Kunst & Kultur

KI-Musik im Kreuzfeuer: Klaus-Ulrich Moeller kontra Jürgen Stark im Kulturstreit über Kunst & Kreativität

Frauenchor Dirigentin KI-Bild
© Gemini 2.5. Flash | CC Klaus-Ulrich Moeller – Wieviel KI ist in der Musik „erlaubt“?
Künstliche Intelligenz spaltet die Musikwelt: Während Jürgen Stark und Dieter Debusmann KI-Kompositionen als seelenlos und geistigen Diebstahl abtun, sieht der Sasbacher Zukunftsanalytiker Klaus-Ulrich Moeller in ihnen kreatives Potenzial. In seiner Antwort-Kolumne beschreibt er, wie ihn die Musik-KI täglich inspiriert, neue Stile erschafft und sogar klassische Größen übertrifft. Ein Streitgespräch über Authentizität, digitale Revolution und die Zukunft von Kreativen, Kunst und Künstlern.

Der Zukunftsanalytiker & Zeitgeist-Kabarettist, Key-Note- & Dinner-Speaker für Neues Denken, KI-Enthusiast, Vortrags- & Rhetorik-Trainer, Rede-Europameister und Theodor-Wolff-Preisträger (1984, Stuttgarter Nachrichten) Klaus-Ulrich Moeller aus Sasbach hat auf Jürgen Stark´s Kulturkolumne #9 vom 2. September 2025 mit einem Gastbeitrag in Form einer eigenen Kolumne geantwortet. Er vertritt eine gegensätzliche Position.

Hätte Mozart heute noch eine Chance? Wie die KI auch das Musik-Business zerlegt

Von Klaus-Ulrich Moeller

Ich habe mich kürzlich verliebt. Verliebt in den Song „Nothing else matters“ von Metallica. Das Cover-Video des Songs könnte ich mir ein dutzend mal in der Woche auf YouTube anschauen – die Melancholie, das Timbre des Lead-Sängers, die Athmosphäre von 30.000 Besuchern im Stadion, das licht- und soundgetränkte Bühnenspektakel: Was für ein Erlebnis, was für eine Magie.

Joe Cocker lebendig gemacht

Und all das, all die gefeierten Ausnahme- und Bühnen-Künstler, die Kissins und Anne-Sophie-Mutters, die ABBAs und AC/DCs, die Snoop Doggs und die Altherren von Simon & Garfunkel – all das soll ein Ende haben, weil die Künstliche Intelligenz uns in wenigen Minuten ganze Sinfoniekonzerte schreibt, Joe Cocker künstlich wieder lebendig macht oder – wenn es mich reizt – mir ein posaunendes Stück Blasmusik produziert, für das der örtliche Trachtenverein ein halbes Jahr lang üben muss?

Befehle der Jedermanns

Die Reaktionen vieler Künstler fallen, verständlicherweise, harsch und sehr emotional aus – wie jene von Jürgen Stark, der kürzlich hier die Überflutung des Netzes mit Millionen künstlich produzierter, nichtssagender, immer gleich klingender Songs beklagte und das (wie er sagt) illegale und tantiemelose Training der KI ebenso wie die sinn- und anstrengungsfreien Befehle der Jedermanns an die Musik-KI suno.ai anprangerte. Sind die Ängste berechtigt? Was wird die Zukunft bringen, in der die KI ein neues Mozartkonzert so schnell aus dem Hut zaubert wie ein Eis in der prallen Sonne schmilzt?

Musikinstrumente Bühne

Musik ohne Mensch. Bild: Gemini 2.5. Flash | CC Klaus-Ulrich Moeller

Techno-Beats aus dem Berghain

Ich selber habe früher einen ganz wunderbaren 40.000 D-Mark teuren Blüthner-Flügel besessen und es bis zum dritten Satz der Mondscheinsonate gebracht – jedenfalls war beim Vorspielen ansatzweise zu erkennen, dass es sich eventuell um den dritten Satz der Mondscheinsonate handeln könnte. Doch ich räume ein: Mit der gleichen Begeisterung und Faszination wie früher den Flügel nutzte ich heute fast jeden Abend die neuen Musik-KIs, vorzugsweise suno.ai und habe bereits so ziemlich alles vom New-Orleans-Jazz über keltische Klänge bis hin zu den Techno-Beats eines Tanztempels wie dem Berliner Berghain durchkomponiert.

Ein erster Widerspruch

Von den vielen Klaviersonaten, Sinfoniekonzerten und Streichquintetten ganz zu schweigen. Und hier lege ich den ersten Widerspruch ein, den jeder teilen dürfte, der sich mit diesen neuen Tools schon einmal intensiver befasst hat: Die von der KI komponierten Lieder, Chor- und Instrumentalstücke haben eine verdammt hohe Qualität. Sie sind von menschengemachten Songs nicht mehr zu unterscheiden. Und ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich schnell beeindrucken lassen.

Hybride Form des Konzerts

Völlig richtig: Es ist synthetisch erzeugte Musik. Aber diese ist nicht per se schlechter oder qualitativ minderwertiger als natürlich erzeugte Klänge. Und ich erinnere daran: Der vor vielen Jahren gern benutzte Syntheziser in Kompositionen tat ja auch nichts anderes, als Klänge künstlich zu produzieren. Auch das im TV übliche und auf großen Bühnen bis heute so gern genutzte PlayBack als quasi hybride Form des Konzerts hat mit der oft geforderten Authentizität nicht mehr viel zu tun.

Gruß an Musikproduzenten

Und ein geweiteter Blick zeigt: Die KI produziert wohl genauso viel Schund wie es der normale Musikmarkt tut. Songs im immer gleichen 70er-Schlag, für Hörfunk optimiert, endet meist in der gleichen Berieselungs- und Einheitssoße, in der sich heute auch viele KI-Songs tummeln. Den Vorwurf, müllige KI-Songs fluteten das Internet, gebe ich gerne an viele Musikproduzenten mit Gruß zurück: Das war auf Spotify schon vor 10 Jahren so. Im Gegenteil wäre der so entsetzten – und zu Recht um ihre Jobs fürchtenden – Musikszene anzuraten, die Inspiration durch das, was die KI uns voraus hat, doch einfach anzunehmen, Nischen zu suchen, Musik der Zukunft auf ein neues Level zu heben.

Paganini wie ein Anfänger

Die KI lädt mich fast jeden Tag in neue Räume ein: Sie ist in der Lage, Musikstile zu mixen und neue zu erfinden. Cross-over völlig neu gedacht. Selbst die Aufforderung, als Instrumente nur welke Blätter zu verwenden, setzt sie reibungsfrei um. Sie setzt darüber hinaus neue Maßstäbe bei perlenden Hochgeschwindigkeitsläufen auf dem Piano oder der Violine, gegen die selbst der Teufelsgeiger Paganini wie ein tumber Anfänger wirkt.

3 Klarinettisten

KI-Bild von Midjourney | CC Klaus-Ulrich Moeller

Der ideenlose Mensch

Und immer dann, wenn ich ihr die Freiheit der Komposition lasse, ist sie zu besonders kreativen Leistungen fähig. Das qualitätsmindernde Element ist nicht die KI, sondern der meist ideenlose Mensch: Je armseliger dessen Prompts daherkommen, desto einfallsloser antwortet – sorry: komponiert – die KI.

Aussterbende Branchen

Die Musikszene wird im Jahr 2040 trotzdem aufatmen: Menschengemachte Musik wird nicht verschwinden – im Gegensatz zu den aussterbenden Branchen der Graphiker, Designer, Texter, Schriftsteller, Filmemacher oder Sachbuchautoren, die den Kampf gegen die schnell und mit hoher Qualität produzierten künstlichen Bilder, Videos, Texte, Filmsequenzen, Sprachaufnahmen oder Übersetzungen jetzt schon verloren haben – es sei denn, sie schaffen es, die neuen Technologien zur Grundlage ihrer Arbeit zu machen und sich von der KI inspirieren zu lassen. Mit Gewinn – für Künstler und Publikum.

Neugier auf das Neue

Die Welten werden verschmelzen – und schon in Kürze wird es dem Publikum ziemlich egal sein, ob es einer KI-Melodie lauscht, einem von der KI textlich inspirierten Song oder einer neu aufgetauchten Live-Aufnahme von Neil Young. Die Neugier auf das Neue wird KI-Konzerten ein neues, gespannt lauschendes Publikum zuführen, einen neuen Markt eröffnen, wenn man sie als Künstler in seine Konzertabende einbaut. Vielerorts schießen gerade die „Speaker Slam Battles“ aus dem Boden, in denen eine KI gegen reale Menschen antritt. In der Musikszene habe ich solche mutigen neuen Formate noch nicht gesehen.

Menschliche Mutmacher

Der Musikmarkt, wie ich ihn erlebe, kommt alles andere als innovativ, disruptiv oder besonders kreativ daher. Von den Solo- bis zu den großen Orchesterkonzerten: Man macht es wie immer – und wundert sich, wenn die Zuhörerzahlen schrumpfen bzw. auf andere Kanäle abwandern. Dennoch: Musik, gemeinsames Singen, Komponieren, ein Instrument erlernen – das sind und bleiben menschliche Mutmacher in schwierigen Zeiten.

Die Chance nutzen

Eine Gemeinschaft ohne Musik verarmt. Wird leblos. Wird sinnlos. Aber Musik ist nicht nur das, was uns vergangene Jahrhunderte hinterlassen haben an Texten, Kompositionen, Traditionen. Musik ist auch Zukunft. Dazu wird auch die Musik aus der synthetischen Welt gehören – egal ob einem nun der ein oder andere Song der KI auf YouTube gefällt oder nicht. Lasst uns diese neue Chance nutzen!

Eine Reihe der Songs von Klaus-Ulrich Moeller finden sich unter seinem Künstlernamen Armand Sofitel auf Spotify, Apple Music, Deezer und vielen Plattformen mehr.

Zur Website Klaus-Ulrich Moeller

Hier geht’s zum Beitrag von Jürgen Stark:

Kulturkolumne #9: „KI ist altbekannte EDV, welcher nun fälschlicherweise ‚Intelligenz‘ angedichtet wurde“

Hier ein Artikel von Wolfgang Huber über das KI-Musikprojekt „Stadtstaub“

Ralph Fröhlich´s neuester Coup: Das KI-Projekt „Stadtstaub“ als die urbane Proteststimme Offenburgs

Hier ein Beitrag zu KI im Arbeitskontext:

Revolution am Arbeitsplatz: Wie KI-Technologie unsere Jobs verändert – und neue Möglichkeiten schafft

Das folgende Video mit KI-Musik stammt vom Stadtstaub Kollektiv der Konferenz für Urban Tranformation Design (KfUTD) Offenburg:

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