Bei der Weihnachtsfeier des deutsch-französischen Wirtschaftsclubs CAFA RSO im Europäischen Forum am Rhein gab es die Gelegenheit für ein Blitz-Interview mit dem renommierten Ortenauer Architekten und Unternehmer Jürgen Grossmann. Kurz vor dem Beginn der Vorstellung von „Lonely Hearts“ des Theater Baden Alsace für die CAFA RSO-Mitglieder nahm er sich die Zeit, um mit uns zu sprechen. Er spricht über seinen Führungsstil, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und sein Lieblingsprojekt.
Ortenau Journal: Herr Grossmann, Sie haben Ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht und anschließend Architektur in Karlsruhe und Berlin studiert. Was würden Sie Schulabbrechern sowie Schülerinnen und Schülern mit Real- oder Hauptschulabschluss raten, die beruflich aufsteigen wollen?
Jürgen Grossmann: Ganz klar: wieder zur Schule gehen. So habe ich es selbst gemacht. Ich bin nach der neunten Klasse von der Schule gegangen und hatte damals praktisch keine andere Möglichkeit. Nach der neunten Klasse konntest du keine weitere Schulbildung anschließen. Also musste ich die Realschule besuchen und die mittlere Reife nachholen.
Ortenau Journal: Wo haben Sie das nachgeholt?
Jürgen Grossmann: An der Abendrealschule.
Ortenau Journal: Sie haben kürzlich gesagt, Sie seien als Chef kein Kontrolleur, sondern ein Vertrauensmensch. Empathisches, modernes Führen gilt heute in HR-Expertenkreisen als Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Die Mitarbeiter können sich besser entfalten, bringen mehr Leistung. Spüren Sie das auch bei der Grossmann Group?
Jürgen Grossmann: Ich glaube, das ist in erster Linie eine Charakterfrage. Das ist nichts, was man rein intellektuell entscheidet – nach dem Motto: Jetzt führe ich so oder so. Vertrauen liegt meiner Ansicht nach in der Persönlichkeit, vielleicht sogar in der Genetik. Wenn man grundsätzlich über Vertrauen arbeitet, dann führt man auch so. Bei mir ist das definitiv der Fall. Ich hätte gar keine Lust, meine Arbeit über Zahlenkontrollen zu organisieren.
Ortenau Journal: Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Mitarbeitenden mit ihrer Arbeitssituation zufrieden sind?
Jürgen Grossmann: Ja, absolut. Ich habe im Moment eine wirklich perfekte Mannschaft. Gute Mitarbeiter zu finden, ist nicht einfach. Wir sind ein kleines, aber sehr starkes Team.
Ortenau Journal: 1990 haben Sie Ihr Architekturbüro in Bühl gegründet. Wie hat sich das Bauen seitdem verändert?
Jürgen Grossmann: Dramatisch.
Ortenau Journal: Deutlich mehr Auflagen wahrscheinlich.
Jürgen Grossmann: Ja, viel mehr Auflagen, aber auch wesentlich mehr Technik. Der Architekt ist heute mehr oder weniger der Dirigent eines Orchesters aus Fachleuten, die die technischen Anforderungen umsetzen. Im Grundsatz ist es aber gleich geblieben: Architektur und Kreativität gehören nach wie vor zu unseren Kernaufgaben. Nur die zusätzlichen Anforderungen sind deutlich gestiegen.
Ortenau Journal: Zum Beispiel die Bürokratie.
Jürgen Grossmann: Ja.

Das Europäische Forum am Rhein ist eines der zentralen Projekte von Jürgen Grossmann. Fotos: Grossmann Group / Geraldine Zimpfer
Ortenau Journal: Sie haben zahlreiche Großprojekte realisiert, darunter den Bahnhof Kehl, die Illenau oder das Erlenbad-Ressort. Welches Projekt ist für Sie persönlich das bedeutendste?
Jürgen Grossmann: Das Erlenbad-Ressort, ja klar.
Ortenau Journal: Warum gerade das?
Jürgen Grossmann: Dafür gibt es mehrere Gründe. Wenn man sich etwa entlang der Bühler Hochstraße umschaut – Sand, Hundseck, Unterstmatt, Plättig, Bühlerhöhe – dann sieht man viele Projekte, die letztlich vor die Hunde gegangen sind. Das finde ich sehr schade. Auch bei dem Kloster, aus dem das Erlenbad-Ressort entstanden ist, war nicht sicher, ob es eine gute Zukunft gehabt hätte. Für mich war es etwas Besonderes, dieses Gebäude zu erhalten und ihm ein zweites Leben zu geben.
Ortenau Journal: Wir sind hier im Europäischen Forum am Rhein. Welchen Stellenwert hat dieses Gebäude für den grenzüberschreitenden Austausch?
Jürgen Grossmann: Einen großen Stellenwert, habe ich ja eben gerade in meiner Rede erwähnt. Von Anfang an war mein Ziel, einen Ort zu schaffen, an dem sich Deutsche und Franzosen begegnen können. Einen solchen Platz direkt am Rhein gab es vorher nicht in dieser Qualität. Und die Realität ist tatsächlich so, dass Deutsche und Franzosen sich hier treffen.
Ortenau Journal: Soviel ich weiß, realisieren sie auch immer wieder Projekte im Elsass. Was steht da aktuell an?
Jürgen Grossmann: Aktuell prüfen wir gerade ein Schloss, wo wir Angebote bekommen haben.
Ortenau Journal: Können Sie da schon mehr sagen?
Jürgen Grossmann: Nein, das ist noch nicht spruchreif.
Ortenau Journal: Welchen Mehrwert kann ein Wirtschaftsklub wie CAFA RSO zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Eurodistrict beitragen?
Jürgen Grossmann: Ich denke, dass man sich einfach trifft und Leute hat, die in ähnlichen Berufen arbeiten. Dass man sich einfach austauschen und Kontakte knüpfen kann. Das geht auf allen Ebenen, also Wirtschaft, Politik, Gesellschaft. Ich meine, da brauchen wir keinen Hehl draus machen. Die deutsch-französische Zusammenarbeit, die berufliche, unternehmerische, ist nicht einfach. Aber es gibt viele Unternehmer, die sind ganz glücklich. Andere, die verzweifeln sehr. Meine Erfahrungen sind gemischt.
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