Ortenauer Musikszene

Hip-Hop aus Offenburg: Jay & Ive oder wie lange dreht sich die Welt noch ohne KI…?!

Die Offenburger Rapper Jay & Ive
© Jay & Ive
Zwei Rapper lernen sich in der Ortenauer Provinz auf einem Skaterplatz kennen. Bald folgen gemeinsame Hip-Hop-Sessions. Später treffen Jay & Ive den Freiburger Musikproduzenten Jim Pansen, gründen die Hi5 Crew zusammen mit Drive -By. Zahlreiche Live-Gigs später entsteht das Album „Lass die Welt sich drehn“. Eigentlich ist ein Album etwas aus der Zeit gefallen, sagt Pansen. Bald baue KI die Beats. Aber Jay & Ive sind für ihn authentische Geschichtenerzähler.

Von Jürgen Stark

Es gibt Geschichten, die ganz anders enden als vermutet. Eigentlich geht es um die  Hip-Hop-Szene und das Offenburger Rap-Duo: Jay & Ive. Eigentlich. Es geht auch um den musikalischen Rap-Mastermind Jim Pansen, auch bekannt als Pansenbeats, ein überaus angesagter Musikproduzent aus Freiburg. Eigentlich: Denn manchmal kommt es ganz anders als man denkt – vor allem dann, wenn man man sich am Ende fragt, ob das wohl wirklich das Ende ist. 

Etablierte Stilistik

Doch der Reihe nach. Die beiden Rapper Jay & Ive, deren Lebenswege sich im kleinen Ort Altenheim Neuried kreuzten und die seitdem unzertrennlich zusammen Musik machen, sind kreative Schöngeister. Das ist schon mal die erste Überraschung. Denn das Genre stand bislang eher nicht für feingeistige Zwischentöne. Aber das ist der Blick nach hinten. Denn Hip Hop und Rap sind inzwischen jahrzehntealte „Jugendkultur“, nunmehr längst Kunstform und etablierte Stilistik, was künstlerische Räume öffnet.

Mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und gemeinsamer Leidenschaft für den klassischen Hip-Hop entstand das Album „Lass die Welt sich drehn“ der beiden Offenburger Jungs. Entwickelt und produziert an den Standorten Offenburg und Freiburg, auch im Studio von Daniel Lurk, pünktlich zum Jahresbeginn 2025 veröffentlicht. Das Debütalbum „Lass die Welt sich drehn“ ist voller Erzählungen, es bietet Songs über Freundschaft, Verluste, jeweilige Zugehörigkeiten und sonstige Betrachtungen des Daseins. Und es hat eine längere Vorgeschichte. Eine Freundschaft, geboren aus Beats und Rhymes.

Liebe zum schnellen Wort

Ive, bürgerlich Ivan Manana, wurde 1988 in Kampala, Uganda, geboren. Als Siebenjähriger gelangte er mit seiner Mutter nach Deutschland, wo er bei seinem deutschen Stiefvater im Neurieder Ortsteil Altenheim aufwuchs. Als erster dunkelhäutiger Junge in einer ländlichen Umgebung hatte er es manchmal nicht leicht. Mitschüler lachten ihn auch schon mal aus, als er die Sprache  noch nicht so gut konnte, wie sich Ive heute – als virtuoser Sprachkünstler – erinnert. Dank der Liebe zum schnellen Wort in den Rap-Reimen holte Ive schnell auf –  lernte jedes Wort.

Sein Kumpel Jay, bürgerlich Jeremy Rittmann, wurde 1990 in Bühl/Baden geboren. Jay ist ein talentierter Rapper und Beatboxer (frei übersetzt: Schlagzeug mit Mund und Mikro imitiert). Seine Mutter wanderte als Jugendliche aus Namibia nach Deutschland ein; sein französischstämmiger Vater war in Bühl/Baden stationiert. Auch Jay begann sich schon früh für Musik zu interessieren. Heute sind kritische und philosophische Texte sein Markenzeichen.

Gemeinsame Hip-Hop-Sessions

Jay & Ive lernten sich 2006 in Altenheim-Neuried kennen, wo sie damals noch bei ihren Eltern lebten. Ivan machte bereits mit einigen Neurieder Jungs Hip-Hop-Musik, als er Jay auf dem Skateplatz kennenlernte. Jay konnte „groovy“ beatboxen, Ive kickte spontan ein paar gerappte Texte auf Jays Beatbox – es passte. Der Grundstein für eine enge Freundschaft und  gemeinsame Hip-Hop-Sessions war gelegt. „Wir waren inspiriert vom Hip-Hop der 90er Jahre, von Größen wie RAG aus dem Ruhrpott, Mobb Deep und Pete Rock“, wie sie im Interview zu Protokoll geben.

Jay und Ive fanden gemeinsam ihren Ausweg aus Monotonie und Alltag, jenen Notausgang, den alle Teenager suchen, wenn diese Pforte zur Erwachsenenwelt wie ein meterhohes Fragezeichen vor ihnen steht. Musik ist der perfekte Schlüssel für so viele Türen. Und so ging auch diese schließlich auf. Und alle Wege führten nach Offenburg. 2012 lernten die beiden jungen Wilden dort zufällig den Beatproduzenten Jim Pansen (alias Pansenbeats) kennen, der damals in Offenburg studierte. Es ging dann rasend schnell. 

Unterhaltsame Textkultur

Gemeinsam schufen sie eine Vielzahl Songs, gründeten die Hi5 Crew, bestehend aus Jay, Ive, Jim Pansen und Drive-By. Die Crew trat bei verschiedenen Veranstaltungen auf und wurde schnell bekannt. In Pansens WG-Zimmer in Offenburg entstanden erste Aufnahmen, die nun auch den Weg ins neue Album fanden. Witzig: Versuchen Sie mal „Fundgrube für Kreativität“ zu singen oder zu rappen. Es ist unterhaltsame Textkultur, was die beiden nun vorstellen: „Keine weiteren halben Sachen – Komm wir lassen es krachen – Lass die Welt sich dreh’n“. Das ist aus dem Titelsong, der markant eine Trompeten-Melodie voranschreiten lässt. Man könnte da an die Trumpet-Legende Herb Alpert denken. Aber da kommt Produzent Pansen als Rap-Security um die Ecke. Denn nunmehr nenne sich vieles Rap, was keiner mehr sei. Hier, so Pansen, dagegen sei „alles klassisch und pur und spiegelt die Vielfalt der deutschen Hip-Hope-Szene wider.“

Jim Pansen (bgl. Jorris Jonas) wurde 1984 in Freiburg geboren und stieg 1999 in erste musikalische Experimente ein. Die CDs seiner Eltern wurden gesamplet und erste Beats kreiert. Die Karriere als Beatproducer begann. Sein Gespür für außergewöhnliche Melodien und Rhythmen machten ihn zum gefragten Produzenten in der Hip-Hop-Szene. Für ihn sind Jay und Ive authentische Geschichtenerzähler, welche mit tiefgründigen Texten zum Nachdenken einladen. Mit „Lass die Welt sich drehn“ haben Jay und Ive ihr halbes Lebenswerk geschrieben.“ Ive spricht gern von der Liebe zur Musik und „Lass die Welt sich drehen“ sei „unser Titeltrack sowie auch das Motto – von damals bis heute.“

Sensible Nachdenklichkeit

Auch wenn Pansen auf Genre-Stilgrenzen pocht, belegt er ungewollt das Gegenteil. Denn kein Instrument ist ihm fremd. Trompete, Klavier, dazu ganz schön viel sensible Nachdenklichkeit oberhalb der Bumm-Bumm-Beats. Ive: „Mit dem Pansen-Instrumental „Eskalation“ wird unsere damalige angespannte Lage atmosphärisch eingefangen, die von Verlust, Trauer und Ungewissheit geprägt war. In diesem Song haben wir die Emotionen verarbeitet,  die uns vor einer totalen Eskalation bewahrten“.

Musik ist ein Ventil, gut zum Ablassen von Dampf  und dummen Gedanken. Jay lobt den heimischen Humus der Crew mit ihrer Offenburger Musikfamilie: „Den Song „Ogc“ haben wir in den letzten Jahren des Öfteren bei unseren Live-Gigs gespielt, der ist fast zur inoffiziellen Offenburger Hymne geworden.“ „Wahrheit tut weh“ ist für Ive ein mehr denn je „passender Song zur Zeit.“ Recht hat er. In der Politik erleben wir teils dramatische Stunden der Wahrheit und nicht nur Wahlkampf-Lügen zerplatzen wie Seifenblasen.

Musik nur noch als Soundfile

Den Gipfel der Nachdenklichkeit liefert Beat-Maestro Pansen: „Die Musikszene ist unüberschaubar geworden. Es ist einfach Musik zu veröffentlichen. Die sozialen Medien ermöglichen jedem mit hohem Output einen gewissen Bekanntheitsgrad. Ein Album wie Jay & Ive rauszubringen ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Für den virtuellen Erfolg wäre es sinnvoller gewesen, 17 Monate lang Singles zu veröffentlichen, als ein 17 Songs starkes Album.“ Das ist.wie Sehnsucht in haptische, analoge Zeiten. Musik nur noch als Soundfile hat kein Cover mehr, Songs stehen allein, das Album-Mutterschiff ist weg. Online-Alben wirken wie Widerstand gegen die totale Virtualität.

Es kommt noch nachdenklicher. Pansen: „Mit Musik Geld zu verdienen war schon immer schwer und ist nur wenigen Rappern vorbehalten. Es gibt sehr viele Menschen, die Musik zu Hause produzieren. Die Technik ist günstig und für jeden verfügbar und jeder kann Musik machen. Es gibt Onlinelibraries für Samples, man muss nicht mal selbst komponieren oder sich durch alte Schallplatten durchhören.“

No Money, no Music

Was hier wie fröhliche Teilhabe für alle klingt, ist, zu Ende gedacht, eigentlich eine letzte Warnung. No Money, no Music. Bald nur noch tote KI-Konserve: „Es gibt Online Beats für jeden Geschmack. Bald baut KI die Beats, wird KI sich noch mehr in die Musikproduktion einbringen. Wahrscheinlich wird es bald komplett KI-generierte Songs in den Charts geben, wenn es das nicht schon gibt. Es ist ja jetzt schon möglich Madonna meinen Song singen zu lassen.. Der Musik tut das zwar nicht gut, aber so ist eben die technische Entwicklung. Leute wie wir werden weiterhin ihre Sounds aus Spaß machen.“ KI kills the Musician?

Anspieltipps:

Jay & Ive Youtube-Video Der Song „Lass die Welt sich drehn“

Jay & Ive YouTube-Videos: Das Album (17 Songs) „Lass die Welt sich drehn“

Das könnte dich auch interessieren:

Jürgen Stark´s Kulturkolumne #2: Neuer Aufbruch im Party-Universum

„The School“ nach der WM: Offenburg ist die Hauptstadt der Hip-Hop-Kultur

Zweierpasch´s „Live auf der Hornisgrinde-Video“: Die wilde Schönheit der Natur

Weitere Beiträge