In das breite Bewusstsein der Öffentlichkeit geriet das Thema Künstliche Intelligenz vor rund vier Jahren. Mit dem Launch von ChatGPT wurde dann endgültig eine neue Zeitrechnung eingeläutet. Denn seither wurde klar: KI betrifft alle unsere Lebensbereiche. Das gilt erst Recht auch für die Welt des Marketings. Und genau das war das Vortragsthema von Professor Wolfgang Henseler beim Wirtschaftsforum der Stadt Oberkirch Ende September auf dem Firmengelände von Elektro Birk.
Fundierte Wissensvermittlung
Zum wiederholten Male lud die Stadt die Unternehmerschaft der Gesamtstadt zum Dialog. Beim Keynote-Speaker des Abends legte die Verwaltung Wert auf fundierte Wissensvermittlung mit Mehrwert. Denn in Henselers Vortrag ging es um nicht weniger als die komplette Änderung der Denkweise. Dies sei Voraussetzung, um langfristig erfolgreich zu sein. Doch dazu später mehr.
Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine
Es würde den Rahmen sprengen, hier alle Stationen aus Wolfgang Henselers Vita aufzuzählen. Richtungweisend war die bereits 1995 begonnene Beratungstätigkeit im Bereich Human-Computer-Interface-Design, also der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Seit 1999 hat er eine Professur für Digitale Medien an der Hochschule Pforzheim, Ab 2008 war er an gleicher Stelle Initiator und Mitbegründer des Studiengangs „Master of Arts in Creative Direction“ sowie des Bachelor-Studiengangs „Intermediales Design“.
Prof. Wolfgang Henseler bei seinem Vortrag beim Wirtschaftsforum. Foto: Wolfgang Huber
Unzählige Publikationen
Nach unzähligen Publikationen und Vorträgen sowie unternehmerischer Tätigkeit forschte er ab 2023 zu Kundenzentrierung und künstliche Intelligenz sowie zu neuartigen HMI-Interfaces im Fahrzeugdesign. Der Schlüsselbegriff „Kundenzentriertheit“ taucht in der Vita des Redners erstmals 2014 auf, als er das „Customer Centricity Canvas“, ein Business Canvas-Modell für kundenzentrierte Geschäftsmodelentwicklung, entwickelte.
„Über den Tellerrand hinausschauen“
„Um weiterhin Wohlstand und Wachstum voranbringen zu können, müssen Unternehmer über den Tellerrand hinaus schauen“, gab Wolfgang Henseler zu Beginn die Richtung vor. Dinge würden sich verändern, gefragt sei in diesen disruptiven Zeiten die Fähigkeit zum Umdenken, neu denken und Vordenken. Da dürfe man nichts verschlafen, nicht so wie der Kaiser vor 120 Jahren, der angesichts der Erfindung des Autos weiterhin an die Kutsche glaubte.
Siegeszug der Smartphones
Wirtschaft 1.0, das war laut Henseler das analoge Zeitalter. Es gab die Gelben Seiten, wenn man einen Elektriker suchte. Mit 2.0 sei es bereits digital geworden – Google lässt grüßen. Wer dort nicht sichtbar war, wurde auch nicht gefunden. 3.0 ist die Ära des mobilen Internets. Die Smartphones mit ihren Apps hielten Einzug und ermöglichten Dienste wie Online-Banking. Gegenwärtig würden wir uns im Zeitalter der Chatbots befinden, also der Wirtschaft 4.0. Henseler: „Die 1. Generation von Amazons ‚Alexa‘ war noch nicht wirklich künstlich intelligent“.
Millionen Anrufe analysiert
Am Beispiel von Google Duplex machte er dann deutlich, wohin die Reise gehe, nämlich geradewegs in die Wirtschaft 5.0 mit den AI-Agents und AI-Bots. Google Duplex habe ein paar Millionen Anrufe von Kunden bei Friseuren analysiert, gelernt und sich selbst weiterentwickelt. Nun ist es in der Lage, anhand der Face ID beim Smartphone die Notwendigkeit eines Friseurbesuchs zu erkennen und nach einem „Blick“ in der Terminkalender eigenständig einen Friseurtermin für seinen Nutzer zu machen. Henseler: „ChatGPT macht das nicht.“
KI macht bald Friseurtermine für uns aus. Foto: vahidkanani/pixabay
News per KI
Die Möglichkeiten seien immens: „Der Verlag Axel Springer produziert bereits eine komplette News-Sendung mit KI, von der redaktionellen Arbeit bis zur Ausstrahlung. Der Nachrichtenmoderator ist ein Avatar. Das sieht fotorealistisch aus“, so der Professor. Und in Albanien gebe es sogar schon eine KI-Ministerin für Wirtschaft.
Der KI Befehle geben
Zur Annäherung an die Kernbotschaft des Vortrags gab Henseler die verschiedenen Phasen der KI-Entwicklungen preis: Interface AI, die aktuelle Phase, mit KI-Systemen wie ChatGPT, Google Gemini, Midjourney oder Copilot. Dabei müssen Anwender der KI Befehle geben. In der Zeit der Reasoning AI werde die KI bereits logisch schlussfolgern, den Kontext verstehen und selbständig komplexe Entscheidungen treffen können. In der Phase der KI-Agents, den „Self acting robots“, werden die entsprechenden KI-Tools eigenständig handeln, E-Mails schreiben oder Programme steuern.
„No. No. Das ist sehr komplex“
Zur Artificial General Intelligence (AGI), also Phase Vier, hätten ihm Entwickler von ChatGPT-Mutter Open AI gesagt, das bekämen sie in zwei, drei Jahren hin. „No, no. Das ist sehr komplex“, brachte er seine Zweifel zum Ausdruck. Schließlich seien die Programmierer zurückgerudert. Es brauche doch viel mehr Rechenleistung als bisher angenommen.
Ein Fall für Hollywood
In dem hochinteressanten Vortrag ploppen allmählich dystopische Szenarien auf. Ganz ohne geht es bei dem Thema auch nicht. Denn Phase Fünf mit der „Artificial Super Intelligence (ASI)“ würden die Studenten von heute lieber nicht mehr erleben wollen. Henseler: „Man weiß nicht, von welchen ethischen und moralischen Standards sich die Super-KI leiten lässt. Das ist dann schon spooky, ein Fall für Hollywood.“
An welchen ethischen Standards orientiert sich die KI der Zukunft? Foto: pixabay
Immenser Energiebedarf
Zur Zeit werde die KI noch hauptsächlich zur Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz genutzt. Sie sei gekommen, um zu bleiben. Warum das so wichtig sei? „Wer die KI macht, kann ganz viele Entscheidungen treffen, das können wir uns heute noch gar nicht vorstellen.“ Doch es gebe noch Hindernisse. Heute verbrauche ein einziges Data Center von Open AI um die 5 oder 6 Gigawatt. Es gehe bereits in Richtung 10 Gigawatt. Ein Kohlekraftwerk könne jedoch nur 1 bis 1,6 Gigawatt leisten, was die Zukunftsaufgabe annähernd umreißt.
Vormachtstellung bei KI
Die gängige Prognose für 2029 wird mit einem Verbrauch von 29 Gigawatt für ein Data Center angegeben. 67 Gigawatt sollen es bereits 2030 sein. Die Frage der Energiebereitstellung entscheide auch über die Vormachtstellung im Bereich KI. Wolfgang Henseler will die Leute aufrütteln: „Das hat weltweite Auswirkungen auf die Telekommunikation oder auf das, was wir glauben sollen. Es wird selbstfahrende Autos geben. Die Frage ist: Werden wir abgehängt? Erneuerbare alleine reichen nicht aus, um die KI zu versorgen.“
„KI-Welt“ von Axel Springer: Die 1. News-Sendung, die komplett mit KI erstellt wurde.
„Dann wird es unangenehm“
Je mehr Rechenleistung vorhanden sei, desto mächtiger werde Künstliche Intelligenz. „Das muss uns keine Angst machen“, beschwichtigt Henseler. „Aber uns muss klar sein: Wer diese ‚Artificial Super Intelligence‘ kontrolliert, gibt alles vor. Dann wird es unangenehm.“ Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten sich auf den Pfad begeben, um später noch konkurrenzfähig zu sein.
Hohe Kosten bei Fotoshooting
Den Einfluss der KI auf alle Lebensbereiche und wirtschaftlichen Anwendungen macht der Referent anhand des schwäbischen Mittelständlers HAKRO deutlich, einem Hersteller von Berufskleidung. Bei einem Fotoshooting mit Fotograf, Models, Visagistin und den Studiokosten käme schnell ein Betrag im mittleren sechsstelligen Bereich zusammen. Doch Köpfe wie Henseler können da Abhilfe schaffen.
Otto zieht nach
„Wir haben eine generative KI benutzt. Das ist eine KI, die etwas erzeugen kann, in diesem Fall Models, Ich gebe gewisse Parameter rein wie Hautfarbe, Größe, Haartyp etc. dann kann ich die Modelle kreieren lassen. Einsparung: 80 Prozent“, fast Henseler den Effekt zusammen. Der Versandhändler Otto habe bereits nachgezogen und spare Millionenbeträge. Auch beim Film werden Akteure zunehmend durch Avatare ersetzt.
Fotoshootings verursachen hohe Kosten für Personal und Technik. Foto: ASphotofamily/freepik
Großer Streuverlust bei Werbung
Früher hätte die Industrie im traditionellen Geschäftsmodell nach einer Neuentwicklung die Werbetrommel gerührt, aber mit einem immensen Streuverlust. Dann mit Targeting-Maßnahmen habe es schon weniger Streuverluste gegeben. Doch auch das reiche noch nicht aus, um zukunftsfähig zu werden. Die Lösung heiße „Kundenzentriertheit“. Dafür werden an sogenannten Touch Points riesige Datenmengen gesammelt.
Extreme Datenmengen
Diese Datensammelpunkte erfragen das Einverständnis für Standortdaten oder Biovital-Daten, bekommen sie teilweise freiwillig. So sammelt Tesla Unmengen an Daten durch seine Autokunden, beispielsweise über das Fahrverhalten. Da kämen extrem große Datenmengen zusammen. „Big Data“ lasse grüßen. Daraus lasse sich 360 Grad Lifestyle denken, oder wie Henseler es alternativ ausdrückt: „Die machen dann Kleidung für Porsche, eine Porsche Experience Tour, Möbel oder Apartments. Je mehr Lifestyle-Lücken, desto weniger sind wir situativ in der Lage, entsprechende Produkte zu offerieren. Situativ relevant zu produzieren ist wichtig.“
„Just make me happy“
Die Angebote würden überpersonalisiert werden und nicht lediglich kundenorientiert. Dies ermögliche dynamische Abonnements und extreme Kundenbindung. Nach dem Prinzip „Product as a service“ erhöhe es die User-Experience. Doch Wolfgang Henseler gibt zu Bedenken: „Man kann nicht kundenzentriert sein ohne KI. Daraus ergibt sich das beste Produkt zum besten Preis mit der höchsten Convenience und Nachhaltigkeit. Gemäß dem Leitspruch: „Don´t make me care, just make me happy.“
Mit Daten zum Erfolg
Der Ist-Zustand des B-B-B-C, also der Weg vom Zulieferer über den Hersteller und den Vertrieb bis hin zum Kunden lasse sich nicht aufrecht erhalten. Wenn der Kunde sein Konsumverhalten ändert, bekomme dass der Zulieferer erst spät mit. Doch nur wer nah am Kunden dran sei und Daten bekommt, könne Erfolg haben. „Das ist die Disruption der Technologieunternehmen. Wenn ich dieses Rezept verfolge, ist keine Werbung mehr nötig“, fasst es Henseler zusammen.
Der Nuklear-Akku
Bei all dem sei Psychologie hinsichtlich Konsum und Verhalten der Kunden unabdingbar. „Die Technologieunternehmen wissen, nach welchen Prinzipien der Mensch seit Tausenden von Jahren agiert“. Doch auch KI alleine greife noch zu kurz. Und so gibt es gegen Ende noch ein Schmankerl für die Zuhörerschaft. Denn Xiaomi habe eines der zentralen Probleme der Smartphone-Nutzer im Blick und entwickele einen nuklear betriebenen Akku. Apple ziehe bereits nach. Der Vorteil: Der Akku muss niemals aufgeladen werden. „Das ist kundenzentriert“, bringt Henseler es auf den Punkt.
Müssen Handy-Akkus bald nicht mehr aufgeladen werden? Foto: ThorstenF
Neuer Blick aufs Marketing
Der Vortrag des High Potencials Henseler schwankte zwischen verheißungsvoller Zukunft und dystopischen Extremen mit einem versöhnlichen Abschluss in Gestalt des Nuklear-Akkus. Auf jeden Fall dürften die Unternehmer und Geschäftsleute der Renchtalmetropole an diesem Abend einen neuen Blick auf ihre eigenen Pläne und Marketingaktivitäten mitgenommen haben. Auch für die anwesenden Politiker wie den CDU-Bundestagsabgeordneten Johannes Rothenberger oder den SPD-Kandidaten für die Landtagswahl, Raphael Kupferer, waren einige wichtige Hinweise dabei.
Vorbild Elon Musk
Doch wie kann das von Henseler geforderte Umdenken hin zur Kundenzentriertheit erreicht werden? Er nennt Elon Musk und SpaceX als Vorbild. Nachdem die US-Raumfahrtbehörde NASA 40 Jahre lang behauptet habe, man könne die Festkörper der Raketen nicht landen, habe der Tech-Milliardär geantwortet: „Oh, das wussten wir nicht. Wir haben gerade eine gelandet.“
„Wie Kodak oder Nokia“
Das Ende vom Lied: Die NASA ist jetzt Kunde von SpaceX. Wer dem disruptiven Wesen der KI nicht folge, dem ergehe es wie einst der Segelschifffahrt, dem Kutschenbauer, Kodak oder Nokia. Oder um es mit Albert Einstein zu sagen: „The problems we are facing, can´t be solved by the same thinking, that created them.“
Siehe auch hier:
Thema beim Oberkircher Wirtschaftsforum: Empathische Führung
Dialog statt Befehl: Warum interaktive Prompts Unternehmen im Alltag kreativer und klarer machen
Ein Video mit Prof. Wolfgang Henseler bei der Speakers Excellence:
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