Wie verändert Künstliche Intelligenz unser Verhältnis zu Kunst, Kreativität und Menschsein? Während manche in ihr den idealen Partner für Texte, Musik und Inspiration sehen, warnt der Ortenauer Mundartautor, Germanist und ehemalige Leiter des Max-Planck-Gymnasiums Lahr, Ludwig Hillenbrand vor einer gefährlichen Entwicklung: KI könne die Fähigkeit selbständigen Denkens und damit die ureigene schöpferische Kraft des Menschen verdrängen. In seinem Beitrag zur Debatte erinnert er an die Verantwortung, die menschliche Vernunft über den „Maschinengott“ zu bewahren – sonst könne die Entwicklung apokalyptische Züge annehmen.
Von Ludwig Hillenbrand
KI – Die vierte Kränkung der Menschheit?
Die Begeisterung, die Klaus-Ulrich Moeller der musikschaffenden Künstlichen Intelligenz entgegenbringt, kann ich durchaus verstehen. Habe ich doch beim „Herumspielen“ mit dem Sprachgenerator ChatGPT ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Es ist wirklich erstaunlich, welch niveauvolle Texte zu den verschiedensten Fragestellungen und Themenbereichen dieser Roboter in Sekundenschnelle produziert. Das kann wirklich faszinieren.
Fast perfekte Gedichte
Erstaunlich auch, wie schnell dieser Sprachbot lernt. Vor wenigen Monaten noch konnte er z. B. nichts oder nur wenig anfangen mit alemannischen Texten. Wenn man ihm da einen Hebel-Text vorgelegt hat, ahnte er lediglich, dass es sich um einen schweizerischen Mundarttext handeln könnte, verstanden hat er ihn jedoch nicht. Heute schreibt er fast perfekte Gedichte im Stile Johann Peter Hebels, wenn man ihn damit beauftragt. Und er kann sogar differenzieren zwischen Hochalemannisch und Niederalemannisch.
Ludwig Hillenbrand: „ChatGPT ist voller Selbstbewusstsein“
KI weiß, was sie kann
Und bei allen Arbeitsaufträgen, die man ihm gibt, ist er ja so höflich, freundlich und geduldig, und er geht auf alle Anregungen und Wünsche ein. Auch ist alles, was er liefert, sinnvoll, „einfühlsam“, ja auch „ehrlich“ und oft geradezu witzig. Und bescheiden ist er, indem er seine eigenen Schwächen kennt und offen eingesteht, wo seine Grenzen liegen. Aber er ist auch voller Selbstbewusstsein und weiß, was er kann. Der ideale „Mitarbeiter“ und „Gesprächspartner“ also? Ein moderner „Deus ex machina“, ein Maschinengott?
„KI-Kunst ist tote Materie“
Da sollten allerdings die Alarmglocken schrillen. Hier teile ich auch die Bedenken, die Karin Jäckel in ihrem Essay vorbringt. „Ein KI-Maschinen-Kunstwerk“, schreibt sie, „ist tote Materie, die aus sich selbst heraus nicht leben kann und keinen anderen Geist hat als den, den ein Mensch ihr mit technischen Mitteln eingepflegt hat.“ Wie wahr! Nach eigenem spielerischem Experimentieren mit ChatGPT kann ich dies nur bestätigen.
Maschinen sollen gehorchen
Auf der Basis eines unendlich scheinenden Wissensvorrats und undurchschaubarer Algorithmen spuckt er nur Inhalte aus, die unsere Sicht auf die Welt bestätigen. Er generiert immer das, was wir selbst hören wollen. Solch ein Input-Output-Prozess ist natürlich typisch für alle reproduzierenden Maschinen. Eine Maschine soll ja gehorchen und das liefern, was man bei ihr bestellt hat. So sind auch alle KI-Systeme lediglich willfährige Diener, die für alles gemietet (und damit auch missbraucht) werden können.
„ChatGPT ist eine Hure!“
KI ist also ein geistloser, willenloser Maschinengott ohne ethische Grundsätze! Ein Freund hat dies neulich drastischer formuliert: „ChatGPT ist eine Hure!“ Nun ist es ja immer schon so gewesen, dass die Erfindung neuer Maschinen dazu beitragen, das Leben der Menschen zu erleichtern und unsere Handlungsspielräume zu erweitern.
KI schafft Freiräume
Maschinen sollen uns befreien von mühevoller körperlicher Arbeit und uns neue Freiräume schaffen. Und in vielen Lebensbereichen leisten dies längst auch die Systeme der Künstlichen Intelligenz. Schon heute ist KI in unserer Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken. Und sie wird unsere Zukunft prägen. Dennoch weigere ich mich zu glauben, dass, wie Klaus-Ulrich Moeller sagt, die kreativ-künstlerische, die schreibende Branche ihren Kampf gegen die KI jetzt schon verloren habe.
Verliert der Mensch seine Kreativität? Foto: tungnguyen0905/pixabay
Formales Wortgeklingel
Denn kreatives Denken, Phantasie, Intuition, Originalität, Empathie, Emotionen, Moral, Verantwortung, Gewissen – also all das, was den Menschen zum Menschen macht, kennt Künstliche Intelligenz nicht. Und wenn sie fehlen, ist ein literarisches Werk nur hohles formales Wortgeklingel. Nicht „echt“, nicht „wahr“, seelenlos! Bei allem Nutzen, den der richtige Gebrauch dieser KI-Tools für den Menschen hat, muss uns allen klar sein, auf was sich die Menschheit da eingelassen hat.
Kunsthirn statt Naturhirn?
Mit KI hat sich ein Quantensprung in der Menschheitsgeschichte vollzogen. Denn sie ist qualitativ etwas anderes als alle bisherigen mechanischen Maschinen. Mehr als ein bloßes Werkzeug. Sie greift ein in innerste menschliche Bereiche. In unser Denken, in unser Bewusstsein. Wahrscheinlich auch in unser Fühlen. Kunsthirn statt Naturhirn? Der Chatbot weiß viel. Innerhalb weniger Sekunden kann er sein umfangreiches Wissen reproduzieren und auch Lösungen anbieten. Aber er kann nur das liefern, was irgendein Mensch schon einmal gedacht und geschrieben hat.
Noch-Nie-Dagewesenes schaffen
Dieses „Kunsthirn“ kann nur auf die ihr gegebenen Befehle und Informationen reagieren und verfügt nicht über die Fähigkeit, kreativ zu denken oder unerwartete Ideen zu generieren, neue, noch nie gedachte Gedanken zu denken, neue, unerhörte Fragen zu stellen, Neues, Noch-Nie-Dagewesenes zu schaffen. Unser „Naturhirn“ indessen ist dazu in der Lage.
Revolutioniertes Weltbild
Kein KI-System wäre z. B. je auf die Idee gekommen, das seit Jahrhunderten festgefügte Bild vom Kosmos, nach dem die Erde der Mittelpunkt des Universums ist, in Frage zu stellen. Nikolaus Kopernikus hat im 16.Jahrhundert aber genau dies getan und damit unser Weltbild revolutioniert. Er hat die richtige Frage gestellt, bisher Vorhandenes angezweifelt. Bei aller Bewunderung der schier unendlichen Reproduktionskapazitäten dieses neuen „Maschinengottes“ müssen wir uns Gedanken machen, welche Folgen dieses neue Phänomen der Künstlichen Intelligenz mit sich bringen können.
Nicht beherrschbar?
Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Künstliche Intelligenz unsere angeborene „Natürliche Intelligenz“ verdrängt oder gar ersetzt. Wenn Millionen Algorithmen auf geheimnisvolle Weise ineinandergreifen, können jene KI-Tools wahrscheinlich auch Entscheidungen treffen, die nicht mehr von Menschen gesteuert und beherrscht werden. Zum Beispiel den Abwurf einer Atombombe „beschließen“. Die Möglichkeit, dass Handlungsaufforderungen und Entscheidungen von undurchsichtigen algorithmischen Berechnungen getroffen werden, ist eine geradezu apokalyptische Vorstellung.
Die Menschheit muss verhindern, dass das menschliche „Naturhirn“ dem „Kunsthirn“ der Roboter überantwortet wird. Die menschliche Vernunft muss die Kontrolle behalten. Nach Immanuel Kant ist Selbstdenken Voraussetzung für die Mündigkeit des Menschen. In seinem berühmten „Sapere aude!“ ruft er dazu auf, eigenständiges Denken zu wagen, auch gegen Widerstände irgendwelcher Obrigkeiten. „Sich seines Verstandes ohne Leitung eines Chatbots zu bedienen“, das wäre vielleicht heute die zeitgemäße Formulierung Kants.
Menschheitsaufgabe
Aber angesichts der immensen Informationsschwemme durch moderne digitale Medien ist es heutzutage schwieriger geworden, sich von äußeren Einflüssen und manipulierenden Meinungen von „Vormündern“ zu befreien. Das wäre jedoch nach Kants Vorstellungen die Grundbedingung für aufgeklärte Mündigkeit. Wie sich Menschen diese Mündigkeit angesichts der Verlockungen künstlicher Denk- und Schreibtools bewahren wollen, ist eine Aufgabe, der sich die Menschheit stellen muss.
„Kopfrechnen“ verkümmert
Ein weiterer Aspekt: Dass durch die Mechanisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen dem Menschen viel Mühe und Arbeit abgenommen wurde, hat unter anderem dazu geführt hat, dass er sich nur noch sporadisch mit eigener Muskelkraft zubewegen braucht. Der Taschenrechner hat dafür gesorgt, dass man nicht mehr selbst rechnen muss. Während in früheren Zeiten „Kopfrechnen“ in der Schule eine wichtige Disziplin war, können die jüngeren Generationen nicht mehr rechnen.
Schwund an Denkfähigkeit
Nun zeigt uns aber die Evolution, dass Fähigkeiten, die nicht mehr eingesetzt werden, weil man sie gar nicht mehr braucht, letztlich verkümmern. Wenn uns die KI jetzt auch noch selbstständiges Denken und kreatives Schreiben abnimmt, muss man sich Sorgen machen, dass auch diese Fähigkeiten mit der Zeit (ver)schwinden werden. Jedenfalls muss man befürchten, dass durch den Einsatz von Sprachgeneratoren eher der Schwund als ein Zuwachs an Denk- und Schreibfähigkeit, an kreativem Potenzial zu erwarten ist. Und ob sich eine andere Art von Kreativität entwickeln wird, ist fraglich und bleibt vage Hoffnung.
Eine neue Kränkung der Menschheit?
Sigmund Freud hat von den drei Kränkungen gesprochen, die der Menschheit im Laufe ihrer Geschichte zugefügt worden seien. Alle drei haben den Menschen in seinem Selbstverständnis erschüttert, sein Selbstbewusstsein in Frage gestellt. Nikolaus Kopernikus hat vor fast 500 Jahren die Erde aus der Mitte des Universums herauskatapultiert und sie zu einem Trabanten herabgestuft, der zusammen mit anderen die Sonne umkreist: die kopernikanische, kosmologische Kränkung.
Psychologische Kränkung
Die zweite, die darwinsche, biologische Kränkung spricht dem Menschen die Einzigartigkeit als „Krone der Schöpfung“ ab und stellt ihn stattdessen in eine evolutionäre biologische Entwicklungsreihe. Zusammen mit den Tieren. Und die psychologische Kränkung unterminiert das Selbstwertgefühl des Menschen, weil Sigmund Freud konstatiert, dass der Mensch nicht Herr seines eigenen Bewusstseins ist, sondern vom Unbewussten, Unterbewussten gesteuert wird. Freier Wille und Vernunft werden also in Frage gestellt.
Technologische Kränkung
Nun könnte die Künstliche Intelligenz zur vierten, technologischen Kränkung werden, da sie das Potenzial hat, dem Menschen seine ureigenen Fähigkeiten, nämlich das Denken und das kreative Gestalten abzunehmen. Damit würde sie in den Kernbereich des Menschseins eindringen. Ob es dazu kommt, hängt davon ab, wie wir mit diesem neuen Phänomen umgehen, welchen Gebrauch wir von der Roboterwelt machen.
Dringt KI in den Kernbereich des Menschseins vor? Foto: KELLEPICS/pixabay
Schlussmonolog als Denkanstoß
In Bertold Brechts „Leben des Galilei“ wird genau diese Problematik thematisiert. Galileo Galilei hat im 17. Jahrhundert durch zweifelndes Nachdenken und durch Experimente bewiesen, was Kopernikus nur als Theorie entwickelt hatte (Und damit steht er im Widerspruch zur herrschenden Lehrmeinung der Kirche). Die Frage, was wir aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuen technischen Errungenschaften machen, treibt den Brecht´schen Galilei um. Sein großer Schlussmonolog kann auch in unserer gegenwärtigen Situation Denkanstoß sein.
Selbstsüchtige Machthaber
Ein Ausschnitt daraus möge verdeutlichen, dass seine Aussagen auch und gerade heute noch ihre Gültigkeit haben. Fast erscheint es, als würde er uns direkt ansprechen: „Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern. Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen aufzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden, und eure Maschinen mögen nur Drangsale bedeuten.
Erfinderische Zwerge
Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, dass euer Jubelschrei über irgendeine Errungenschaft von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte. (….) Wie es nun steht, ist das Höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.“
Siehe auch hier:
Kreativer Dialog: Offenburgs OB-Kandidat Uli Albicker über die Rolle von KI in Musik und Kunst
Ödsbacher Straße 6
77704 Oberkirch
Telefon: +49 7802 916 99 43
E-Mail: info@brandmediaberlin.de
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