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The Rattles rocken mit über 80 Jahren den „Ochsen“: Legendäres Konzert in Sinzheim begeistert

Jürgen Stark, Dicky Tarrach, Claus Ruf
© Wolfgang Huber – Wiedersehen nach 35 Jahren: (v.l.n.r.) Jürgen Stark, Dicky Tarrach und Claus „Doc“ Ruf.
60 Jahre nach ihrer England-Tour mit Little Richard stehen die „deutschen Beatles“ weiter auf der Bühne: Die legendäre Band The Rattles rockte den „Ochsen“ in Sinzheim – mit über 80 Jahren auf dem Buckel, aber voller Energie. Mitten im Publikum: Kolumnist Jürgen Stark, der ein emotionales Wiedersehen mit Rattles-Schlagzeuger Dicky Tarrach erlebte. Ein Abend voller Nostalgie und echtem Rock’n Roll. Das ergraute Publikum fühlte sich in die Zeiten des Beat versetzt: die 60er-Jahre.
Von Wolfgang Huber

Es war die Zeit, in der US-Präsident John F. Kennedy ermordet wurde, in der Konrad Adenauer von Ludwig Erhard als Bundeskanzler abgelöst wurde, der Élysée-Vertrag in Kraft trat und die Fußball-Bundesliga in ihre 1. Saison gestartet war (1. Deutscher Meister der Bundesliga war der 1. FC Köln). Und ich selbst war noch längst nicht geboren. Mein erster Auftritt im Leben war erst fünf Jahre später.

Tour mit Little Richard

In diesem Jahr 1963 war die Band „The Rattles“ aus Hamburg auf England-Tour – zusammen mit den damaligen Superstars Little Richard und den Everly Brothers. Sehr lang ist es her. Drei Jahre später, 1966, durften sie die Beatles bei ihrer einzigen Deutschland-Tournee als Vorband begleiten. So etwas prägt sich ins Bewusstsein, in die DNA einer Band ein.

Nicht mehr die großen Hallen

Nun, gut 60 Jahre später, touren die „Rattles“ immer noch. Zwar längst nicht mehr durch England, aber die Altrocker sind immer noch gefragt. Sie füllen nicht mehr die großen Hallen. Doch knapp 150 Musikkenner in der badischen Provinz zu mobilisieren, das schaffen nur ganz wenige. Und was die vier betagten Herren neulich im „Ochsen“ in Sinzheim bei Baden-Baden auf die Bühne zauberten, war – bedenkt man ihr Alter von über 80 Jahren – ziemlich beeindruckend.

Schleppender Vorverkauf

Der Vorverkauf für das Konzert lief laut Veranstalter Sven Burgmaier eher schleppend, was ihn zunächst wunderte. Wusste er doch, dass die Truppe bei älteren Semestern immer noch wohlbekannt ist. Und davon gibt es ja in Deutschland viele. Ob es schließlich das Eingreifen des Ortenau Journals in Form eines 2. Event-Tipps und eines Vorberichts war, ist nicht überliefert. Aber beim Eintreffen im „Ochsen“ war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.

Coup von Claus „Doc“ Ruf

Der Schlagzeuger Claus Ruf, bekannt als „Doc“, unter anderem vom „Buddy & Doc Trio“ aus Ortenberg und ebenfalls schon mit 40 Jahren Bühnenerfahrung, begleitete uns bei dem Nostalgie-Trip. Er hatte im Vorfeld des Events über einen Bekannten Plätze in der ersten Reihe für uns reserviert. Damit überraschte er uns gehörig. Einwände hatten wir freilich nicht. Erste Bürgerpflicht in so einem Augenblick: Ein Pils bestellen!

Wiedersehensfreude

Der Dritte im Bunde war der Kolumnist und Autor Jürgen Stark. Unvergleichlich seine Kulturkolumnen, die er früher im Offenburger Tageblatt, und nach einer mehrjährigen Unterbrechung nun bis heute im Ortenau Journal veröffentlicht. Er kennt den Schlagzeuger der „Rattles“, Dicky Tarrach seit über 40 Jahren aus seiner Zeit an der Waterkant. Das Konzert in Sinzheim war für ihn auch ein Wiedersehen mit einem alten Freund. Und das nur wenige Monate nach seinem Schlaganfall. Wenn man allmählich älter wird, weiß man solche Momente angemessen zu würdigen.

Rocken bis der Arzt kommt

Als die vier „deutschen Beatles“ die Bühne in Beschlag nehmen, hat Dicky Tarrach seinen alten Freund längst erkannt. Nach einem freundlichen Gruß widmet er sich dann aber erst mal seinem Instrument. Die kommenden 100 Minuten sollte der Saal wie elektrisiert den Rock´n Roll-Darbietungen folgen. Zum einen erinnerten die Musiker an die Zeiten im „Star Club“ in Hamburg, und zum anderen rockten sie den Saal, als gäbe es kein Morgen.

"The Rattles" auf der Bühne

Foto: Wolfgang Huber – „The Rattles“ haben nichts verlernt.

Fans alle über 65

Neben Dicky Tarrach gehörten Eggert Johannsen (Rhythmusgitarre), Herbert Hildebrand (Bass) sowie Michi Jessen (Sologitarre) zur Besetzung. Zum Start gibt es „Stand By Me“ und „Lucille“, wobei gleich auffällt, dass Eggert Johannsen die Stimme zum Erstaunen der Fans unendlich lange hält. Apropos Fans: Außer meiner Wenigkeit war natürlich keiner im Saal unter 65. Die Fans altern mit ihren Stars, das lässt sich nicht aufhalten. Getanzt wurde trotzdem ausgiebig.

Eingefleischte Fangemeinde

Insgesamt gab es fünf England-Tourneen, wie Johannsen erzählt. 1960 habe kein geringerer als Jerry Lee Lewis im „Star Club“ Konzerte gegeben – bei einem Eintritt von 2 Deutschen Mark. Johannsen: „Nach zwei Tagen wollte den keiner mehr sehen. Alle wollten die „Rattles.“ Die Band hatte gleich im ersten Jahr eine eingefleischte Fangemeinde, so scheint es. Man würde während des Konzerts die Kraft der lebenden Legenden mit jeder Songzeile, jedem Gitarrenriff und jedem Schlag auf die Bass-Trommel spüren können.

Zeit der ersten Mondlandung

Die „Rattles“ karikieren nicht ihren Kultstatus. Sie leben ihn. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie in den Zeiten des Aufbruchs vor vielen Jahrzehnten. Mit Sonnenbrille, wie es sich für Publikumsmagneten gehört. Und sie zelebrieren ihre Shows mit einer Jugendhaftigkeit wie sie ihn zu Zeiten eines Konrad Adenauers oder der ersten Mondlandung hatten. Sie wirken wie Jungstars, die jedes Konzert alles geben, um das Publikum auf ihre Seite zu ziehen.

Gelernt ist gelernt

Nun, das gelingt den Mit-Achtzigern mit einer Leichtigkeit und Routine, dass man sich noch zehn weitere Jahre auf der Bühne vorstellen kann. Nach 60er-Jahre-Flash mit Jerry Lee Lewis macht Johannsen einen Sprung ins Jahr 1988. Das Jahr des Comebacks nach der Trennung 13 Jahre zuvor. Die Single „Hot Wheels“ sei prompt zur Single zum Act des Jahres gewählt. Gelernt ist halt gelernt.

Hit-Feuerwerk wie in alten Zeiten

Es folgen unbeschwerte Minuten mit Hits wie „C´est La Vie“ aus dem Tarantino-Streifen „Pulp Fiction“ mit der legendären Tanzszene und „Shake Baby Shake“, ehe der Bandleader wieder eine Anektode zum Besten gibt. Als sie den Gitarristen Tony Sheridan im „Star Club“ spielen hörten und sahen, meinte er damals: „Wenn das der Maßstab ist, können wir gehen. Das lernen wir nie.“ Doch es kam bekanntlich anders. Apropos Gitarre: Michi Jessen, der jüngste in der Riege der Altstars, erinnerte mit seinem Gitarrensolo zu „Hey Joe“ an den Größten Virtuosen aller Zeiten: Jimi Hendrix.

Keine Müdigkeit

Bevor es jedoch zur offiziellen Wiedervereinigung von Dicky Tarrach mit Jürgen Stark kommen sollte, würden sich die vier Rock n´Roller natürlich nicht von einer Zugabe abhalten lassen. Die kam in Gestalt der Hits „Sha La La La Lee“, „Come On And Sing“, „It´s All Over Now, Baby Blue“ und „My Bonnie Is Over The Ocean“. Bei den „Rattles“ sollte immer noch keine Spur von Müdigkeit aufkommen. So präsent, hellwach und professionell will ich mit über 80 auch mal sein.

Minutenlanger Applaus

Nach dem Schlussakt mit „Go Johnny Go“ und minutenlangem frenetischen Applaus folgen Minuten des Wartens. Denn Dicky Tarrach hat während des Konzerts mit vollem Körpereinsatz brilliert – unter Einsatz all seiner Reserven. Sein Schlagzeug gehorcht ihm aufs Wort, während er es hart, aber sinnstiftend traktiert. Doch er ist danach erst mal so platt, dass er sich eine Weile erholen muss.

Der große Moment

Dann der Moment. Dicky Tarrach kommt aus der Garderobe, steuert auf Jürgen zu lacht. Nach einer herzlichen Umarmung machte er dann kurz mit einem Satz deutlich, worauf es im Leben wirklich ankommt: „Ich brauche jetzt erst mal ein kühles Bier“. An dieser Konstanten im Leben eines Mannes hat sich bis heute kaum was geändert. Obwohl, so kolportiert die Marktforschung, der Bierkonsum in Deutschland immer mehr abnimmt. Aber so ganz verschwinden wird der Gerstensaft sicher nicht.

Jürgen Stark, Dicky Tarrach  Jürgen Stark, Dicky Tarrach, Claus Ruf

Fotos: Wolfgang Huber – Ein freudiges Wiedersehen mit Jürgen Stark, Dicky Tarrach und Claus Ruf (v.l.n.r.)

Dicky Tarrach braucht ein Bier

Jürgen Stark ist ergriffen, als er mir zuraunt: „Hast du das fotografiert?“ So ein Wiedersehen muss natürlich festgehalten werden. Die beiden Freunde tauschen ein paar Sätze und erinnern sich an vergangene Zeiten in den 80er und 90er-Jahren in Hamburg. Doch Tarrach ist nach der intensiven Show dann doch zu geschlaucht, um noch eine Party folgen zu lassen. Er zieht sich schließlich mit seinen Band-Kollegen zurück, um sich eine nächtliche Mahlzeit zu gönnen.

Die besten Plätze

Sven Burgmaier, der Wirt des „Ochsen“, kann sich nicht erklären, dass es so kurzfristig noch voll wurde im Saal und „Doc“ ist stolz, dass man ihn auch im Raum Baden-Baden kennt und sich diese Kontakte auch noch gewinnbringend einsetzen lassen. Immerhin hatten wir, die wir als letzte zum Ort des Geschehens eintrafen, dennoch die besten Plätze. Ein regelrechter Coup von „Doc“. Das muss dieses Vitamin B sein, von dem immer alle reden.

Die zuverlässige Bandbegleiterin

Bevor wir zum Schluss kommen, sei noch die Tourbegleiterin der Rattles erwähnt. Sie, deren Namen ich mir vergaß zu notieren, die aber auf dem Titelfoto dieses Beitrags im Hintergrund etwas grimmig dreinschaut, baut vor jedem Gig das Equipment auf. Dabei ist sie einerseits hoch konzentriert, muss doch alles an seine Platz. Müssen die richtigen Kabel verbunden werden. Und das, ohne einen mittleren Zimmerbrand auszulösen.

Andererseits nimmt sie sich die Zeit, nebenbei charmant meiner Frage nach dem Aufenthaltsort von Dicky Tarrach auszuweichen. Und das alles nur, um danach wieder sorgfältig alles einzupacken. Da lebt auch jemand seinen Traum von der Freiheit. Auf Tour mit den Rattles! Großartig.

Bleibende Eindrücke

Schließlich treten wir zufrieden und erleichtert die Heimfahrt Richtung Ortenberg und Oberkirch an. Erleichtert, weil mit dem Treffen alles geklappt hat. Und die Eindrücke der vergangenen Stunden mit echten Legenden, die eine Aura versprühen, als gäbe es noch den Eisernen Vorhang und Sowjet-Panzer am Checkpoint Charly – diese Eindrücke von den „Rattles 2025“ werden für immer in angenehmer Erinnerung bleiben. Und immer verbunden mit einer leichten Gänsehaut.

Siehe auch hier:

Wiedersehen nach 30 Jahren: Jürgen Stark trifft Freund Dicky Tarrach von der 60er-Jahre-Kultband „Rattles“

„Die deutschen Beatles“ kommen: Kultband The Rattles am 11. Juli im Ochsen Sinzheim! Tickets sichern!

„Die deutschen Beatles“ kommen: Kultband The Rattles im Juli im Ochsen Sinzheim!

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