„Stellt euch vor wir haben eine Demokratie – und keiner macht mit?“ Diese Frage, in Anlehnung an ein berühmtes Zitat, das dem Schriftsteller Carl Sandburg zugeschrieben wird („stellt euch vor es ist Krieg und keiner geht hin“), drängt sich auf, wenn man sich näher mit dem „Weltforum für Demokratie“, das vom 4. – 7. November 2025 in Straßburg stattgefunden hat, beschäftigt.
Europäischer Gerichtshof ist wichtigstes Organ
Der Europarat, mit Hauptsitz in Straßburg (nicht zu verwechseln mit dem EU Parlament), umfasst 46 selbständige und anerkannte Staaten Europas. Russland war 2022 nach dem Einmarsch in die Ukraine ausgeschlossen worden. Wichtigstes Organ des Europarates ist der ebenfalls in Straßburg ansässige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Idee seit Ende der 70er
Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die drei Pfeiler auf denen der Europarat aufgebaut ist. Dass vor diesem Hintergrund schon Ende der 70er Jahre die Idee, zu einem jährlichen Weltforum der Demokratie nach Straßburg einzuladen, geboren wurde wundert nicht.

Der Europarat in Straßburg ist das „Haus der Menschenrechte“. Foto: Philipp Cleiß
Klaus Schumann, ehemaliger Generaldirektor für politische Fragen beim Europarat, erinnert sich:
„Vom 4.-6. Oktober 1983 fand das erste Weltforum der Demokratie in Straßburg statt. Francois Mitterrand, Helmut Kohl, Margaret Thatcher und Ronald Reagan waren wichtige Unterstützer. Schon beim zweiten Forum vom 28.-30 September 1987 hatten wir rund 40 teilnehmende Staaten, unter ihnen auch einige aus Afrika, Asien, Ozeanien und Amerika. Angesichts des Übergewichts der Vertreter westlicher Demokratien unter den Teilnehmern wurde damals beschlossen, im Jahre 1991 ein drittes Weltforum unter dem Titel „Aufstrebende Demokratien“ zu machen.
Aber dieses dritte Forum fand nie statt. Nach dem Fall der Mauer, Ende 1989, galt alle Aufmerksamkeit des Europarates der Unterstützung der Demokratie-Entwicklung in den Staaten Mittel- und Ost-Europas. Dazu gehörten, ab 1992, die Gründung der sogenannten „Politischen Schulen“ des Europarates, Bildungseinrichtungen in Ost- und Süd-Ost Europäischen Ländern mit dem Ziel, Europäische Integration, Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit zu fördern und künftige Führungskräfte in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Medien und Zivilgesellschaft auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten. Am „Schuljahresende“ trafen sich die Teilnehmer zu einer abschließenden „Sommer-Universität“ in Straßburg – ein eindrucksvolles Treffen von mehreren Hundert künftigen Führungskräften.“
Dies führte zur Initiative, die „Sommer-Universität“ zu formalisieren und in ein „Weltforum der Demokratie Straßburg“ zu erweitern. UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon wurde als Gastredner gewonnen und gab dieser „weltweiten“ Initiative seine volle Unterstützung. Als Südkoreaner war er von der demokratischen Entwicklung in Europa, nach 1945 wie nach 1989, stark beeindruckt.
Der französische Staatspräsident kam nicht in die Straßburger-Provinz. Der deutsche Bundesminister und „überzeugte Europäer“, Wolfgang Schäuble, vertrat Deutschland. Und der jährlichen Straßburger Veranstaltung, unter Leitung des Europarates, mit dem Titel „Weltforum der Demokratie“, gelang es nicht, weltweite Ausstrahlung und Bedeutung zu gewinnen.
Während das Thema Wirtschaft beim Weltwirtschaftsforum in Davos und die Belange der Sicherheit bei der Münchner Sicherheitskonferenz jährlich weltweite Beachtung finden, führt das „Welt-Forum der Demokratie“ vergleichsweise ein „politisches“ Schattendasein. Es bleibt ein nützlicher Treffpunkt weltweiter Experten und Intellektuellen, sowie Vertretern der Jugend und Zivilgesellschaft mit weitgehend akademischem Stellenwert.“

Diese Sicht teilt auch Francois Friederich, ehemaliger Funktionär beim Europarat und Mitarbeiter von Klaus Schumann.
„2007/2008 kam ich einmal in den Europarat. Da befand sich auf den Glastüren des Gebäudes ein Aufkleber mit der Aufschrift „Haus der Menschenrechte“. Ich dachte, wir sind auch ein Haus der Demokratie, es gibt doch keine Menschenrechte ohne Demokratie, das gehört doch zusammen? Ich habe damals Klaus Schumann darauf angesprochen. Jeder Mitarbeiter beim Europarat wird bei Dienstantritt auf die drei Werte Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet.
Ich war 7 Jahre lang in den Balkanstaaten als Vertreter des Europarates tätig um zu helfen, dass diese Gesellschaften nach einer Zeit des Kommunismus und des Krieges eine Demokratie, auch eine demokratische Kultur, aufbauen konnten. Kroatien war der erste Staat der schließlich eine Mitgliedschaft in den Europarat anstrebte. Aber Vorbedingung war, dass diese Länder eine Demokratie sind. Auch Russland gehört damals dazu.
Uns war schnell klar, dass wir die alte Nomenklatura nicht dazu bewegen konnten eine Demokratie aufzubauen. Wir haben uns deshalb vor allem an die jüngere Generation und an jene, die bisher keine politische Funktion hatten, gewandt. Wir haben keine Parteien unterstützt, sondern Demokratie gefördert. Unsere erste Ausbildungsstätte war in Russland. Weitere 16 folgten.
Dieses Bildungsnetzwerk gibt es noch immer. Heute gehören auch Staaten dazu die in Folge des Arabischen Frühlings eine neue politisch-gesellschaftliche Ausrichtung gesucht haben.
2008 fanden in Frankreich Kommunalwahlen statt, in deren Rahmen ich gefragt wurde, was man tun könne, um Straßburg als Europahauptstadt abzusichern. Zeitgleich fand in München die Weltsicherheitskonferenz statt. Wir sehen alle, was München zum Thema Sicherheit organisiert und Davos zum Thema Wirtschaft und Porto Alegre zum Thema Soziales & Umwelt,“ sagte ich. „Wir haben hier in Straßburg das EU-Parlament und den Europarat, Straßburg sollte eine Weltkonferenz zum Thema Demokratie machen.
Schon damals war ich der Meinung, dass man für Demokratie werben müsse, denn die Welt ist ja nicht komplett demokratisch. Viele Kräfte sind gegen Demokratie und die demokratischen Staaten sollten sich organisieren. Wirtschaft ist organisiert, Rüstung ist organisiert, sogar das Verbrechen ist weltweit organsiert.
Natürlich gab es dann organisatorische und finanzielle Bedenken. Es brauchte vier Jahre um die notwendigen Zustimmungen zu bekommen. 2011 gab es schließlich das ok und wir haben die Partner gesucht, Regierungschefs für die Idee gewonnen und von Stiftungen für die Co-Finanzierung Zusagen erhalten. Selbst UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon sagte zu, beim Weltforum Demokratie Straßburg im Jahr 2012 eine Rede zu halten.
Im “contrat triennal“, einem jeweils 3-jährigen Förderprogramm der französischen Regierung zur Stärkung Straßburgs als Europa-Hauptstadt, wurde das „Weltforum für die Demokratie Straßburg“ aufgenommen und wird seither aus diesem Topf maßgeblich finanziert.
Dass Forum 2012 hatte dann tatsächlich die Führungskräfte aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammengebracht. Aber danach wurden beim Europarat die Aufgaben neu zugeteilt und die Perspektive auf ein Weltforum Demokratie, das tatsächlich weltweite Strahlkraft entwickelt, ging verloren.

Vor wenigen Tagen tagte das Weltforum Demokratie in Straßburg. Fotos: Europarat
Keine Berichterstattung in Deutschland
Zum „Weltforum Demokratie Straßburg“ 2025 sucht man deutschsprachige Berichte vergeblich. Nicht einmal für eine eigene Website unter dem Namen „Weltforum Demokratie Straßburg“ hat es bisher gereicht – ganz im Gegensatz zu dem mächtigen und vielbeachteten Weltwirtschaftsforum in Davos oder der Münchner Sicherheitskonferenz.
Auch in Kehl kein Thema
Während Europäische Medien und Politiker derzeit nicht müde werden, zur „Verteidigung unserer Demokratie“ aufzurufen, zuletzt Bundespräsident Frank.- Walter Steinmeier in seiner Rede zum 9. November, bleibt das Weltforum Demokratie in Straßburg weitgehend unbeachtet. Selbst im nur 4 km vom Europarat entfernten Kehl ist das Weltforum Demokratie kein Thema mehr, obwohl laut Europarat immerhin 1.200 Teilnehmer aus rund 80 Ländern am diesjährigen Forum teilgenommen haben.
Was ist der Welt wichtig?
Die Frage drängt sich auf, wie wichtig den Mächtigen und der Zivilgesellschaft Demokratie wirklich ist? Im Januar 2026 findet in Davos das nächste Weltwirtschaftsforum statt. Im Februar 2026 folgt die nächste Sicherheitskonferenz in München. Ein Vergleich mit dem eben erst stattgefundenen Welt-Forum Demokratie in Straßburg wird zeigen was den Führungskräften, den Medien und der Zivilgesellschaft wirklich wichtig ist.
Das könnte dich auch interessieren: