Kunst & Kultur

„Kehler Berge“: Gabriele Engelhardt im Interview über Kunst, Wirtschaft und die Kraft der Kooperation

Gabriele Engelhardt "Kehler Berge" Künstlerin
© Markus Dietze – Bei der Pariser Biennale de l’Image Tangible gehören Engelhardts Werke zu den Top-30 von 500.
Wenn Wirtschaft, Kunst und Stadtgesellschaft an einem Strang ziehen, entsteht etwas Außergewöhnliches. Zum 125. Jubiläum des Kehler Hafens präsentiert die Fotografin und Bildhauerin Gabriele Engelhardt ihre Werkreihe Kehler Berge – eine Hommage an Industrie, Rohstoffe und das kreative Potenzial der Region. Im Interview erklärt die Künstlerin, wie ihre monumentalen Fotografien den Dialog zwischen Wirtschaft und Kultur beflügeln – und warum Kunst mehr Wert schafft, als viele glauben.
Von Doris Geiger

Kunst trifft Wirtschaft – und Kehl zeigt, wie inspirierend diese Verbindung sein kann. Zum 125. Jubiläum des Kehler Hafens bringt die Fotografin und Bildhauerin Gabriele Engelhardt ihre Werkreihe Kehler Berge in die Innenstadt: Fotografien industrieller Rohstoffe, gedruckt auf Containern, werden zu monumentalen Kunstwerken. Das Projekt verbindet Unternehmen, Stadtverwaltung und Kunstwelt – und setzt ein starkes Zeichen für Kreativität, Kooperation und regionale Identität.

Auf dem Weg nach Paris

Die Erschafferin der künstlerischen Kehler Berge ist die Fotografin und Bildhauerin Gabriele Engelhardt. Dank ihr machen sich „raw_materials“ im Kehler Hafen im November 2025 auf den Weg nach Paris. Dort haben die Juroren der Biennale de l’Image Tangible Gabriele Engelhardts Werke als zu den besten 30 der eingereichten 500 Arbeiten identifiziert. Im Interview von Doris Geiger im Auftrag der Wirtschaftsförderung Kehl erläutert Gabriele Engelhardt, was das Miteinander von Kultur und Wirtschaft in Kehl für sie bedeutet.

Das Interview:

Doris Geiger: Ist es allein die Ästhetik von Schrott-, Schlacke-, Kohle- und Humusbergen, die Sie fasziniert?

Gabriele Engelhardt: Das gigantisch große Volumen der Rohstoff- und Recyclingberge im Kehler Hafen machen mit ihrer Oberflächenstruktur zusammen deren Ästhetik aus. Darüber hinaus ist es die Vielfalt der Perspektiven, die es uns erlaubt, diese Berge unter ökonomischen, ökologischen und eben landschaftsästhetischen Gesichtspunkten wahrzunehmen. Das löst wiederum unterschiedliche Gefühle aus: Staunen, welche Größen sich da ansammeln, Scham dafür, was wir Menschen verbrauchen, und auf Schrottbergen wegschmeißen, Freude über die Schönheit roher Materialien und durchaus auch so etwas wie Zivilisationspessimismus, weil wir daran auch erkennen können, wie wir die Welt ausbeuten.

Doris Geiger: Sind dies die Botschaften, die sie durch das Zusammenbringen von Wirtschaft und Kunst zu den Menschen bringen wollen?

Gabriele Engelhardt: Ja, aber ich wünschte, es kämen auch Botschaften einer übergeordneten Ebene an. Was man im Kehler Hafen sehen kann – und dank der versetzten Berge nun auch in der Kehler Innenstadt – ist ein wirklich riesiger Teil des Versorgungs- und Verwertungssystems unserer Wirtschaft. Und in diesem sind Häfen von großer Bedeutung. Ich wünsche mir, dass bei den Menschen aber auch ankommt, dass Kunst und Wirtschaft gemeinsam Wirkung entfalten können. Kunst ist durchaus wertschöpfend. Leider wird die Kultur von der Politik und häufig auch von der Wirtschaft und damit dann auch von der Gesellschaft als bedürftiges Zuschussprojekt gesehen. Dabei hat eine Studie des Instituts für Museumsforschung ergeben: Museen generierten 2023 eine Wertschöpfung von fast zehn Milliarden Euro, wobei die öffentlichen Investitionen dort hinein sich gerade einmal auf rund 5,5 Milliarden Euro beliefen. Die Kehler Berge sind für mich ein perfektes Miteinander unterschiedlicher Akteure, die Wirtschaft und Kunst verbinden.

"Kehler Berge" Sponsoren "Kehler Berge" Bagger

Kehls OB Wolfram Britz (l.) bei einer Begehung der „Kehler Berge“. Fotos: Markus Diezte

Doris Geiger: Eine ganze Reihe von Unternehmen unterstützen die Ausstellung als Sponsoren. Wie schwierig war es, diese in wirtschaftlich nicht ganz einfachen Zeiten zugewinnen?

Gabriele Engelhardt: Ein Punkt, der deutlich macht, dass wir zum richtigen Zeitpunkt die richtige Aktion mit den richtigen Akteuren gestartet haben. Und dass sich der eigene Blick öffnet, wenn die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt kommunizieren. Als ich meine ersten Fotografien vor fast zehn Jahren im Kehler Hafen erstellte, bin ich meinem Gefühl gefolgt. Ich war fasziniert von dieser Welt, was ich auch heute immer noch bin. Sehr viel später hat mir der Hafendirektor Volker Molz die Zusammenhänge der Umschlagsgüter aus seiner Sicht erklärt. Selbst da war die Idee, dass die tangierten Unternehmen zu Kunstsponsoren werden könnten, überhaupt nicht vorhanden. Als wir jetzt die Ausstellung planten und klar war, dass wir Sponsoren brauchen würden, konnten wir erkennen, dass ganz vielen Unternehmen ein Berg zuzuordnen ist, dessen Interpretation sozusagen zu deren Kerngeschäft passt.

Doris Geiger: Können Sie hierfür Beispiele nennen?

Gabriele Engelhardt: Der Hafen selbst ist der größte Unterstützer der Kehler Berge. Der Spatberg zeigt z.B., was die Mitarbeitenden im Hafen leisten: Sie häufen, formen, schichten, verbreitern, schmälern, erhöhen, tragen ab. Baggerfahrer modellieren solche Berge mit Präzision und maximaler Achtsamkeit. In einer Art Freiluft-Atelier wird ein Rohstoff aus dem Schwarzwald von einem Bildhauer mit Sicherheitsweste und Helm erschaffen. Der Humusberg gehört inhaltlich zur Firma Deltaflor im Hafen – selbsterklärend. Der Schienenberg – der Container, der ihn trägt, steht vor der Sparkasse – kommuniziert die Kostbarkeit des Schrotts, der so viel mehr Geld wert ist, als wir uns vorstellen. Der Hackschnitzelberg steht in Beziehung zum Garten- und Landschaftsbau-Unternehmen Krasniqi im Kehler Hafen und so weiter… Die Ausstellung bietet den Unternehmen aber auch die Möglichkeit, Menschen und potenzielle Fachkräfte mal in einem ganz anderen Kontext zu erreichen.

Doris Geiger: Gibt es hierfür Beispiele in Deutschland, die auf diese Weise schon funktioniert haben?

Gabriele Engelhardt: Mir fällt hier die Zeche Zollverein in Essen ein. Ähnlich wie der Kehler Hafen, der auch nach 125 Jahren nach wie vor ein raues Industriegebiet ist, war dies auch einmal die Zeche Zollverein. Und genau wie der Hafen heute, war sie lange für die Menschen nicht zugänglich. Man könnte sie als ein Industriedenkmal stehenlassen, aber stattdessen wurde sie zum Unesco-Welterbe. Dort finden nun Kunst- und Theaterworkshops, Musikveranstaltungen, eine Kooperation mit der Folkwang Universität und auch Fotoprojekte sowie Ausstellungen statt. Und diese bringen nun die Menschen mit diesem wichtigen Ort in Verbindung. Achja: Und vieles sponsert dabei die Wirtschaft.…

Siehe auch hier:

„Kehl kann Kunst“: Bilden die „Kehler Berge“ den Auftakt zur neuen Kreativmarke der Stadt?

Rainers Glosse #7: Was ist eigentlich abstrakt?: „Die fremde Welt, deren Gesetzmäßigkeiten man nicht begreift“

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