Von Wolfgang Huber
Mit kaum einem anderen Land der Welt verbindet Deutschland eine innigere Beziehung, als mit Italien. Nach den Schrecken des 2. Weltkriegs war Deutschland wieder auf dem Weg zu wirtschaftlicher Stärke. Die Entbehrungen der Nachkriegszeit, als es Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung mit dem Notwendigsten gab, ging es ab den 50er Jahren bergauf. Das legendäre Wirtschaftswunder sorgte für neuen Wohlstand. Schon bald entdeckten die Deutschen ihre Reiselust. Das Land der Sehnsucht war Italien.
Anwerbung von Arbeitskräften
In langen Konvois schlängelten sich die VW Käfer in Richtung Süden. Die Menschen wollten dort das gute Leben kennenlernen. Italien mit seiner wärmenden Sonne war der Ort der Sehnsucht, des mediterranen Lebensstils und der Liebe. Doch es gab auch eine umgekehrte Bewegung. Am 20. Dezember 1955 unterzeichnete der deutsche Arbeitsminister Anton Storch und der italienische Außenminister Gaetano Martino in Rom ein Abkommen für die Anwerbung von Arbeitskräften aus Italien, die für die boomender Industrie Deutschlands gebraucht wurden.
Die ersten 10.000 Gäste
Die deutschen Gewerkschaften widersetzten sich einem solchen Abkommen noch 1954. Sie verwiesen auf die hohe Arbeitslosigkeit im Agrarsektor. Doch bereits im April 1956 verließ das erste Kontingent von 1389 Saisonarbeitern Italien. Ende 1956 arbeiteten über 10.000 Arbeiter aus Bella Italia – genauer gesagt aus dem Veneto, Apulien und Kampanien im Agrarsektor und im Baugewerbe.
„Verlängerter Aufenthalt“
Der Kehler Ex-OB Toni Vetrano hat über diese Zeit und die Jahre danach in seinem Buch „Antonio im Badner Land“ geschrieben. Auszug: „Im Dezember 1964 reisen die Eheleute Pellegrino und Lucrezia Vetrano mit ihrem neun Monate alten Sohn Antonio, genannt Toni, von Caltabellotta auf Sizilien nach Offenburg, um dort ihre Verwandten zu besuchen. Die Stippvisite wird mehrfach verlängert. Dann finden Pellegrino und Lucrezia Arbeit und verlängern ihren Aufenthalt auf unbestimmte Zeit. So wird Offenburg der neue Lebensmittelpunkt der Familie. Und der sizilianische Toni wächst zum badischen Antonio heran.
Italienische Weltstars
Die sich aus dieser Zeit heraus bildende innige Verbundenheit zwischen Deutschland und Italien manifestierte sich auch im kulturellen Bereich. Denn in den Jahren nach dem Anwerbeabkommen eroberten nicht nur Gastarbeiter, sondern auch zahlreiche italienische Weltstars wie Sophia Loren mit Filmen wie dem Antikriegsdrama „Und dennoch leben sie“ (1960, Regie: Vittorio De Sica) oder Gina Lollobrigida mit „Fanfan, der Husar“ aus dem Jahr 1952 die deutschen Kinos und später die deutschen Wohnzimmer.
Inspiriert durch Zigarettenwerbung
Auch musikalisch nahmen die Dinge ihren Lauf. So sang sich die italienische Diva Caterina Valente mit Hits wie „Ganz Paris träumt von der Liebe“ (1954) in die Herzen der Deutschen. Später folgten Adriano Celentano mit „Azzuro“ (1969) und Vico Torriani mit dem Hit „Buona Sera„. Moment mal: Torriani war doch Schweizer! Stimmt, aber er lebte im Tessin, das direkt an Italien grenzt. Und nicht zu vergessen: Rocco Granata! Der Italiener – im belgischen Genk lebend – schuf mit „Marina“ im Jahr 1959 einen Welthit. Granata war Automechaniker und wurde durch ein Plakat einer Zigarettenwerbung seiner Lieblingsmarke „Marina“ zu dem Song inspiriert.
Top-Performance von Claudio Versace
An dieser Stelle müssen wir einen Schwenk in die Gegenwart machen. Denn die Nachkriegszeit und ihre Hits ist noch nicht vorbei. Sie ist und war es auch nicht für die Gäste des Hotel-Restaurants Hafen17 im Kehler Hafen. Kein geringerer als der populäre Pop-Tenor Claudio Versace ließ seine Fans an diesem Freitagabend in vergangenen Zeiten schwelgen. „Marina“ interpretierte er auf seine unnachahmliche Art so perfekt, dass einem die Erinnerungen an die Kindheit zurückkamen, als im elterlichen Wohnzimmer in den 70er Jahren Granaten wie Rocco Granata über die schwarz-weiß-Mattscheiben flimmerten. „Marina“ wurde laut Versace übrigens 100 Millionen Mal verkauft.
Armer Unwissender
Ich selbst kannte den Namen Claudio Versace bis vor einem Jahr noch gar nicht. Doch das bedeutet rein gar nichts. Zum einen weilte ich rund 20 Jahre in München und Berlin, weshalb ich nach meiner Rückkehr in die Ortenau diese erst Stück für Stück neu kennenlernen musste. Zuviel hatte sich seit 1999 verändert, als ich in die bayrische Landeshauptstadt kam. München ist – ganz nebenbei bemerkt – die Stadt mit der größten italienischen Gemeinde in Deutschland. Rund 30.000 Azzuri leben dort. Zum anderen waren Italo-Hits nie mein Genre. Ich bevorzugte Jazz, Soul und Funk und war schlicht unwissend.
Antifaschistische Hymne
Doch der Abend im Hafen 17 wird mir in Erinnerung bleiben. Denn außer „Marina“ sollte Versace auch Kracher wie „Tu vuò fà l’americano“ oder „Bella ciao“ performen. Letzterer ist in der Version italienischer Partisanen im 2. Weltkrieg zur Hymne von Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemokraten sowie der antifaschistischen Bewegung geworden. Auch in der Version von Claudio – gesungen mit einer kristallklaren Stimme bei gleichzeitigem Timbre – schwingt ein süffisantes „Mussolini go home“ mit. Ein Statement! „Tu vuò fà l’americano“ von Renato Carosone hingegen steht für „Du willst den Amerikaner spielen“ (neapolitanisch). Oder idiomatischer: „Du bist ein Möchtegern-Amerikaner“.
Kraftvolle Pop- und Tenorstimme
Claudio Versace, der Grund für unseren erstmaligen Besuch im Hafen17 verkörpert die kraftvolle Pop- und Tenorstimme aus Italien. In vielen TV- und Radioauftritten war er unter anderem Gast bei Linda de Mol, Frank Elstner oder Ingo Dubinski. Bei Galas auf nationaler und internationaler Ebene stand er mit Showgrößen wie Anna Maria Kaufmann, Deborah Sasson, Gloria Gaynor, Sarah Connor, John Kelly, Max Greger, The Weather Girls, Toto Cotugno, Umberto Tozzi oder den Platters auf der Bühne.
Einzigartiger Könner
Dass der Sänger, der lange in Offenburg gelebt hat und jetzt in Baden-Baden seinen Sehnsuchtsort gefunden hat, ein Routinier und einzigartiger Könner ist, wird einem schon im Vorfeld klar, wenn man sich informiert. Schon mit 17 Jahren war er mit verschiedenen Bands in Europa unterwegs und feierte erste Erfolge. Ab den 80er Jahren begann er Solo im Bereich Pop und Tenor (Cross-over). Claudio Versace beschrieb dies selbst als „Zwei Stimmen in einer Seele.“ Nicht viele Künstler beherrschen diese Technik auf dem Planeten.
Blindes Vertrauen
Vom ersten Ton an fängt Versace sein Publikum nicht nur mit seiner Stimme, sondern auch mit einer Herzlichkeit und Wahrhaftigkeit ein, die ihresgleichen sucht. Er ist jemand, dem man ohne Weiteres seinen privaten Bitcoin-Schlüssel anvertrauen würde, jenes kryptografische Passwort, mit dem du beweist, dass du der Eigentümer einer bestimmten Bitcoin-Adresse bist. Sofern man welche besäße. Man bräuchte sich keine Gedanken machen.
Frauenmagnet Versace
Doch auf einen Teil der Besucher an diesem Abend macht der routinierte Entertainer Versace am meisten Eindruck: die Frauen! Mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit zieht er das weibliche Geschlecht an. Davon kann ein Mann nur träumen. So muss sich in den 60er Jahren auch Jean-Paul Belmondo gefühlt haben – aber der war ja Franzose. Alain Delon auch. Nehmen wir Flavio Briatore. Aber der hatte einfach nur Geld. Marcello Mastroianni! Der muss sich spätestens nach seinem Weltefolg „La Dolce Vita“ (1960, Regie: Federico Fellini) so gefühlt haben.
Zurückhaltende Eleganz
Mastroianni galt als Inbegriff des charmanten, kultivierten und melancholischen Italieners. Mit seinem markanten Gesicht, seiner zurückhaltenden Eleganz und seiner ruhigen Ausstrahlung war er ein echter Frauenschwarm. Claudio Versace führt diese Tradition fort. Die Frauen tanzen quer durch das Lokal, steueren zahlreich auf Claudio zu und umgarnen ihn um etwas von seiner Authentizität zu ergattern, in Form eines Selfies mit dem Künstler.
Ortenauer Lebensfreude
Doch was für ein Abend war das in der charmanten Hafenkneipe von Mirko Sansa? Bis auf den letzten Platz war der Gastraum gefüllt. Die Gäste wurden außer von Versace auch mit einem edlen 4-Gänge-Menü aus der Küche von Chefkoch Alexander Holtkamp verwöhnt. Der Preis mit 68 Euro inklusive des Konzerts eines Originals – mehr als gerechtfertigt und fair. Und meine Beraterin und Fotografin Geraldine und ich konnten uns ein wenig geschmeichelt fühlen. Waren doch die zwei besten Thekenplätze für uns reserviert und mit einer weißen Aufschrift „Presse“ gekennzeichnet. Gute Sicht in alle Richtungen on top.
Bestens aufgehoben im Hafen 17
Die Lebens- und Genussfreude der Ortenauer war eines der Dinge, die ich neu vergegenwärtigen musste nach meinem Umzug vom Neuköllner Chaos ins beschauliche Oberkirch (der größtmögliche Gegensatz, wenn man die Kriminaltitätsrate im Berliner Problembezirk mit den Zahlen in der Renchtalmetropole vergleicht, die als die sicherste Stadt im Ortenaukreis gilt). Jedenfalls sind die Bewohner unseres Landstrichs zwischen Schwarzwald und dem Rhein kulinarischen Genüssen bekanntlich nicht abgeneigt. Und da sind sie in Sansa´s gemütlichem Etablissement genau richtig aufgehoben. Dazu professionelles Personal. Perfekt.
Filigrane Gesangskunst
Unterdessen lässt Claudio Versace, der in Mailand und Nizza ausgebildet wurde, weitere Hits von Andrea Bocelli, Eros Ramazzotti („Cosa de la Vita“, „Musica é“), Nek („Laura non c’è“) oder Albano & Romina Power („Felicidad“) folgen. Auch dass der Sänger englischsprachige Klassiker zu seinem Repertoire zählt, tut der entspannten, ausgelassenen (Urlaubs-)Atmosphäre im Hafen17 keinen Abbruch. Auch „Pretty Woman“, „Falling in Love“ und „Another Day in Paradise“ lassen aufhorchen. Letzteres steht auch sinnbildlich für die filigrane Gesangskunst von Versace. Jeder Ton sitzt perfekt, während ihn weiter die Damenwelt umschwärmt und Selfies begehrt.
Sieger in San Remo
Nach „Volare“, der das Publikum lautstark mitsingen lässt, folgen noch „Laura non ce“ und „Mamma Maria“, jener Hit – geschrieben von Cristiano Minellono und Dario Farina – der im Zuge der 80er-Jahre Italo-Hit-Welle die Band Ricchi e Poveri 1982 weltberühmt machte. „Volare“ wurde übrigens als späterer Sieger auf dem Sanremo-Festival 1958 zum ersten Mal präsentiert und schaffte in der Version von Modugno im gleichen Jahr beim Grand Prix Eurovision de la Chanson den dritten Platz.
Das Böse hat keine Chance
Den absoluten Kracher bringt Versace schließlich mit einem legendären Song aus dem Jahr 1979 auf die Bühne: „La Pulce d´aqua“ („Wasserfloh“) des unvergessenen Angelo Branduardi. Ich fühle mich in die eigene Jugend zurückversetzt, als das Lied in meinem ersten eigenen Radiogerät erschallte (ich war 12). Die sanften, harmonischen Klänge – natürlich brillant vorgetragen – führen einen dann wieder direkt in den Ortenauer Frühling zurück. Der Song lässt einen für ein paar Minuten ein Hochgefühl erleben, das einem den Schwung für den oft beschwerlichen Alltag gibt und all das Böse auf der Welt vergessen lässt. Danke Claudio, danke Mirko und – danke Ludwig Erhardt!
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