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Heftkritik

Von „kafa ulaya“ bis „Sackgeld“: Acherner Print-Stadtmagazin „horni“ überzeugt mit Subkultur

Geraldine Zimpfer mit horni-Magazin
© Wolfgang Huber – Redaktionsberaterin Geraldine Zimpfer ist von „horni“ ebenfalls überzeugt
In Achern sorgt ein neues Stadtmagazin für Aufsehen: „horni“ – ein ambitioniertes Printprojekt mitten im digitalen Zeitalter. Herausgegeben von Melanie Botschek und Andreas Blaschke, besticht es durch hochwertiges Design, spannende Themen und echte Leidenschaft fürs Lokale. Indie, urban, öko und voller Herzblut zeigt horni, dass gedruckte Magazine auch 2025 noch begeistern können – vorausgesetzt, sie sind so kreativ, mutig und liebevoll gemacht wie dieses. Die nächste Ausgabe kommt im Juli und soll „borstiger“ werden.

Von Wolfgang Huber

Als ich Anfang des Jahres zum ersten Mal mit dem Begriff „horni“ im Zusammenhang mit Medien in Kontakt gekommen bin – es war auf Instagram – war ich sofort neugierig. Nicht wegen der naheliegenden Assoziation. Auf dem Profil @horni_magazin_achern war die Rede von einem neuen Print-Magazin aus Achern für Achern. Das war zunächst mal spannend und zum anderen ungewohnt. Als alter Zeitschriftenredakteur im Segment der Kommunikationsfachpresse aus Münchener Zeiten ahnte ich natürlich direkt, dass das ein ambitioniertes Vorhaben sein dürfte.

Sinkende Print-Auflagen

Zunächst muss festgehalten werden, dass es deshalb ein ambitioniertes Vorhaben ist, im Jahr 2025 eine Zeitschrift zu launchen, weil sich seit der Verbreitung des Internets die Lesegewohnheiten drastisch verändert haben. Seit dem Jahr 2000 ist der Niedergang von gedruckten Presseerzeugnissen nun schon zu beobachten.

Die Auflagen haben sich seither in etwa halbiert, wenn nicht geviertelt. So lag das Magazin „Stern“ beispielsweise 2005 noch bei über einer Million Exemplaren pro Quartal. Im Jahr 2025 wird die Zahl bei PZ Online mit 278.350 angegeben. Oder das Programmheft „TV Movie“. Der Titel sank von 2.060.000 in 2005 auf 488.800 in 2025. Das ist noch weniger als ein Viertel!

Kein journalistischer Hintergrund

Nun, Mut scheinen sie also zu haben. Die Rede ist von Melanie Botschek und Andreas Blaschke, die Herausgeber und einzigen mit der Produktion von horni beschäftigten Personen. Während Melli den redaktionellen Teil übernimmt, ist Andreas für die Grafik und das Layout zuständig. Die Autorin Melanie Blaschke hat keinen journalistischen Hintergrund. Was keine Rolle spielt. Ihr erlernter Beruf: „Visual Merchandiser“, zu deutsch Schauwerbegestalterin. Blaschke hingegen ist in seinem Metier. Die grafische Gestaltung von horni ist für ihn als Druckvorlagenhersteller und Webdesigner ein Heimspiel.

Spannung vor der Erstausgabe

Die Erstausgabe war dann für den April angekündigt worden. Als Follower von horni, der etliche Likes dagelassen hatte, spülte mir der Algorithmus die Insta-Story in mein Profil, die das Erscheinen der ersten Ausgabe feierte. Ich war gespannt. Doch Achern ist nicht Oberkirch. Kurze Kontaktaufnahme – Melanie Botschek lies sich nicht lange bitten, als sie hörte, dass ich vom Ortenau Journal bin und eine Kritik über die Erstausgabe verfassen will. Drei Tage später hatte ich drei Exemplare von horni im Briefkasten.

„Coole und interessante Menschen“

Doch wieso ein Printmagazin in Zeiten von TikTok, Instagram und YouTube? „Wir haben uns gedacht, wenn es keiner macht, dann machen wir es eben. Ein Stadtmagazin aus Achern, um Achern und über Achern hinaus. Von interessanten Menschen, die hier leben, Produkten, die es in und auf sich haben, und natürlich ganz viel anderem Input aus Achern, den wir nun im horni sichtbar machen. Hier gibt es richtig cool und interessante Menschen, jeglichen Alters, die entweder ganz am Anfang stehen oder auch schon lange hier sind, und keiner weiß davon“, erklärt Melli. Man wolle mal mal lustig, mal ernst, und auch kritisch, sarkastisch. „Eine gute Portion von allem. Stuff gibt es hier genügend.“

Modern, urban und irgendwie Öko

Schauen wir uns die Startausgabe mal an. Das Heft liegt gut in der Hand, hat in etwa das US-Magazinformat – also etwas kleiner als DinA4 – und macht neugierig. Das Look & Feel ist modern, urban, hip und irgendwie auch öko. Vor allem aber macht es einen hochwertigen Eindruck, bei angenehmer Haptik. Das Cover glatt und glänzend, aber nicht Hochglanz, das Innere besteht aus Recyclingpapier.

Wenn man in einem Ausgabepunkt („Hot Point“) auf die Auslage von horni trifft, spürt man sicher den Impuls, ein Exemplar mitzunehmen. Zumal als Titelfoto die namensgebende Hornisgrinde zu sehen ist, bei Nacht und mit Polarlicht am Himmel. In knalligen Farben. Beeindruckend. Der Fotograf: Niklas Spether. Wie es dazu kam, wird auf Seite 2 als erste Story auch gleich erklärt. Auf die Zielgruppe will sich Melli nicht festlegen. Sie reiche von Schülern bis hin zu 80-Jährigen, sagt sie. An einem lebendigen Stadtleben haben ja alle irgendwie ein Interesse. Und die Aufmachung steht einer breitgefächerten Fanbase nicht im Wege.

Keine zu langen Texte

Die Texte im horni, das ich am ehesten der Kategorie „Indie-Magazin“ zuordnen würde, sind nicht zu lang. „Indie“ deshalb, weil viel Wert auf Design gelegt wird und szenige, trendige Themen vorkommen. Melli versteht das horni als Stadtmagazin. Das wäre dann für mich die Unterkategorie.

Das Layout ist modern, locker und zeitgemäß mit großen Fotos. Zwischendurch kommen bunte Seiten, auf denen lediglich ein Satz in großen Buchstaben abgedruckt ist, wie dieser: „Übrigens: Der Textilsektor ist weltweit, allein, die drittgrößte Quelle für Wasser- und Flächenverbrauch. Komm´ zum nächsten Kleidermarkt. Dein Besuch hilft.“ Im Internet gibt es eine begleitende Website www.horni-magazin.de. Dort finden sich Kurzinformationen und Mediadaten sowie Anzeigenpreise. Das Design und die Reduktion auf das Wesentliche überzeugt auch online. Das ist geballte Professionalität. Oder zumindest Talent.

„kafa ulaya“ ist hängen geblieben

Da ist er also, der Kleidermarkt. Es ist eine kleine Leidenschaft von Melli, Secondhand-Läden einzurichten, wie sie schreibt. Und so findet sich auf Seite 20 ein Artikel unter der Überschrift „Sackgeld?“ über die Hintergründe des Altkleidersammelns mitsamt Hilfestellung, wie man mit nicht mehr getragenen Kleidungsstücken verfahren kann. Früher, so erfährt man, haben karitative Organisationen Altkleider gesammelt. Rot-Kreuz-Sammlung hieß das damals. Die Sachen wurden in Afrika verteilt. Ein geflügeltes Wort ist dabei auch entstanden: „kafa ulaya“. Was so viel bedeutet wie „Kleidung von toten Weißen“.

Lesenswerte Geschichten

Auch sonst finden sich lesenswerte Geschichten in dem Heft, das kostenlos an ausgewählten Ausgabestellen in Achern ausgelegt wird. Melanie Boteschek: „Die Hot Points kommunizieren wir über Instagram. Es sind der Acherner Einzelhandel, Bars, Bäckereien, Friseure, Wartezimmer, Hofläden, Kaffees….überall wo Menschen ein und aus gehen und sich aufhalten.“ Lesenswert ist beispielsweise auch das Interview mit der Psychologischen Beraterin und Coachin Marlene Feger. Oder der Text über die Künstlerin Sandra von Knoche, die in einem leerstehenden Schuhgeschäft eine Pop-up-Ausstellung gestartet und mit diesem Highlight in der Acherner Innenstadt zum kollektiven urbanen Empfinden der Hornisgrindestädter beigetragen hat.

Wenig Worte – große Wirkung

Auch die erst im Januar 2025 eröffnete „Sunshine Bar“ wird vorgestellt. Zum einen weit früher als meine Autorin Regina de Rossi für das Ortenau Journal und zum anderen mit einem Bruchteil des Textumfangs. Minimalismus mit maximaler Wirkung. Wozu viele Worte verlieren? Wer bis dahin die Bar noch nicht kannte, wird das sicher bald tun. Der Artikel zu dem Thema im Ortenau Journal war übrigens ein Renner in Facebook und Instagram. Aber das nur am Rande.

Auf Seite 24, kurz vor Schluss, taucht er dann wieder auf: Der Secondhand-Kleidermarkt. Wie erwähnt, eine Leidenschaft von Melli. Und so hat sie gleich selbst ein Nonprofit-Großprojekt aufgezogen. Im Februar war das. Und zwar ein „Kleidermarkt im Gewächshaus“. Und es war ein großes Gewächshaus in Achern-Großweier. Sie sorgt also teilweise selbst für die Themen für horni.

Stilistische Vielfalt

Es sind solche Aktionen von einer wachsenden Zahl an Menschen, die Nachhaltigkeit, Lifestyle, Kunst und Kultur nicht als Selbstzweck begreifen, sondern als Ausdruck eines Gemeinsinn stiftenden Rahmens. Eine Subkultur, die sich selbst nicht in den Mittelpunkt stellt, sondern zum Gelingen eines postkonsumptiven Lebens (gibt es das Wort schon?) in der Gemeinschaft beitragen will. Eine Bereicherung. Genau so wie horni selbst.

Das Projekt von Botschek und Blaschke weist trotz des eher geringen Heftumfangs von 30 Seiten eine thematische und stilistische Vielfalt auf. Es gibt Interviews, kleine Reportagen und Berichte und ganz hinten auch eine Kolumne. Dazwischen Info-Happen und – zur Refinanzierung – Werbeanzeigen. Allerdings nicht zu viele. Dennoch Kompliment: So viel Zuspruch von Werbekunden würde ich mir auch wünschen. Eine ganzseitige 1/1-Anzeige kostet immerhin 590 Euro, bei einer Auflage von 1.000 Exemplaren nicht ganz billig.

„Stehe zu 100 Prozent dahinter“

Melli erklärt den Anfangserfolg bei der Anzeigenakquise mit ihrer Überzeugungskraft: „Klinkenputzen ist angesagt, aber das kann ich mittlerweile ganz gut. Außerdem liebe ich ja das horni über alles und stehe zu 100 Prozent dahinter, die Menschen merken das und fühlen sich nicht über den Tisch gezogen. Denn für eine gute Sache lässt man auch mal was springen, ob man es nötig hat oder nicht.“

Der Start war jedenfalls mehr als gelúngen, der Zuspruch überraschend, wie Melli einräumt: „Wir waren überwältigt. Das horni war an den meisten Hot Points sehr schnell vergriffen. Viele kamen auch direkt an die Auslegestellen, fragten danach und nahmen sogar gleich 3–4 Stück mit. Wir bekamen Nachrichten sowohl über Instagram als auch per Mail. Krass war das Ganze schon, denn wir gingen ohne eine Erfolgserwartung rein und das ist auch weiterhin unser Weg.“

Nächste Ausgabe wird „borstiger“

So soll nun das nächste Heft im Juli erscheinen. Bis dahin gibt es noch jede Menge Arbeit für Melanie Botschek und Andreas Blaschke. Die Auflage soll bei 1.000 bleiben (Motto: „1.000 ist eine schöne Zahl“ und „Willst Du gelten, mach Dich selten“) und es gibt auch keine Welteroberungspläne („Wir bleiben in Achern. Achern lieben wir, Achern ist horni“).

Der Heftumfang könne variieren, sagt Melli. Mal mehr, mal weniger Seiten, wie es gerade zusammenpasse. „Die nächste Ausgabe soll auf jeden Fall etwas ´borstiger´ werden“, baut sie gleich wieder Spannung auf. So hat es damals im Januar auch angefangen. Immer nur ein kleines bisschen verraten, was auf einen zukommt. Das ganze bei ansprechender, geheimnisumwitterter Optik und Wortwahl, und das Interesse der ganzen Ortenau ist geweckt. Profis eben.

Fazit:

Man kann den beiden Machern von horni nur gratulieren. Ein starker Auftakt mit einer rundum gelungenen Zeitschrift, die – da hab ich keine Zweifel – ein neuer Fixpunkt im Acherner Aufmerksamkeitsdschungel werden wird. Sollte sich dies bestätigen, muss man Melli und Andreas auch danken. Es wäre der Gegenbeweis für die weitverbreitete These: „Print stirbt“. Die Medienwelt – auch in der Ortenau – kann aufatmen.

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