Kolumne Ortenauer Spiegel

Ein Meme oder wie aus einem Bundeswehr-Witz ein Staatsakt wurde und warum mein Opa sich im Grab umdreht

Schüler Social Media
© KI – Heutige Jugendliche verbringen viel Zeit mit Social Media. Ein Schüler aus Freiburg war dabei nachlässig.
Der Paragraph stammt aus dem Jahr 1957. Ein Schüler erhält Besuch von der Staatsanwaltschaft wegen eines Witzes über die Bundeswehr. Doch wenn ein Schüler-Meme zur Staatsaffäre wird, läuft was schief! Warum die Bundeswehr-Meme-Affäre aus Freiburg mehr über unsere Gesellschaft aussagt, als uns lieb sein kann. Eine persönliche Betrachtung zwischen Wehrmacht-Opa und der Social-Media-Generation. Gastautor Andreas Peter Geng nimmt den Fall in seiner neuen Kolumne „Ortenauer Spiegel“ aufs Korn.
Von Andreas Peter Geng

Ein 16-jähriger Freiburger Schüler teilt ein Bundeswehr-Meme, die Staatsanwaltschaft ermittelt, und ich frage mich: Sind wir wirklich schon wieder so weit? Eine satirische Betrachtung zwischen Wehrhaftigkeit und Witzverbot – mit einem sehr persönlichen Blick aus der Ortenau

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit Ihrem Enkel am Küchentisch. Draußen regnet es, typisch November in der Ortenau. Der Junge scrollt auf seinem Handy, kichert, zeigt Ihnen ein Bild: Ein Bundeswehr-Meme. Sie schmunzeln. Dann klingelt es an der Tür. Polizei. Hausdurchsuchung. Ihr Enkel hat die Bundeswehr beleidigt.

Science Fiction? Dystopie? Nein, Freiburg im Jahr 2024.

Bleiben Sie bei mir, auch wenn’s jetzt persönlich wird: Mein Opa war SS-Soldat. Keine Heldengeschichte, keine Verklärung. Ein junger Mann aus Ihringen, der in einen verbrecherischen Krieg gezogen wurde. Kurz vor seinem Tod nahm er mir ein Versprechen ab: „Junge, sorg dafür, dass Deutschland nie wieder Krieg führt.“ Ich war 17, idealistisch, naiv. Ich versprach es.

Von Stahlhelmen und Smartphones

Heute, 44 Jahre später, sitze ich hier in Achern und lese von einem Freiburger Schüler, der ein Bundeswehr-Meme teilte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen „Verunglimpfung der Bundeswehr“. Der Paragraph stammt aus dem Jahr 1957 – da baute mein Großvater gerade sein Haus in Freiburg St. Georgen auf. Damals brauchte man solche Gesetze vielleicht, um die junge Bundeswehr vor kommunistischer Propaganda zu schützen.

Bundeswehr

Bundeswehr-Pioniere beim Bau einer Ponton-Brücke. Foto: SimoneVomFeld/pixabay

„Kriegstüchtigkeit als Schlagwort“

Moment mal, werden Sie sagen, was hat ein dummer Schülerstreich mit Krieg und Frieden zu tun?

Alles! Denn hier, in unserer beschaulichen Ortenau, zwischen Rhein und Schwarzwald, wo Deutsche und Franzosen seit Jahrzehnten friedlich Flammkuchen teilen, hier zeigt sich ein Riss, der durch ganz Deutschland geht. Auf der einen Seite: Die neue Wehrhaftigkeit, 100 Milliarden Sondervermögen, „Kriegstüchtigkeit“ als Schlagwort der Stunde. Auf der anderen: Eine Generation, die Krieg nur aus Call of Duty kennt und ihre Meinung in Memes verpackt.

Die Mütter von Kehl und die Väter von Straßburg

Wo sind eigentlich die Eltern, die einst „Nie wieder Krieg“ auf Ostermärschen skandierten? Die Mütter von Kehl, die ihre Söhne nicht nach Afghanistan schicken wollten? Die Väter von Offenburg, die noch wissen, was ihre Väter aus Russland erzählten? Sie schweigen? Stattdessen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Teenager, die das tun, was Teenager immer tun: rebellieren, provozieren, Autoritäten hinterfragen. Nur dass sie es heute nicht mehr mit Graffiti an Häuserwänden tun, sondern mit geteilten Bildern auf Instagram.

Eine humorvolle Randnotiz: In meiner Jugend haben wir „Soldaten sind Mörder“ an Wände gesprüht. Tucholsky-Zitat, verfassungsrechtlich geschützt. Heute teilt ein Schüler ein Meme – Hausdurchsuchung. Fortschritt sieht anders aus.

Zwischen Landesverteidigung und Lächerlichkeit

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich respektiere jeden, der dieses Land verteidigen würde. Die Bundeswehr ist keine Lachnummer. Aber – und das ist ein großes Aber – wenn wir anfangen, Witze über Institutionen strafrechtlich zu verfolgen, dann haben wir ein größeres Problem als ein paar respektlose Teenager.

Lachen über Autoritäten

Wissen Sie, was mein sizilianischer Nachbar dazu sagen würde? „N Sicilia, si pigghia pi fissa tuttu – puru li surdati!“ (In Sizilien macht man sich über alles lustig – auch über die Soldaten!) Dort, wo ich zehn Jahre gelebt habe, gehört das Lachen über Autoritäten zur DNA. Vielleicht sollten wir uns davon eine Scheibe abschneiden.

Der Ortenauer Weg

Hier bei uns in der Ortenau haben wir’s eigentlich verstanden: Deutsche und französische Soldaten, die sich vor 80 Jahren noch erschossen hätten, trinken heute gemeinsam Bier beim deutsch-französischen Freundschaftsfest. Das Gymnasium in Achern feierte vor nicht so langer Zeit 25 Jahre Freundschaft mit Frankreich und lehrt beide Sprachen, beide Kulturen, beide Perspektiven. Das ist der Weg: Nicht Memes verbieten, sondern Brücken bauen. Nicht Staatsanwälte auf Schüler hetzen, sondern Dialog fördern.

Bootsfahrt Straßburg

Deutsche und französische Schüler bei einer Bootsfahrt in Straßburg. Foto: Kiwanis-Club Offenburg

Mein Vorschlag? Lasst den Jungen aus Freiburg einen Tag bei der Bundeswehr hospitieren. Nicht als Strafe, sondern als Chance. Lasst ihn mit Soldaten reden, ihre Geschichten hören, ihre Ängste verstehen. Und lasst die Soldaten mit ihm reden, seine Memes anschauen, vielleicht sogar darüber schmunzeln.

Das Versprechen

Mein Versprechen an meinen Opa kann ich nicht mehr halten. Deutschland ist längst wieder in Kriege verwickelt – Afghanistan, Kosovo, Mali, bald vielleicht die Ukraine. Aber was ich tun kann: Dafür sorgen, dass wir wenigstens unseren Humor behalten. Dass wir über uns selbst lachen können. Dass wir Kritik aushalten, ohne gleich die Staatsgewalt zu bemühen.

Paragraph aus dem Jahr 1957

Denn – und jetzt wird’s philosophisch – ein Land, das über sich selbst lachen kann, führt seltener Krieg. Ein Land, das Memes als Bedrohung sieht, ist bereits auf dem Kriegspfad. Nicht nach außen, sondern nach innen. Gegen die eigene Jugend. Hast Du schon gewusst? Der Paragraph 109d StGB (Verunglimpfung der Bundeswehr) wurde 1957 eingeführt und wird äußerst selten angewendet. Wenn wir ihn jetzt gegen meme-teilende Schüler einsetzen, machen wir uns nicht wehrhaft. Wir machen uns lächerlich.

Ein Blick nach vorn

Die Zukunft gehört nicht denen, die Witze verbieten, sondern denen, die über Witze reden können. In der Ortenau wissen wir das. Beim Stammtisch im „Adler“ in Griesheim wird über alles gewitzelt – über den Bürgermeister, über die Kirche, ja, auch über die Bundeswehr. Und wissen Sie was? Die Demokratie hält’s aus. Also, liebe Freiburger Staatsanwaltschaft: Kommt mal rüber zu uns in die Ortenau. Setzt Euch zu uns an den Stammtisch. Trinkt ein Viertele. Und lernt wieder, mit ein wenig Humor durch die Welt zu gehen. Denn wenn Memes zu Munition werden, haben wir den Krieg schon verloren. Den Krieg gegen unsere eigene Menschlichkeit.

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