – Catch the Wind
https://www.youtube.com/watch?v=J8hjEYTpwE8&list=RDJ8hjEYTpwE8&start_radio=1
Bob Seger and the Silver Bullet Band – Against the Wind
Siehe auch hier:
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