Eurodistrict / Arbeitsmarkt

Grenzüberschreitendes Recruiting: Trends und Entwicklungen für Fachkräfte und Unternehmen am Arbeitsmarkt

© ProEvolution – Wiebke Stellfeld und Anke Druo beraten Bewerber und Unternehmen u. a. in grenzüberschreitendem Recruiting.
Die Arbeitsmärkte in Deutschland und Frankreich stehen vor großen Herausforderungen: Globale Konflikte, Handelsbarrieren und Fachkräftemangel prägen die Rekrutierung. Die HR-Expertinnen Wiebke Stellfeld und Anke Druo von ProEvolution erklären, wie Unternehmen grenzüberschreitend reagieren, welche Branchen Chancen bieten und wie sich Kandidat:innen optimal auf die Unterschiede zwischen beiden Ländern einstellen können. Ein Blick auf Trends, Chancen und Stolperfallen für 2025/26.
Von Julia Zorn

Ein turbulentes Jahr neigt sich dem Ende zu. Doch wie haben sich geopolitische Spannungen und nationale Unsicherheiten auf den Arbeitsmarkt in verschiedenen europäischen Ländern ausgewirkt? Das beantworten die beiden HR-Consultants Wiebke STELLFELD und Anke DRUO, die für ProEvolution Unternehmen im Bereich des deutsch-französischen und internationalen Recruitings beraten.

Frage: Angesichts andauernder Handelskonflikte und Unsicherheiten sprechen Wirtschaftswissenschaftler von einer „neuen globalen Normalität“. Wie wirkt sich diese Lage auf den grenzüberschreitenden Stellenmarkt aus?

Wiebke Stellfeld: Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich sind die internationalen Konflikte und Auswirkungen der US-Zölle deutlich spürbar. Diese Unsicherheiten haben eine doppelte Wirkung gezeigt: Einerseits konzentrieren sich manche Unternehmen stärker auf ihren nationalen Markt und zögern, international zu rekrutieren. Andererseits haben sich gerade KMU international mehr geöffnet und ihre Rekrutierungen über die Landesgrenzen hinaus erweitert, da sie lokal keine qualifizierten Fachkräfte finden konnten. Bei den jüngsten Stellenkürzungen in der Schweiz konnten wir beobachten, dass Grenzgänger als Erstes von den Plänen betroffen waren. Dies veranlasst viele Firmen dazu, eigene Tochtergesellschaften im Nachbarland zu gründen, um international präsent zu bleiben.

Tram Kehl

Die Tram verbindet Kehl und Straßburg und wird auch von grenzüberschreitenden Pendlern genutzt. Foto: Stadt Kehl

Anke Druo: Allerdings kennen die Unternehmen den Markt des Nachbarlandes oft kaum und starten unvorbereitet – mit unpassenden Vergütungsangeboten, ungeeigneten Verträgen oder ohne sich bewusst zu sein, dass sie beispielsweise zunächst eine lokale Filiale gründen müssen, bevor sie mit dem Recruiting beginnen. Es gilt, kulturelle und administrative Fehler zu vermeiden und grenzüberschreitende Projekte abzusichern.

Frage: Welche Tendenzen für 2025 erkennen Sie rückblickend auf dem deutschen und französischen Arbeitsmarkt? Gibt es unterschiedliche Entwicklungen in Frankreich und Deutschland?

Anke Druo: Der deutsche Arbeitsmarkt bleibt angespannt und die Lage wird in einigen Branchen noch komplexer. Es fühlen sich immer mehr deutsche Kandidatinnen und Kandidaten nicht mit ihrem Unternehmen verbunden und sind zunehmend bereit, ihre aktuelle Stelle zu verlassen. Dennoch zeigt unsere Erfahrung, dass die Deutschen im Vergleich zu Frankreich ihrem Unternehmen nach wie vor treuer bleiben und seltener den Arbeitsplatz wechseln – insbesondere in unsicheren Zeiten. In Frankreich ist die Wechselbereitschaft deutlich höher, und die Kandidaten sind offener für neue Angebote auf dem Arbeitsmarkt, sei es national oder international.

Wiebke Stellfeld: Ein anderer Unterschied ist, dass in Deutschland Fach- und Führungskräfte unserer Erfahrung nach von Unternehmen in der Regel aktiv angesprochen werden müssen, während in Frankreich auf eine Stellenausschreibung deutlich mehr Bewerbungen eingehen.

Frage: Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Stellenmarkt 2026 entwickeln?

Wiebke Stellfeld: Das erwartete Wachstum von rund 1,3 Prozent für 2026 ist ein positives Signal für Unternehmen in Deutschland. Dennoch bleiben viele deutsche Unternehmen vorsichtig. Einigen Branchen – wie der Energiesektor, Verteidigung oder IT – geht es weiterhin gut, während andere – etwa die Automobilindustrie oder die Schwerindustrie – schwierigere Phasen durchlaufen und sich hier anders aufstellen müssen. Gleiches gilt auch für die Kandidatinnen und Kandidaten, die sich etwa durch Weiterbildungen oder Umschulungen an diese Tendenzen, aber auch auf den Einzug von KI, anpassen müssen. Unternehmen. die in den kommenden Jahren stark vom rentenbedingten Ausscheiden der Generation Babyboomer betroffen sein werden, richten ihre Recrutingstrategie international aus.

Fachkräfte

Der Deutsche Arbeitsmarkt ist eine Chance für französische Nachwuchskräfte. Foto: freepik

Anke Druo: Für Frankreich ist es eher schwierig, derzeit eine langfristige Prognose zu stellen, solange die politische und wirtschaftliche Lage weiterhin instabil bleibt. Spezialisierten Grenzgängerprofilen in Frankreich bieten sich jedoch auch 2026 weiterhin Chancen, vor allem in Branchen, die in Deutschland Personal suchen: technische und handwerkliche Berufe im Bauhandwerk oder Ingenieurwesen. Gut sieht es auch im IT-Bereich aus. Ein weiteres Thema, das in Frankreich verstärkt in den Vordergrund tritt: die Lohntransparenz. Die entsprechende EU-Richtlinie tritt 2026 in Kraft und soll für mehr Transparenz beim Gehalt und Lohngerechtigkeit sorgen. Unternehmen müssen demnach Gehaltsspannen schon bei der Stellenausschreibung offenlegen. Die Richtlinie ist in Deutschland, wo Gehaltsvorstellungen offener und bereits im ersten Vorstellungsgespräch diskutiert werden, weniger ein Thema. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Frankreich bedeutend stärker ausgeprägt.

Frage: Haben elsässische Jugendliche und junge Erwachsene mehr Chancen durch die Nähe zu Deutschland, der Schweiz oder Luxemburg?

Anke Druo: Jugendliche im Elsass oder in Lothringen haben einen echten Vorteil, wenn sie Deutsch beherrschen. Ihre geografische Lage öffnet ihnen ganz natürlich Türen in die deutschsprachigen Nachbarländer. Die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich liegt bei etwa 20 Prozent und wird teilweise als nationale Krise wahrgenommen. In Deutschland, der Schweiz oder Luxemburg zu arbeiten ist daher eine echte Chance für junge Franzosen.

Wiebke Stellfeld: Allerdings nimmt die Beherrschung der deutschen Sprache ab – insbesondere durch das allmähliche Verschwinden des elsässischen Dialekts und den Mangel an Deutsch-Lehrkräften. Dennoch bleibt diese Kompetenz in vielen Fällen entscheidend: Sie vervielfacht die Chancen – sei es in Frankreich, in Deutschland oder in der Schweiz. Deshalb sollten junge Menschen ermutigt werden, Deutsch zu lernen, als ein wichtiger wirtschaftlicher Vorteil und Schlüssel zu nachhaltiger Beschäftigungsfähigkeit. Die (teilweise) deutschsprachigen Länder Schweiz, Deutschland und Österreich machen übrigens etwa 10 Prozent des Welthandels aus. Deutsch zu lernen ist also auch heute sehr wichtig.

Arbeiter  Angestellte

Fachkräfte, egal ob Arbeiter oder Angestellte, sind beidseits des Rheins gefragt. Foto: PWO-Gruppe

Frage: Wie unterscheidet sich der Einstellungsprozess in Deutschland und in Frankreich und was bedeutet das für die KandidatInnen?

Anke Druo: Headhunting ist in Deutschland deutlich verbreiteter. Dazu sind unserer Erfahrung nach Kandidaten in Deutschland oft direkter als es in Frankreich der Fall ist und verlangen von Anfang an viele genaue Informationen – zum Beispiel zur Stellenbeschreibung, Vergütung, zu Zusatzleistungen und Arbeitsbedingungen.

Wiebke Stellfeld: Für einen deutschen Bewerber, der in Frankreich rekrutiert wird, besteht die größte Herausforderung darin, das Verwaltungssystem und die Managementkultur zu verstehen. Zwischen beiden Ländern gibt es deutliche Unterschiede. Tendenziell ist der französische Managementstil deutlich direktiver, oft trifft der Manager Entscheidungen für das Team, welche dann in der Praxis übernommen werden. Der deutsche Führungsstil hingegen ist eher partizipativ geprägt, das Team wird viel in die Entscheidungsfindung miteinbezogen und Verantwortung wird aktiv übertragen. Das kann durchaus zu Missverständnissen führen. Auch der Vergleich der Gehälter ist komplizierter, da das Verhältnis zwischen Brutto- und Nettogehalt in Deutschland und Frankreich sehr unterschiedlich ist und die Steuersysteme auch von Land zu Land variieren. Deshalb ist es wichtig, dass internationale Kandiat:innen vom Unternehmen bei diesen Themen begleitet werden. Die Beherrschung der französischen Sprache bleibt dabei unerlässlich.

Über ProEvolution

ProEvolution begleitet mit seinen 20 Mitarbeitern bilingual deutsche und französische Unternehmen, die ihre Präsenz im Nachbarland aufbauen oder verstärken möchten, bei der Talentakquise von Führungskräften in den Bereichen F&E und Engineering, Vertrieb, QHSE (Quality, Health, Safety and Environment), Einkauf, Produktion und Service sowie bei der Besetzung von Top Management-Funktionen. Weitere Beratungsleistungen liegen im internationalen Interimsmanagement, in der Begleitung von Unternehmen und Kandidat:innen bei organisatorischen Veränderungen oder tiefgreifenden Transformationen und im Bereich des Employer Brandings.

Mehr Informationen: https://www.proevolution.pro/de/

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