„Unsere Haut als Gefühlslandschaft“ – ein Ausstellungsprojekt zum Phänomen von Tattoos im Kontext der Trauer. Diese Wanderausstellung wurde innerhalb eines Gemeinschaftsprojekts zum Welthospiztag in der Andreaskirche am Fischmarkt in Offenburg installiert, vom 10. bis 14. Oktober. Überall in der Kirche waren Aufsteller zu sehen, die jeweils einen Menschen, ihr Trauertattoo und ihre jeweilige Geschichte dazu aufzeigten. Bewegende Geschichten, tragische aber auch schöne Erinnerungen kamen hier zutage.
Viele Gespräche
Doch das war noch nicht alles. Neben einem kleinen Rahmenprogramm gab es außerdem die einzigartige Möglichkeit, sich von Tätowierern und Tätowiererinnen des Schmutzfink Studios aus Offenburg oder dem Kalypso Beach Club aus Gegenbach direkt in der Kirche tätowieren zu lassen. Viele Gespräche entstanden hierdurch, aber auch viele neue Erinnerungen wurden geschaffen.
Drei Interviews mit Beteiligten
Die Hintergründe erzählten mir am vergangenen Sonntag drei Damen, die das Projekt unterstützt bzw. daran teilgenommen haben. Melanie Schley, Hospizleitung vom stationären Hospiz in Offenburg, Olly vom Schmutzfink Studio Offenburg und Katja Grohmann, Pastoralreferentin bei der Kirchengemeinde in Offenburg. In dieser Reihenfolge:
Interview mit Melanie Schley / Hospizleitung im Hospiz Offenburg:
Ortenau Journal: Was genau steckt hinter dem Projekt?
Melanie Schley: Es ist ein Gemeinschaftsprojekt vom stationären Hospiz, dem ambulanten Erwachsenenhospizdienst und der katholischen Kirchengemeinde St. Ursula. Die Trauertattoo-Ausstellung ist eine Wanderausstellung, die man mieten kann. Der ambulante Erwachsenenhospizdienst hat mich vor einiger Zeit gefragt, ob wir das zusammen machen wollen. Wir machen immer etwas am Welthospiztag, der immer am zweiten Oktoberwochenende ist. Schon seit Jahren richten wir diesen in der Andreaskirche aus. Aber „nur“ Trauertattoo-Ausstellung hat uns dieses Jahr irgendwie nicht gereicht. Irgendwann ist dann die Idee entstanden, dass wir die Ausstellung in Kombination mit Tattoostudios machen, die aus der Gegend sind, um einfach auch die Möglichkeit zu geben, sich in der Kirche ein Trauertattoo stechen zu lassen.
Ortenau Journal: Aber wie kam dann die Idee, dass man Tätowierer dazu holt? Es ist ja sehr ungewöhnlich, dass Tattoostudios in eine Kirche kommen und hier tätowieren.
Melanie Schley: Angefangen hat das Ganze in Bruchsal, wo dieses Jahr ein Gottesdienst stattfand, bei dem währenddessen tätowiert wurde. Das haben wir mitbekommen und gesagt, dass das doch eine mega coole Idee wäre. Trauer und Kirche gehören zusammen, Trauer und Hospiz gehören zusammen und Trauertattoos sind ja mittlerweile auch in der Gesellschaft viel mehr verankert. Die Menschen setzen sich damit auseinander. Und es ist wirklich faszinierend. Natürlich hatten wir am Anfang auch Angst und haben uns gefragt, was jetzt passiert. Kommen da überhaupt Leute? Lassen sie sich hier wirklich tätowieren? Natürlich gibt es auch die, die sich irgendwas anderes tätowieren lassen, weil einfach die Möglichkeit da ist, aber auch viele, die hierher gekommen sind, untätowiert, nackt, sage ich jetzt mal so, ohne Tattoos, und gesagt haben: Ich habe mir das jetzt hier angeschaut und es hat etwas in mir ausgelöst, ich habe was im Kopf und ich würde das jetzt gerne gleich machen: sich dann hier vor Ort wirklich ein Trauertattoo mit Geschichte dahinter stechen zu lassen. Die Resonanz ist wirklich sehr, sehr positiv.
Die Ausstellung in der Andreaskirche. Foto: Nicole Zscherneck
Ortenau Journal: Und die, die dann hierher kommen, lassen sich hauptsächlich ein Trauertattoo stechen?
Melanie Schley: Es ist wirklich ganz unterschiedlich. Die zwei, die jetzt gerade da sitzen, lassen sich keine Trauertattoos stechen. Der Pinguin, den sich die Kundin gerade stechen lässt, ist eher ihr Seelentier, mit dem sie etwas ganz Besonderes verbindet.
Ortenau Journal: Es ist ja auch schön, wenn man das mit so etwas verbindet.
Melanie Schley: Genau. Aber ich habe auch schon viele Trauertattoos mitbekommen. Ganz eindrücklich war Freitagabend eine ältere Dame. Sie stand auf einmal da, ich bin zu ihr und habe mit ihr geredet. Sie sagte, sie habe sich jetzt gerade entschieden, sich einen Stern stechen zu lassen. Sie habe so viele Menschen begleitet, Angehörige, auch Sterbebegleitung geleistet. Und der Stern mit seinen fünf Zacken stehe für sie für den Menschen. Der Kopf, die Arme und Beine. Den hat sie sich ans Handgelenk stechen lassen. Am Tag drauf war sie nochmal da und hat mir das Tattoo gezeigt. Sie hat gesagt, es hat nochmal so viel bei ihr nachgearbeitet, dass sie das Tattoo gerne nochmal erweitern möchte mit Buchstaben, die sie noch damit verbindet.
Ortenau Journal: War das dann auch ihr erstes Tattoo?
Melanie Schley: Richtig. Sie hat gesagt, das passt für sie gerade und ich fand das mega, dass sie die Entscheidung jetzt durch diese Ausstellung getroffen hat. Damit habe ich meinen Auftrag erfüllt. Den Auftrag, den wir uns vorgenommen haben, einfach auch Menschen zu berühren und sich mit ihrer Trauer unter Umständen nochmal anders auseinanderzusetzen.
Ortenau Journal: Die Leute kommen hierher, können trauern und diese Trauer wird dann nochmal anders verarbeitet?
Melanie Schley: Ein Trauertattoo ist ja auch so ein bisschen was wie Festhalten, aber auch in gewisser Form den Verstorbenen loszulassen. Und das ist ja immer ganz wichtig, in der Sterbebegleitung, in der Trauerarbeit. Die Trauer geht ja nie weg. Sie verändert sich aber sie bleibt für immer, weil der Mensch fehlt immer. Aber sie wird unter Umständen weniger oder die Form der Trauer ändert sich. Es ist nicht mehr nur der Tränenfluss, sondern man kann einfach auch mit einem Lächeln über den Verstorbenen reden.
Ortenau Journal: Auf den verschiedenen Aufstellern ist immer eine Person und das jeweilige Tattoo und die Geschichte dazu zu sehen. Das ist schon sehr bewegend.
Melanie Schley: Ich finde es wichtig, dass man nicht einfach die Banner hinstellt und die stehen da und die Menschen schauen sie an. Es braucht einfach Ansprechpartner, die da sind und die Menschen dann in dem Moment unter Umständen auffangen zu können. Das löst natürlich teilweise hier ganz, ganz viele Emotionen aus. Deswegen sind wir vom stationären Hospiz und ambulanten Hospizverein sowie von der Kirche die ganze Zeit vor Ort, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, zu fragen, was macht es jetzt gerade mit ihm und warum. Und ihm auch so ein bisschen Halt zu geben, da zu sein, zuzuhören. Wir haben auch schon ganz viele, auch gestandene Männer, zum Weinen gebracht. Ich habe auch ein Ehepaar angesprochen. Da ging es nicht um die Trauer um einen Menschen, sondern sie selbst ist krebskrank gewesen und dann war das so ein Spiel zwischen Trauer, aber auch Hoffnung, die Krankheit besiegt zu haben, aber irgendwie trotzdem die Angst, die da ist, dass die Erkrankung unter Umständen zurückkommt. Und da hat sich auch ganz viel entwickelt in dem Gespräch, ich bin selbst total emotional geworden und habe gemerkt, bei mir steigt der Wasserpegel. Das ist auch vollkommen in Ordnung und ich sage es immer wieder, auch bei uns im stationären Bereich: Für uns sind Emotionen vollkommen zulässig, das gehört dazu. Wenn ich das mal nicht mehr kann, dann bin ich in dem Beruf nicht mehr richtig. Dann ist was falsch. Deswegen finde ich es eben wichtig, dass da irgendwie auch noch was dabei ist, wo die Menschen aufgefangen werden können.
Ortenau Journal: Was hat es mit den Kerzen auf sich?
Melanie Schley: Das ist von heute Morgen, da hatten wir eine kleine Gedenkzeit und haben dort welche ausgelegt. Die Kerzen, die dort im Sand stecken, sind von Menschen, die sie für ihre verstorbenen Angehörigen angezündet haben. Wir haben noch eine Präsentation laufen lassen und unser Musiktherapeut hat das musikalisch umrahmt, zum Beispiel mit Sarah Connor oder Johannes Oerding.
Ortenau Journal: Wie ist die Resonanz?
Melanie Schley: Sehr positiv. Wir hatten schon Bedenken, weil, so wie du auch gesagt hast, auf den ersten Blick ist es ungewöhnlich eine Kirche und Tattoos in Verbindung zu bringen. Aber die Menschen sind verschieden und nicht jeder kann mit Tattoos etwas anfangen. Man muss jeden so sein lassen, wie er oder sie ist. Man muss die Menschen abholen. Und ich erkläre, warum Trauertattoos so wichtig sind. Ich selbst habe auch welche. Das ist für mich einfach wichtig, weil ich damit was verarbeite, aber den Menschen trotzdem bei mir im Herzen habe. Wir hatten auch am Freitag jemanden hier, der gesagt hat, Kirche und Tattoos, das geht gar nicht. Aber er ist dann trotzdem mit rein, hat sich die Ausstellung angeguckt und es ist dann zu einem sehr guten Gespräch gekommen. Du hast die Menschen, die hier durchgehen, Kopf schütteln und sagen, geht gar nicht. Aber das ist zum Glück die Ausnahme. Und das eine Prozent, das sagt, das geht gar nicht: Das hat man in jedem Lebensbereich. Es kann nicht jeder die gleiche Meinung haben.
Ortenau Journal: Und da gab es von der Kirche keine Einwände?
Melanie Schley: Es sind sogar viele von der Kirche schon da gewesen, die sich das dann einfach auch angucken und sagen, ja cool. Sie lassen sich nicht unbedingt hier tätowieren, da sind sie dann doch zurückhaltend. Aber sie waren da und haben gesagt, dass es schön und mal was anderes war.
Ortenau Journal: Was waren denn so dein Highlights?
Melanie Schley: Das mit dem Sterntattoo war auf jeden Fall eines. Alle, die das mitgekriegt haben, haben das total gefeiert. Sie ist Sozialarbeiterin, wenn ich es richtig weiß. Einfach diese Rückmeldung von ihr auch nochmal, jetzt auch nach der Tätowierung, wie das nachgewirkt hat und was es mit ihr macht. Und diese Entscheidung zu treffen, ja, ich lasse mich jetzt tätowieren. Und das ist das, was ich immer wieder so faszinierend finde, was manchmal so Gespräche oder eben solche Ausstellungen bei den Menschen auslösen. Und dann haben wir doch schon alles gewonnen. Das ist einfach mega. Ich glaube auch, dass das in den Köpfen drin bleibt, dass wir das jetzt hier gemacht haben.
Tatöwierte und ihre Geschichten in der Andreaskirche. Foto: Nicole Zscherneck
Ortenau Journal: Gibt es in absehbarer Zeit noch mehr solcher Termine?
Melanie Schley: In Freiburg ist nächstes Wochenende die Messe zum Thema „Leben und Tod“, ab Freitag, den 17.10.25., wo wir auch als Netzwerkgemeinschaft nochmal einen Stand haben und auch nochmal über das Thema Tod und Sterben berichtet wird.
Ortenau Journal: Gibt es das Event hier nächstes Jahr wieder?
Melanie Schley: Ich kann dir nur sagen, dass es nächstes Jahr sicherlich nicht wieder in der Größe stattfindet, weil du brauchst ja auch die Menschen dafür, die dann hier arbeiten und in dem Moment vor Ort sind. Ich denke, das muss sich jetzt entwickeln, wir werden einfach auch mit den Tätowierern reden, ob sie sich das nochmal vorstellen können.
Ortenau Journal: Ich denke aber, da sind sie relativ offen.
Melanie Schley: Das war auch wirklich so, als wir angefragt haben. Sie wussten ja auch nicht, was da auf sie zukommt. Aber es haben dann gleich beide gesagt, nein, es ist alles gut, es ist Werbung und entweder es läuft oder ich gewinne halt einfach nur zwei, drei Kunden, dann ist es so. Aber die Tätowierer brennen für das Thema und waren gleich dabei. Sie waren auch bereit zu sagen, wir gehen das Risiko ein, dass wir in diesen drei oder vier Tagen eventuell nichts verdienen. Aber wie gesagt, wir hatten Glück und es ist gut gelaufen. Es ist fast permanent jemand da, der sich tätowieren lässt, also ich finde das schon Wahnsinn, wie viel sie doch zu tun haben.
Ortenau Journal: Tattoo & Kirche ist ja auch eine seltene Kombination.
Melanie Schley: Ja, genau, das war auch Ollys Reaktion als ich sie gefragt habe: „Hast du gerade gesagt, in der Kirche?“ Aber sie war gleich begeistert da mitzumachen.
Ortenau Journal: Wie viele Leute sind jetzt hier im Einsatz, die das Ganze betreuen?
Melanie Schley: Zwischen sechs und acht Personen. Immer bis 17/18 Uhr, Freitag war es bis 21 Uhr. Diese Kombination, draußen zu stehen, die Leute anzusprechen und in der Kirche mit ihnen zu reden, um die Leute vielleicht auch auffangen zu können – das ist perfekt so.
Olly / Schmutzfink Studio Offenburg:
Ortenau Journal: Hattest du ein besonderes Erlebnis während dieser Veranstaltung?
Olly: Ja, das hatte ich, ein total magisches. Es waren zwei Frauen da, ähnliches Alter, kurz vor 60, würde ich sagen. Beide befreundet miteinander deren Ehemänner waren auch befreundet. Der Ehemann meiner Kundin, die ich gestochen habe, ist vor zehn Wochen verstorben, der ihrer Freundin im vergangenen Jahr. Diejenige, die vor einigen Wochen ihren Mann verloren hat, und ich tätowiert habe, ist schon relativ stark damit umgegangen. Sie hat einen Engel von mir auf den Fuß tätowiert bekommen mit einem Spruch. Währenddessen hat sich ihre Freundin bei Nacho tätowieren lassen, auch ein Erinnerungstattoo an ihren verstorbenen Mann. Und ich habe ja Musik drinnen laufen, das ist aber immer eine willkürliche Playlist, die automatisch geshuffelt wird. Ich tätowiere also einen Engel auf den Fuß mit dem Spruch: Ich halte dich fest. In dem Moment, in dem ich am Text bin – und die Kirche war voller Menschen, die um uns herumstanden und das bezeugen können – kommt der Song von der Beerdigung ihres Mannes mit dem Refrain genau dieses Textes. Dann waren wir alle im ersten Moment so gerührt und sie hat dann auch Tränen in den Augen gehabt, weil das so verrückt war. Gleichzeitig hat sie ihre Freundin aber wieder aufgefangen und hat zu ihr gesagt: „Weißt du was, unsere Männer hocken jetzt da oben mit einem Bierchen und lachen sich wahrscheinlich kaputt, weil wir zwei alten Weiber uns jetzt das erste Tattoo stechen lassen.“ Und dann war das ein Mix von Mitgefühl und magischem Gänsehaut-Moment zu: Gott, wie witzig ist das eigentlich? Wie wahrscheinlich ist das, dass die Frau sich in dem Moment diesen Text stechen lässt. Sie hätte sich auch einen Stern tätowieren lassen können oder ein Engelchen. Ich tätowiere aber diesen Text und alle so: „Das ist doch jetzt nicht wahr.“ Unglaublich.
Ortenau Journal: Ihr habt solche Trauertattoos bestimmt auch oft im Studio.
Olly: Wirklich oft, ob es jetzt um verstorbene Tiere geht oder kleine Sternenkinder, die schon tot geboren wurden, so Fußabdrückchen für sie, oder Omis, Opis, die verstorben sind, Mütter. Ich mache ganz viele Trauertattoos. Und da musst du halt unglaublich gut unterscheiden zwischen mitleidend und mitfühlend sein. Dadurch, dass wir darin schon so viel Erfahrung haben, glaube ich, war das für uns ganz gut und einfach, damit in Resonanz zu gehen, dass wir nicht mitleiden müssen, sondern einfach mitfühlend sein können.
Ortenau Journal: Einfach eine tolle Aktion.
Olly: Ich habe eigentlich erwartet, dass ich hierher komme und die Stimmung sehr gedrückt ist und man zu sehr mitfühlend ist, das alles ein bisschen zu stark aufnimmt. Das war aber gar nicht so. Ich habe die herrlichsten, lustigsten, lautesten Tage überhaupt gehabt. Du lernst ganz viele Leute kennen, mit denen du unglaublich viel lachen musst, auch über Situationen, die lustig und traurig zugleich sind. Also wir haben solch positive Resonanz auch nicht erwartet. Wir haben gedacht, dass wir da ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen und die Leute aber eher distanziert sind, aber so war es nicht. Zu 99 Prozent sind es positive Stimmen. Einer war gestern da, der hat stark diskutiert, aber er war nicht unangenehm emotional. Er fand es nicht gut und hat es auch gut erklärt und wir haben einfach gute Gegenargumente gehabt. Dann hat man sich geeinigt, dass man sich einfach auch lässt. Und das war völlig in Ordnung.
„Unsere Haut als Gefühlslandschaft“ in der Andreaskirche. Foto: Nicole Zscherneck
Ortenau Journal: Also bereut ihr nicht, zugesagt zu haben.
Olly: Nein, wirklich nicht. Es ist toll, vor allem wie offen die Leute eigentlich dafür auch sind.
Ortenau Journal: Meine Mutter hat auch ein Trauertattoo, für ihren 2018 mit dem Fahrrad tödlich verunglückten Bruder. Sie hat auch gesagt, das möchte sie sich tätowieren lassen, obwohl es ihr erstes und bisher einziges Tattoo ist.
Olly: Um was es eigentlich geht ist, dass die Menschen immer etwas brauchen wenn jemand verstirbt, was zum Festhalten. Entweder sie halten sich an einem Song fest oder sie stellen sich ein Bild irgendwo hin oder sie lassen sich tätowieren und haben so ein bisschen Halt. Wenn du ein Tattoo hast, was du jeden Tag mit dir rumträgst, hilft das den Leuten beim Festhalten und gleichzeitig beim Loslassen. Wir begleiten quasi den Loslass-Prozess, begleiten durch diesen Schmerz, den man dann nochmal durchgeht. Du machst das Erinnerungstattoo, was eigentlich gar nicht traurig ist, sondern positiv. Und diese Resonanz merken wir. Du denkst eigentlich, du hast da Menschen, die dann weinend herkommen. Aber nein, die sind total voller Freude und können loslassen, weil sie etwas zum Festhalten haben. Und das ist doch schön.
Ortenau Journal: Hast du sonst noch ähnliche Events in der Zukunft geplant?
Olly: Ich würde gerne noch kurz einen Ausblick liefern, weil das total passend zu dieser Veranstaltung jetzt hier in der Andreaskirche ist. Wir bieten bald in unserem Studio, und in einem eigens dafür vorgesehenen Raum mit Räucherstäbchen und besonderer Stimmung, sogenannte Blind-Trust-Tattoos an. Der Kunde geht mit mir frühstücken, erzählt mir seine Geschichte und ich entwerfe ihm dann das passende Motiv. Er sagt mir Körperstelle und ungefähre Größe des Tattoos, den Rest übernehme ich. Da wird es dann ein Package mit vielen kleinen Überraschungen zusätzlich geben und eine ganz neue Erfahrung werden. Das ist meines Wissens bisher einzigartig und ich freue mich riesig drauf und bin gespannt wie es anläuft.
Katja Grohmann / Pastoralreferentin bei der Kirchengemeinde in Offenburg:
Ortenau Journal: Wie siehst du das Event aus deiner Perspektive?
Katja Grohmann: Manche Leute fragen, warum es die Ausstellung gerade in der Kirche braucht. Ich sage ganz klar, gerade die Andreaskirche bietet sich dazu auch an, weil wir die Verbindung haben, denn genau hier war früher ein Spital und Hospital. Und jetzt sind wir in der Hospizarbeit tätig. Also hier haben wir einfach noch diese Verbindungstür zum damaligen ursprünglichen Ort, wo Menschen aufgenommen wurden. Wir leben hier das achte Werk der Barmherzigkeit, Trauernde zu trösten. Das ist nochmal eine ganz wichtige Aufgabe der Kirche, weil wir begleiten Menschen einfach, auch da, wenn andere vielleicht gehen oder keine Worte mehr haben. Deswegen braucht es uns in der Innenstadt, in diesem Moment.
Ortenau Journal: Wie ist die Resonanz generell, dass hier in der Kirche tätowiert wird?
Katja Grohmann: Es geht laut den anderen Helfern von positiv zu negativ. Mein Eindruck ist aber, seit ich da bin, habe ich noch gar keine negativen Stimmen gehört. Ich stehe hier für die Kirche. Sie ist nicht nur mein Arbeitgeber, sondern ich stehe einfach auch persönlich dafür. Klar, es gibt Leute, die lehnen Tattoos generell ab und das ist auch völlig okay. Jeder darf seinen Weg durch die Trauer finden. Aber seit ich hier bin, hat noch niemand gesagt, das geht ja gar nicht. Eher sind alle so: Die Arbeit, die ihr macht, das ist das eigentlich Wichtige.
Ortenau Journal: Ich glaube, die Menschheit wird auch ein bisschen offener. Merkt man das auch in der Kirche?
Katja Grohmann: Ja, genau. Und diese unterschiedlichen Meinungen wird man immer haben und das ist aber auch gut so. Wir zwingen ja niemanden, sondern wir zeigen einfach Möglichkeiten, die es gibt und diese Möglichkeiten sind gerade in der Kirche vielfältig.
Ortenau Journal: Was ist für dich besonders schön hier?
Katja Grohmann: Was mir jetzt am Sonntagmorgen wichtig geworden ist, ist das mit den Kerzen. Ich habe das tatsächlich unterschätzt. Seit wir die jetzt da haben, von der Gedenkzeit heute Morgen, haben wir eine ganz andere Dynamik in den Gesprächen. Menschen, die diese Kerze nutzen und anzünden, die plötzlich mit Tränen dastehen und sich dann so wunderschöne Gespräche entwickeln. Vielleicht sollten wir uns das auf die Fahne schreiben, dass da mehr Räume für sowas geöffnet werden, als Kraftort irgendwo auch. Da habe ich nicht mit gerechnet, und bin sehr positiv überrascht. Man kann es gar nicht richtig beschreiben, das ist irgendwie was Besonderes mit den Kerzen. Jeder bringt so seinen Verstorbenen gerade hierher.
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