Windenergie im Wald: Schwend

Windpark Schwend: YouTube-Video geht mit 15.000 Klicks in 10 Tagen viral – Interview mit Peter Cleiß

Wald auf der Schwend
© Gunda Herzog – Der Oberkircher Peter Cleiß hat im Video mitgewirkt. Das Ortenau Journal hat ihn interviewt.
Der Bürgerentscheid über den geplanten Windpark auf der Schwend bewegt Oberkirch – und das nicht nur auf sachlicher Ebene. Ein emotionales YouTube-Video der Projektgegner geht mit bereits rund 15.000 Aufrufen in nur zehn Tagen viral – fast jeder Wahlberechtigte hat es gesehen. Im Fokus: betroffene Anwohner und der ehemalige Gemeinderat Peter Cleiß, der deutliche Worte findet. Es geht um Windkraft, Waldschutz, Demokratie – und die Frage, wessen Stimme in Oberkirch wirklich zählt.


Von Wolfgang Huber

Am 20. Juli 2025 entscheiden die Oberkircher über das Windkraftprojekt der Koehler-Tochter Koehler Renewable Energy zum Bau zweier Windräder auf der Schwend. Beide Seiten, das Unternehmen und die Gegner bzw. Anwohner des Vorhabens, befinden sich derzeit im Wahlkampf. Es ist auch ein Kampf um die Deutungshoheit über das Thema Windenergie im Wald. Im Schwarzwald sind viele weitere derartige Projekte geplant.

Video der Projektgegner geht viral

Natürlich wird dabei mit harten Bandagen gekämpft und auch mit emotionalen Botschaften gearbeitet. Derzeit geht ein YouTube-Video der Gegner des Projekts viral. Seit erst zehn Tagen online, kann es bereits rund 15.000 Abrufe verzeichnen. Das entspricht in etwa der Zahl der wahlberechtigten Oberkircher Bevölkerung. Anders ausgedrückt: Im Schnitt hat jeder erwachsene Oberkircher das Video bereits gesehen. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr das Thema die Bewohner der Renchtalmetropole beschäftigt.

Einschätzung der Lage rund um die Schwend

In dem professionell gemachten Video kommen hauptsächlich betroffene Anwohner der Schwend zu Wort. Doch dann taucht auch der Oberkircher Politiker und ehemalige Leiter der beruflichen Schulen Kehl, Peter Cleiß, mit mehreren Statements auf. Das Ortenau Journal hat Cleiß, der auch Erfahrung aus zehn Jahren als Oberkircher Gemeinderat mitbringt, gefragt, wie es dazu kam und wie er die Situation um das Projekt Schwend beurteilt.

Interview mit Peter Cleiß

Ortenau Journal: Auf dem Video „Ja_zur_Schwend_Trailer_1“ (Link ganz unten) sind Anwohner der Schwend zu sehen, die sich vor der Kamera zum geplanten Windpark äußern und ihre Sicht auf das Projekt beschreiben. Du bist zwar kein Anwohner, aber dennoch mehrfach in dem Video zu sehen. Wie kam es dazu?

Peter Cleiß: Ich war als Teilnehmer bei dem Beteiligungsscoping mit mehreren Stakeholdern von Gunda Herzog benannt worden. Das war die Grundlage für die weitere Bürgerbeteiligung. Gunda kenne ich schon länger. Sie weiß, dass ich Windkraft kritisch sehe und sie wollte nicht alleine dorthin gehen. Es wäre gut, wenn noch jemand aus Oberkirch dabei wäre. Im Zuge dessen war ich dann auf dem Schirm der Schwend-Anwohner, war dann ein oder zwei Mal oben auf der Schwend bei Gesprächen und habe die Gemeinschaft dort kennengelernt. Als vermutlich einziger Oberkircher neben Gunda, und der einzige mit zehnjähriger Gemeinderatserfahrung, der sich mit den Schwendern solidarisiert.

Ortenau Journal: Wie ist das Video zustande gekommen. Gab es da eine Produktionsfirma?

Peter Cleiß: Ich wurde angerufen und gefragt, ob ich bereit wäre, bei einem Video-Dreh mitzumachen. Dabei bin ich zwei jungen Leuten begegnet, die nicht von hier waren. Es war eine Produktionsfirma. Die haben mit mir ein Interview für das Video gemacht.

Ortenau Journal: Wie schätzt du die Chancen der Windkraftgegner ein, bei dem Bürgerentscheid am 20. Juli als Sieger hervorzugehen?

Peter Cleiß: Ich glaube, diese Chance gibt es. Weil ich glaube, dass viele Leute, die die Windenergie als Option nicht grundsätzlich ausschließen, die Sondersituation im Fall der Schwend erkennen. Eine Situation, die im Genehmigungsverfahren keine ausreichende Berücksichtigung fand. Bildlich gesprochen: Wenn ich in meinem Haus ein Zimmer einer anderen Person habe, die dann in diesem Zimmer ein produzierendes Gewerbe aufziehen will, das Lärm macht und Staub verursacht, dann wäre es völlig inakzeptabel, da nicht mitreden zu dürfen. Das ist genau die Situation der Schwender. Die sind die Betroffenen des Windparks, haben aber kein Mitspracherecht. Das ist absurd. Das kann man mit einer gesunden demokratischen Gesinnung auch dann nicht akzeptieren, wenn man einem Projekt der Sache nach aufgeschlossen gegenüber steht.

Ortenau Journal: Wenn es ein „Ja“ zur Schwend gibt und der Windpark abgelehnt wird, hat das dann auch Auswirkungen auf andere, ähnliche Projekte im Schwarzwald? Quasi einen Pilot-Charakter?

Peter Cleiß: Anders herum ist es genauso. Wenn sich das jetzt durchsetzen lässt, warum sollte man dann andernorts das Mitspracherecht der Bürger noch sonderlich ernst nehmen?

Ortenau Journal: Wie beurteilst du die Argumente von Koehler Renewable Energy hinsichtlich der Arbeitsplatz- und Versorgungssicherheit?

Peter Cleiß: Mitte der 70er Jahre stand das Thema Whyl auf der Tagesordnung. Am Kaiserstuhl sollte ein Atomkraftwerk errichtet werden. Der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, hat damals bei einer Rede im Landtag gesagt: „Wenn Whyl nicht gebaut wird, dann gehen hier die Lichter aus.“ Das habe ich miterlebt. Filbinger hat diesen Satz auch im Rahmen von Wahlkampfveranstaltungen immer wieder gesagt, unter anderem in Freistett. Ich war damals in der Halle. Hinten in der Halle waren Atomkraftgegner, die hatten auch Transparente dabei. Vorne hat der Filbinger geschrien und praktisch den Menschen in Freistett und im Land über Wochen und Monate hinweg eine Heidenangst gemacht. Die Botschaft war: „Wir müssen Whyl bauen, weil hier sonst alles zusammenbricht.“ Und das ist die Botschaft, die auch heute in einer anderen Form wiederkommt. Den Leuten wird gesagt: Wenn ihr die einzigen im Angebot befindlichen Alternativen, nämlich Solar und Windkraft, nicht schluckt, dann wäre das gleichbedeutend mit einer Talfahrt für unser Land. Und ich reagiere immer allergisch, wenn ein politisches Projekt mit Angstmache verknüpft wird. Da sträuben sich bei mir die Nackenhaare. Ich fühle mich aus der Erfahrung von Whyl heraus in meiner Reaktionsweise bestätigt. Das Atomkraftwerk Whyl wurde nicht gebaut, und wer einmal nachts auf dem Mooskopf war, weiß: Die Lichter in der Rheinebene sind nicht ausgegangen.

Ortenau Journal: Und diese Erfahrung von damals überträgst du auf heute?

Peter Cleiß: Ich spreche ja nicht aus der Perspektive der Schwender. Ich bin ja kein Betroffener. Aber ich spreche aus der Perspektive als Oberkircher. Meiner Meinung nach kann man Demokratie in der Form nicht missbrauchen. Das geschieht aber derzeit. Ich muss aber fairerweise dazu sagen: Ich glaube nicht, dass die Stadt Oberkirch und der Gemeinderat bei der Entscheidung gegen eine formalrechtliche Regelung verstoßen haben. Das ist nicht mein Vorwurf. Mein Vorwurf ist: Dieser Beschluss ist unanständig. Und zwar für einen Demokraten. Weil man hier die Betroffenen einer Maßnahme erkennbar außen vor lässt, obwohl man es hätte anders machen können. Es war bekannt, dass die Nachbargemeinden (Ottenhöfen, Kappelrodeck, Seebach, Anm. d. Red.) ihrerseits auch ein Votum zur Ablehnung der Windräder auf der Schwend abgefasst hatten. Und in Kenntnis dieser Ablehnung dann dennoch hinzugehen und zu sagen: „Wir bauen da oben Windräder“. Das ist absurd. Wenn man dann noch im Blick hat, das Oberkirch auf dem Eselskopf hinter der Schauenburg auch ein Windrad bauen sollte, was dann abgelehnt wurde. Du kannst nicht diese zwei Entscheidungen nebeneinander stellen und den Leuten verkaufen, und dann noch behaupten, du machst anständige Politik. Ich finde den Beschluss unanständig.

Ortenau Journal: Du glaubst den Akteuren nicht, dass das Projekt existenzielle Auswirkungen auf die Koehler-Gruppe haben kann?

Peter Cleiß: Wie hoch sind denn das Risiko und der Nutzen? Also Koehler ist meines Wissens inzwischen ein Milliardenunternehmen.

Ortenau Journal: Ja

Peter Cleiß: Welcher Verlust droht dem Unternehmen, wenn beim Bürgerentscheid nicht in seinem Sinne abgestimmt wird. Der ist meines Erachtens vernachlässigbar. Und der Verlust besteht ausschließlich in Geld.

Ortenau Journal: Koehler sagt, es sei eine Standortfrage.

Peter Cleiß: Das sagen sie ja immer. So wie sich Deutschland nicht von Russland, China oder den USA militärisch abhängig machen sollte, so wenig sollte Oberkirch sich von Koehler abhängig machen. Da muss man irgendwann auch einmal eine Grenze ziehen. Koehler ist ein gewinnorientiertes Unternehmen, das ist zunächst auch in Ordnung. Aber es geht bei der Schwend um die Frage: Soll Koehler mit dieser Energieform Gewinn machen? Und bei den Anwohnern der Schwend geht es schlicht und einfach um die Existenz. Wenn die Erschütterungen beim Bau die Wasserquellen dort oben versiegen lassen, dann ist zappenduster.

Ortenau Journal: Die Leute dürften da oben schon seit Jahrzehnten wohnen.

Peter Cleiß: Das ist ja auch so eine interessante Sache. Wenn du dir den Wald anschaust – ich bin da extra mit meiner Frau hochgegangen – das ist ein dreistöckiger Wald, wie du ihn in unserer Region ganz selten findest. Ein total gesunder Wald. Der Boden ist bedeckt. Dann hast du halbstämmige Hecken und obendrüber in luftiger Höhe ist das grüne Dach. Ein idealer Wald. Und genauso sind die Familien. Da leben drei Generationen. Die Alten erleben ihre letzten Tage, die Jungen bewirtschaften die Höfe und dann gibt es die Kinder. Das ist eine heile Welt.

YouTube-Video: Ja_zur_Schwend_Trailer_1

Siehe auch hier:

Gemeinderat Oberkirch stimmt für Koehler-Pachtvertrag zum Windpark Schwend

1.800 Unterschriften gegen Windpark und angebliches Kaufangebot für die Schwend

Stadt Oberkirch will breiten Bürgerbeteiligungsprozess vor dem Bürgerentscheid zur Schwend

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