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Identität oder Profit?: Warum Racing Straßburg trotz aktuellem sportlichem Höhenflug gespalten ist

Racing Straßburg gegen Olympique Marseille
© Philipp Cleiß – Heiße Matches, wie hier gegen Olympique Marseille, werden in Straßburg derzeit von heftigem Zwist im Umfeld begleitet.
Racing Straßburg begeistert sportlich wie nie zuvor: voller Stadien, starke Leistungen und ein rasanter Stadionumbau. Doch trotz Platz 5 ist die Stimmung ist getrübt – die Ultras stehen nach wie vor im offenen Konflikt mit Präsident Marc Keller und der Clubführung. Grund ist der Einstieg der US-Investoren von BlueCo, viele Fans fürchten um die Identität ihres Vereins. Während einige Keller als Realist sehen, kritisieren die Ultras ein System, das Profit über Tradition stellt und fordern Veränderungen im Regelwerk.
Von Peter Cleiß

Eigentlich sollten bei Racing Straßburg Alle bester Laune sein. Die Mannschaft spielt begeisternden Fußball, die Zuschauer strömen in Scharen ins immer ausverkaufte Meinau-Stadion, die Mannschaft steht nach 6 Spieltagen im vorderen Tabellendrittel – nur drei Punkte hinter Spitzenreiter Paris SG und der Umbau des Stadions bei laufendem Spielbetrieb wurde in Rekordzeit ausgeführt. Alles gut – wäre da nicht der Bruch mit den Ultras.

Übers Land getingelt

Die Straßburger Fans gelten über Frankreich hinaus als besonders heißblütig und stimmgewaltig. Ihre Choreos sind einfallsreich und künstlerisch gestaltet. Die Gesänge und Anfeuerungsrufe schlagen auch jenen in ihren Bann, der Fußball nicht zu seinen Leidenschaften zählt. Selbst als Racing nach jenem Zwangsabstieg im Jahr 2011 in die 5.-klassige CFA (Oberliga) herunter musste und zu Auswärtsspielen nach Steinseltz, Pontarlier oder Ilzach-Modenheim über das Land tingelte, waren die Fans da. Ihr verdienstvoller Anteil an der Rückkehr ins Fußball-Oberhaus Frankreichs ist unbestritten.

Lobende Worte über Marc Keller

Fans – Mannschaft – und Vorstand zogen über Jahre hinweg auf derselben Seite am selben Strang. Regelmäßig lobte Racing-Präsident Marc Keller die wertvolle Unterstützung der Ultras. Genauso regelmäßig hörte man aus deren Reihen lobende Worte über den Ex-Spieler, Ex-Manager und jetzigen Präsidenten.

Rückkehr in Ligue 1

Als dann aber Keller und seine Mitstreiter im Juni 2023 zu der Erkenntnis kamen, dass ihre finanziellen Mittel zwar für eine Rückkehr in die Ligue 1 reichten, aber bei weitem nicht ausreichen um Racing auf Dauer in der Eliteklasse zu halten, begannen die Zukunftsvorstellungen sich auseinander zu bewegen.

Such nach Investor

Keller wollte alles tun, um Racing auf Dauer an der Spitze der Ligue 1 zu etablieren. Wie andere Clubs, so suchte auch er deshalb nach einem leistungsfähigen Investor, der Racing jene Mittel an die Hand geben kann, die für eine Platzierung im ersten Tabellendrittel notwendig sind. Rund 48 Prozent der Proficlubs in den fünf großen europäischen Ligen arbeiten inzwischen nach dem Investorenmodel. Im Umfeld von Racing wurde Keller nicht fündig. Im Juni 2023 gaben er und seine Mitstreiter schließlich dem Angebot der US-Amerikanischen Investorengruppe BlueCo ihre Zustimmung. Racing wurde zu 100% von BlueCo übernommen und Keller von BlueCo als Präsident eingesetzt.

Zählt nur noch Geld?

Seither toben die Ultras. Sie sehen im Besitzerwechsel die große Gefahr, dass sich für Racing Strasbourg die Geschichte wiederholt, dass BlueCo irgendwann das Interesse an Racing verliert und den Verein dann höchstbietend weiterverkauft, dass dann nur noch Geld zählt und nicht sportliche oder kulturelle Aspekte und dass erneut die Identität des Vereins verloren geht. Zahlreiche Straßburger teilen diese Sorgen und stehen dennoch im aktuellen Konflikt zwischen Ultras und Clubführung hinter Marc Keller.

„Keller spielt mit den Regeln, die gelten. Das ist in der Führung eines Vereins wie beim Fußball selbst. Racing könnte auch mit 8 oder 10 Mann spielen, die Regeln lassen das zu. Aber wer mit weniger Spielern aufläuft, der verliert, steigt ab und ist irgendwann ganz weg vom Fenster. Keller könnte die Finger von Investoren lassen – aber zu welchem Preis? Ich würde verstehen, wenn die Ultras gegen die Liga, die UEFA oder die FIFA protestieren würden und die Änderung der Regeln fordern würden. Da wäre ich sofort dabei.“

So erregte sich ein Racing-Zuschauer nach der Partie gegen Le Havre. Ein anderer pflichtet ihm bei:

„Ich finde das Investorenmodel auch schlecht, vor allem dann, wenn ein Investor gleich mehrere Clubs hat, wie BlueCo. Aber die Regeln machen doch die Verbände. Es nützt doch nichts, wenn die anderen Mannschaften Investoren haben und Racing nicht. Dann findet der Profifußball am Ende eben ohne uns statt“

Druck in Top-5-Ligen

Ein Blick ins Umfeld von Racing und in wissenschaftliche Studien zeigt, dass die Entwicklung im Profisport hin zum Investorenmodel tatsächlich weit gediehen ist und längst nicht auf den Profisport begrenzt bleibt. Multi-Club-Ownership ist in den großen Fußball-Ligen eine inzwischen etablierte und stark anwachsende Strategie. In den fünf großen europäischen Ligen ist der Druck besonders groß. Quellen wir CIES (Club Ownership in European Football) oder Pitch-Book berichten, dass in diesen Ligen fast die Hälfte mit Multi-Club-Beziehungen verbunden sind – Tendenz steigend.

Rechtmäßiges Modell

So lange das nationale oder internationale Regelwerk dieses Modell zulässt, sehen sich die Clubs regelrecht gezwungen nach einem Investor zu suchen. Die erfolgreichsten Teams Bayern München, Paris SG, Manchester City, Juventus Turin oder Real Madrid sind zugleich die Clubs mit den national größten Budgets. Die Botschaft ist deutlich: wer nicht mitspielt wird nicht auf Dauer erfolgreich am Profifußball teilnehmen können.

Mehr als Profisport

Für Deutsche Bundesligaprofi-Clubs gibt es die sogenannte „50 + 1 Regel“, die festlegt, dass die Mehrheit von 50+1 Prozent Stimmanteile immer beim Verein verbleiben – selbst wenn ein Investor wie RED BULL 99 Prozent der Anteile der RED BULL GmbH hält. Eine vergleichbare Regelung gibt es in Frankreich nicht. Dass das Multi-Club Ownership aber mehr ist als nur ein Modell für den Profisport, zeigt ein Blick auf die Eigentumsverhältnisse in der Straßburger Gastronomieszene. Ein großer Teil der Straßburg-typischen Weinlokale in der Altstadt sind längst im Besitz eines Investors.

Trainer Liam Rossignol Racing Strasbourg

Racing-Trainer Liam Rossignol musste gegen Marseille ohne Ultra-Gesänge auskommen. Foto: Philipp Cleiß

Teil der modernen Wirtschaft

Auch in Deutschland ist das Investorenmodell auf dem Vormarsch. So gehört das „KaDeWe“ in Berlin, „Alsterhaus“ in Hamburg und „Oberpollinger“ in München einer „Central Group“ mit Sitz in Thailand. Karstadt Galeria und Karstadt Kaufhof waren im Besitz der Singa Holding und wechseln dem Vernehmen nach derzeit zu Equity Partners. Mit anderen Worten: das Multi-Club Ownership ist ein Geschäftsmodell das wesentliche Teile des modernen Wirtschaftslebens prägt.

Der ursprüngliche Zweck

Die Frage der Racing-Fans, ob bei diesem Geschäfts Modell nicht die Ausrichtung auf den ursprünglichen Zweck, den Fußball also, dem neuen Zweck Geld zu bringen, untergeordnet wird und ob das Multi-Club Ownership nicht jegliche lokale Identität vernichtet, bleibt bestehen. Die Kritiker der Straßburger Fan-Proteste sehen aber, im Unterschied zu den Ultras, nicht die eigene Clubführung in der Verantwortung, sondern die Verbände und das von diesen zu verantwortetem Regelwerk.

Falsche Adresse

Aus ihrer Sicht protestieren die Fans zwar in der Sache zu Recht, aber sie adressieren ihren Protest an die falschen. „Marc Keller hat die Regeln nicht gemacht und er kann sie auch nicht abschaffen“ ist sich ein weiterer Racing-Zuschauer sicher. “Die Ultras prügeln den falschen.“

Gesetzentwurf in der Pipeline

Dass die Regeln geändert werden müssen, denkt auch der französische Nationalrats-Abgeordnete Éric Coquerel von „La France Insoumise“ (LFI). Er hat einen von Politikern aller Parteien unterstützten Gesetzentwurf vorgelegt, der das Miteigentum an Fußballprofivereinen in Frankreich verbieten soll. Den Entwurf will er bis Ende des Jahres in der Nationalversammlung einbringen.

Verlust der Wettbewerbsfähigkeit

Im Unterschied zu Deutschland, wo jeglicher Sport zivilgesellschaftlich organisiert ist, ist in Frankreich auch der Profisport dem Ministerium für Sport zugeordnet. Verbände, und mittelbar auch Vereine, unterliegen Rahmenbedingungen, die von ihrem Verband erlassen und letztlich staatlich legitimiert werden. Eine politisch-staatliche Initiative geschieht insofern im französischen Sport in Übereinstimmung mit den Strukturen Frankreichs. Allerdings: sollte nur in Frankreich das Model des Multi-Club Ownership verboten werden und nicht in ganz Europa, wäre dem französischen Fußball im europäischen Vergleich damit kaum ein Gefallen getan.

Initiative Richtung UEFA?

Aber vielleicht entdecken die Ultras auch noch, dass in Straßburg der Sitz des Europaparlamentes ist und dieses eine Initiative Richtung UEFA starten könnte. Sitz des Weltverbandes FIFA ist übrigens Genf, ebenfalls ein Ort der nicht weit weg von Straßburg und mitten in Europa liegt.

90 Minuten Schweigen

Zuletzt, am Freitag Abend beim Spiel gegen Olympique Marseille, haben die Racing Ultras aus Prostet 90 Minuten geschwiegen. Stattdessen sorgten die anderen 23.000 im Meinau-Stadion für einen besonders stimmungsvollen Abend. Daran konnte auch die 1:2-Pleite nichts ändern. Statt Ultras gegen Clubführung wird die Auseinandersetzung nun von den Ultras gegen die anderen Racing-Fans geführt. Die Verbände sind (noch) nicht im Spiel.

Siehe auch hier:

Profit mit jungen Fußball-Talenten: So krempelt der US-Investor BlueCo Racing Strasbourg um

Stadionumbau beim Racing: Teile des A340 für die Fassade am Meinau-Stadion

US-Investor von Racing Straßburg sorgt für Fan-Proteste im Meinau-Stadion

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