Immer mehr Auszubildende am südlichen Oberrhein haben Angst vor Krieg und Krisen. Laut einer Umfrage hat sich der Anteil der Azubis, die sich vor den Folgen einer schwachen Wirtschaft fürchten, im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Wenn es um die eigene Ausbildungssituation geht, überwiegt jedoch Zuversicht. Was noch auffällt: Eltern haben einen großen Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder, wie die IHK Südlicher Oberrhein per Pressemitteilung bekannt gibt.
Umfangreicher Stimmungscheck
Zum zweiten Mal hat die Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein an sämtlichen Berufsschulen im Kammerbezirk einen umfangreichen Stimmungscheck gemacht. Die größte Veränderung im Vergleich zum Vorjahr ergab sich demnach bei den Ängsten. Die Sorgenliste werde angeführt von der Angst vor schlechter Wirtschaftslage. Der Großteil von 70 Prozent der Azubis macht die Konjunkturkrise zu schaffen. Damit hat sich dieser Wert nahezu verdoppelt, 2024 lag er noch bei 37 Prozent.
Angst vor Krieg in Europa
Auch das lauter werdende Kriegsgeheul seitens der EU-Politik und der Nato bereitet dem Nachwuchs Bauchschmerzen. So fürchten sich 67 Prozent vor einem Krieg in Europa. Im Vorjahr waren es noch 20 Prozentpunkte weniger. Auch die Angst vor schweren Krankheiten belaste mit 62 Prozent deutlich mehr junge Menschen als noch 2024 (43 Prozent). Weitere Sorgen bereiten den Azubis die Gefahr von Terroranschlägen (60 Prozent, 2024: 36 Prozent), der Klimawandel (49 Prozent, 2024: 20 Prozent), Zuwanderung (46 Prozent, 2024: 26 Prozent) und ein ausländerfeindliches Klima in Deutschland (46 Prozent, 2024: 18 Prozent).

Zwei Drittel der Azubis fürchten sich zunehmend vor einem Krieg in Europa. Fotos: Symbolbild/freepik
Positive Perspektiven
Doch die Azubis sehen nicht alles Schwarz. Denn auf der anderen Seite überwiegt der Optimismus, wenn es konkret um die eigene Zukunft geht. 46 Prozent schauen zuversichtlich nach vorn, und nur 6 Prozent sehen für sich persönlich düstere Zeiten aufziehen. Mit 87 Prozent schätzt eine klare Mehrheit der Befragten ihre berufliche Perspektive als positiv ein. Die Azubis rechnen damit, nach dem Abschluss der Ausbildung vom Betrieb übernommen zu werden. Weitere 83 Prozent der Befragten planen eine berufliche Weiterbildung.
„Wir leben in unsicheren Zeiten“
„Diese Einstellung ist für unseren Standort Gold wert“, sagt Simon Kaiser. „Viele Berufe verändern sich rasant. Wer da Bereitschaft zeigt, sich weiterzubilden, um auf dem Laufenden zu bleiben, ist klar im Vorteil“, wird Simon Kaiser, IHK-Geschäftsführer der Aus- und Weiterbildung zitiert. „Dass die Ängste unter unseren Auszubildenden praktisch in allen abgefragten Bereichen gegenüber dem Vorjahr so stark zugenommen haben, zeigt deutlich: Wir leben in unsicheren Zeiten. Und die jungen Menschen spüren das“, so Kaiser.
Verzögerter Ausbildungsbeginn
Sorgen bereitet Kaiser ein anderer Trend. Nur ein Drittel der Befragten hat seine Ausbildung direkt nach der Schule angetreten. Der große Rest besuchte erst einmal eine weiterführende Schule (28 Prozent), ging jobben (23), machte ein freiwillig soziales Jahr (9), fing an zu studieren (7) oder reiste für mehrere Monate ins Ausland (4), wie es heißt. „Das können alles wertvolle Erfahrungen sein, aber diese jungen Menschen fehlen auf dem Ausbildungsmarkt.“
Kurzfristige Einstellungen
Die Schulabsolventen würden sich seit Jahren immer länger Zeit lassen mit ihrer Ausbildungsentscheidung. Das sei ein Trend. Viele Betriebe hätten laut Kaiser darauf reagiert und würden auch noch kurzfristig Azubis einstellen. Planungen seien unter diesen Umständen schwieriger. Für Unentschlossene bietet die IHK Südlicher Oberrhein ein neues kostenfreies Berufsprofiling an.
Die Rolle der Familien
72 Prozent der befragten Azubis gaben an, noch bei den Eltern zu wohnen. Auch bei der Suche nach dem geeigneten Ausbildungsberuf und einem passenden Betrieb spielen die Familien eine wichtige Rolle. So sei bei 40 Prozent der Befragten der entscheidende Hinweis von den Eltern oder Verwandten gekommen. Kaiser: „Dass sich viele Eltern stark für die berufliche Zukunft ihrer Kinder engagieren, ist natürlich zu begrüßen. Aber spätestens mit dem Ausbildungsstart müssen die jungen Menschen die Sache selbst in die Hand nehmen und ihre Eigenständigkeit unter Beweis stellen.“
Kaum Zeit für Berufsorientierung
Nur 12 Prozent fanden über soziale Medien eine Stelle. 6 Prozent bekamen in der Schule den Hinweis auf ihren Wunschberuf. Lehrer:innen würde oft die Zeit fehlen, sich der Berufsorientierung der Schüler zu kümmern. Doch Kaiser bleibt zuversichtlich: „Die Rückkehr zu G9 könnte zumindest an den Gymnasien die Lage entzerren.“ Ihre praktischen Berufsberatungen richte die IHK speziell auch an Gymnasiasten und entsendet hierfür Ausbildungsbotschafter. Bereits jeder fünfte Azubi habe die Hochschulreife. Abitur und Ausbildung würden gut zusammen passen.

Azubis legen Wert auf gutes Gehalt und sinnvolle Arbeit, weniger auf Work-Life-Balance. Fotos: Symbolbild/freepik
Klischee über GenZ widerlegt
Ein Klischee über die Generation Z, wonach sie wegen der Work-Life-Balance einen Schwerpunkt auf die Freizeit lege, widerlegt die IHK-Studie. Auf die Frage, was ihnen bei der Berufswahl wichtig sei, nannten wie schon im Vorjahr die meisten ganz klassisch einen guten Verdienst (48 Prozent). Großen Wert legen die Azubis auf eine sinnvolle Arbeit (35 Prozent), ein gutes Arbeitsklima (27 Prozent), die Nähe des Betriebs zum Wohnort (23 Prozent) und einen sicheren Arbeitsplatz (16 Prozent). Nur 15 Prozent gaben an, dass sie die Jobwahl von der Work-Life-Balance abhängig machten.
Respekt und Fairness dominieren
Eine Mehrzahl der Azubis sei zudem zufrieden mit ihrem derzeitigen Ausbildungsplatz. 80 Prozent fühlen sich in ihrem Arbeitsumfeld respektvoll und fair behandelt, was ein Hebel ist für geringe Fluktuation. Immerhin 73 Prozent würden ihren Ausbildungsbetrieb weiterempfehlen. Ähnlich fallen die Bewertungen der Berufsschulen aus. 88 Prozent der Azubis empfinden das Lernumfeld als geprägt von Respekt und Fairness. Laut 76 Prozent der Befragten falle so gut wie nie der Unterricht aus.
Ein Viertel mit Geldsorgen
Ihre eigene finanzielle Situation bewerten der Studie zufolge 40 Prozent der Befragten als sehr gut und gut. Über Geldmangel klagen aber immer noch 25 Prozent. Wichtig ist den meisten Azubis eine funktionierende Partnerschaft, gute Freunde und das Leben zu genießen. Der Wunsch, viel Geld verdienen, landet auf Platz 4.
An der IHK-Umfrage nahmen 915 Berufsschülerinnen und -schüler teil. Der Großteil wurde zwischen 2000 und 2008 geboren. 43 Prozent der Teilnehmenden sind weiblich. 55 Prozent gaben an, dass beide Eltern in Deutschland geboren wurden. Von den restlichen 45 Prozent der Azubis, die sich an der Umfrage beteiligt haben, stammt mindestens ein Elternteil aus dem Ausland.
Beratungsangebote der IHK
Die IHK Südlicher Oberrhein mit ihren rund 75.000 Mitgliedern – vom Kleinunternehmer bis zum Weltmarktführer – versteht sich als Interessenvertretung der Wirtschaft gegenüber Politik und Verwaltung, organisiert Prüfungen und informiert beispielsweise über neue Zoll-Richtlinien oder Wachstumschancen auf ausländischen Märkten. An einer Weiterbildung Interessierte finden bei der IHK zahlreiche Beratungsangebote und Fördermöglichkeiten. Außerdem wurde eine Hotline eingerichtet für Eltern, die sich über die berufliche Zukunft ihrer Kinder informieren wollen: The Hotline – IHK Südlicher Oberrhein
red/wh
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